Lidl in Nöten: Zwischen SAP-Desaster und Zickzack-Kurs beim E-Commerce

Lidl und das Filialgeschäft: In den USA läuft es noch nicht wirklich rund für den Discounter aus Neckarsulm. (Foto: dpa)
Auf den ersten Blick ähnelt Lidl Aldi. Das Geschäftsmodell, die Aufmachung der Läden, das Image, die Strategie. Doch wenn man genauer hinschaut, bemerkt man einen klaren Unterschied in der Effizienz der Umsetzung: Aldi, das Vorzeigeunternehmen, das unser Land nachhaltiger in Nord und Süd aufteilt, als jede Bundeslandgrenze es vermag. Der Konzern, der mit hoher Nachhaltigkeit den eigenen Weg eingeschlagen hat und mehr oder weniger zielstrebig verfolgt.
Auf der anderen Seite Lidl. Über viele Jahre die Nummer zwei und weit abgeschlagen, obwohl man doch in so vielem den Platzhirsch kopiert hat. Nehmen wir mal die Digitalstrategie, die alles andere als konsequent umgesetzt wird. Eine kleine Baustelle hier, ein Service da, hier mal wieder Kochboxen (aber nur in bestimmten Ländern), dort Vorratspackungen mit weniger verderblichen Lebensmitteln, mal ohne Versandkosten, mal mit zentralem Outlet. Dann mal wieder die Kehrtwende Ende vergangenen Jahres: keine Lebensmittel mehr mit einigen kleinen Ausnahmen – und das in einer Zeit, in der gerade die großen Ketten, zu denen Lidl via Schwarz-Gruppe ja auch gehört, die Chancen am Markt ausloten. Und in einer Zeit, in der sogar kleinere Startups wie MyEnso ihre Nische im Lebensmittelmarkt besetzen können.
Erstaunlich auch das Recruiting der Digital-Abteilung: Letztes Jahr ein Angebot an die arbeitslos gewordenen Air-Berlin-Leute, vom dortigen E-Commerce in die Digitalabteilung zu wechseln, im März das Angebot an die Mitarbeiter, die bei Zalando im Marketing nicht mehr gebraucht werden, letzte Woche das Angebot an die entlassenen Dawanda-Mitarbeiter. Das mag einmal originell sein, beim zweiten Mal hat es ein Gschmäckle, beim dritten Mal wirkt es einfach nur deplatziert – noch dazu, wenn es nicht hinter den Kulissen diskret verhandelt wird, sondern durch die Medien getragen wird.
Go West? Lidl im Land der begrenzten Möglichkeiten
Und dann ist da noch Lidls Versuch, in den USA Fuß zu fassen, den man mit viel gutem Willen als „etwas holprig“ bezeichnen kann. Hier wollte Lidl vor ziemlich genau einem Jahr das Beispiel von Aldi wiederholen und zum deutschen Händler werden, der den US-Lebensmittelmarkt das Fürchten lehrt. Die Lebensmittelbranche dort hat es ohnehin nicht leicht und ist durch Amazon und Wholefoods und diverse andere Player gerade im Umbruch. Mit viel Aufwand und Heidi Klum als Werbe-Testimonial hat Lidl den US-Start hingelegt, allerdings gerade einmal etwas mehr als die Hälfte der geplanten 100 Filialen eröffnet. Da sei „das eine oder andere schiefgegangen“ urteilte Lidl-Chef Klaus Gehrig gegenüber den Medien – und man mag ihm nicht widersprechen. Falsche Standorte und zu große Glaspaläste, falsch verstandenes „think big“.
Jetzt hat Lidl den dortigen Statthalter ausgetauscht und überdenkt offenbar die Strategie für Übersee. Auch wenn Aldi für den Erfolg in den USA mehrere Jahrzehnte geackert hat, könnte es sein, dass Lidl sich hier verhoben hat. Und vielleicht hat das Unternehmen auch angesichts des Platzhirschs Walmart und des Herausforderers Amazon/Wholefoods einen ungünstigen Zeitpunkt gewählt, um die neue Welt zu erobern. Und dann ist da noch ein Mitbewerber, den Lidl so gut kennt wie kein anderer: Aldi. Und die planen in den nächsten Jahren 900 neue Filialen, was dazu führen würde, dass Aldi zum drittgrößten Lebensmittelhändler in den USA aufsteigt. Ist da Platz für einen zweiten Deutschen, der eine Me-too-Strategie fährt? Eher nicht.
Lidl scheitert an SAP-System
Dazu kommt jetzt noch ein weiteres IT-Thema, das aktuell weite Kreise zieht: Lidl hat über sieben Jahre hinweg zusammen mit SAP ein Warenwirtschaftssystem vorangetrieben, das den Anforderungen des international agierenden Unternehmens allerdings nicht gerecht wird. Jetzt zieht Lidl den Stecker bei dem Projekt
Gerade einmal einige Filialen in Österreich, Nordirland und den USA setzen auf das System, das bereits jetzt mehr als 500 Millionen Euro gekostet hat. Das ist selbst für den Lebensmittelriesen aus Neckarsulm viel Geld. Für SAP ist das gleichermaßen ein Imageschaden, denn zu einem solchen Scheitern gehören ja immer zwei Partner, auch wenn Lidl sich beeilt, mitzuteilen, dass die Entscheidung für die Weiterentwicklung des alten Systems eben keine Entscheidung gegen SAP sei.
Es besteht kein Zweifel: Die Schwarz-Gruppe, deren zweites Standbein Kaufland aktuell auch nicht so bombig dasteht, dass es die Probleme von Lidl mühelos auffangen könnte, hat aktuell eine Vielzahl von Baustellen zu bewältigen – und Lidl fährt einen Zickzack-Kurs, der gerade im Digital- und IT-Bereich nicht sein müsste. Auch wenn vieles im E-Commerce durch Trial-and-Error entsteht, sollte man es nicht übertreiben und eher eine Strategie der ruhigen Hand wählen.