Mein größter Fehler: 8 Gründer erzählen
Fuckup-Nights – launige Gesprächsabende über das Scheitern und Wiederaufstehen – wurden in Mexiko, nicht aber in Deutschland erfunden. Aber wen wundert das? Die Angst, als Unternehmer zu versagen, ist in der Bundesrepublik noch immer groß. 42 Prozent der 18- bis 62-Jährigen gaben im Global Entrepreneurship Monitor an, die Angst vorm Scheitern halte sie von einer Startup-Gründung ab. Und wer es doch tut – der spricht im Krisenfall nur selten darüber. Zu groß sind die Schamgefühle.
Doch die sind nicht immer angebracht. Wer offen über seine Fehltritte als Gründer spricht, lernt dazu und kommt vielleicht erst so zu der einen Erkenntnis, die das eigene Geschäftsmodell wieder nach vorne bringt. Erkannt haben das auch acht Gründer, die wir nach ihrem größten Fehler gefragt haben. Das sind ihre Antworten:
Nicht auf den Körper gehört
Jasmin Skiadas-Kriese, jasminskiadas.de
Mein Sprung ins kalte Wasser der Selbstständigkeit begann nach meiner Entlassung aus einer Werbeagentur, die stark unter finanziellen Problemen litt. Ich wollte es besser machen, mein eigener Chef sein. Von der Mediengestalterin zur Livestream-Illustratorin, die Sympathiefiguren für Streamer und Youtuber erstellt. Die Anfangsphase war reines Chaos, da ich innerhalb weniger Monate mein Portfolio aufbauen, Kunden gewinnen und das Rechtliche abklären musste.
In dieser Phase arbeitete ich rund zwölf Stunden täglich, auch an Wochenenden. Ich wurde immer öfter krank, bekam stärkere Migräne als sonst und hatte auch keine Zeit mehr für meine Freunde oder für mich selbst. Mein Mann war es dann letztendlich, der das Thema ansprach. Er bestand darauf, dass ich öfter das Tablet beiseite legte und wir unternahmen besonders viel gemeinsam. Heute zwinge ich mich zu geregelteren Arbeitstagen, Sonn- und Feiertage sind tabu. Wenn ich privat in meiner Freizeit zeichne, wird nicht „mal eben“ noch ein Auftrag dazwischen geschoben. Und da es mir Freude bereitet, muss ich doppelt darauf achten, mich nicht wieder versehentlich zu überarbeiten. Denn das merkt man leider meist erst dann, wenn es bereits zu spät ist.
Per Vorkasse bezahlt
Robert Brandl, websitetooltester.com
Ende 2018 fanden wir einen SEO-Spezialisten aus Schottland mit sehr guten Referenzen. Wir skypten mit ihm und er hatte auch gleich ein paar gute Ideen für Linkbuilding-Kampagnen. Wir hatten eine dreimonatige Kampagne geplant, bei der er Content-Erstellung und E-Mail-Outreach übernehmen sollte. Preislich lagen wir bei 3.250 Dollar pro Monat. Das war schon sehr teuer, aber ich wollte unsere Position in den englischen Google-Rankings unbedingt stärken.
In den ersten Telefonaten wunderten wir uns dann, dass es ihn mehr interessierte, über den Brexit zu diskutieren als über unsere Kampagne. Mit zwei Wochen Verspätung lieferte er dann eine Themenliste, die ganz vernünftig klang. Wir einigten uns auf ein Thema, das er dann bearbeitete. Immer wieder schlug er selbst Deadlines vor. Aber kein einziges mal hielt er die Termine ein. Teilweise sagte er zehn Minuten vor vereinbarten Telefonaten ab. Über Weihnachten hörten wir dann trotz mehrmaliger Rückfragen sechs Wochen nichts mehr von ihm. Zum Glück haben wir das Geld per Paypal bezahlt. Weil sich der SEO-Spezialist nie wieder gemeldet hat, bekamen wir immerhin 1.000 Dollar erstattet. Trotzdem hätte ich das Geld lieber anderweitig investiert. Mein Learning: Nie wieder so hohe Beträge per Vorkasse zahlen.
Keinen Head of HR eingestellt
Mathias Wengeler, Atheneum
Keinen Head of HR im Gründungsteam zu haben, war der größte Fehler, den ich gemacht habe. Um zu wachsen, ist es essenziell, schnell gute Leute zu finden, die gleichzeitig in die Unternehmenskultur passen. Zumal diese von den ersten 20 Mitarbeitern erheblich geprägt wird. Wir haben eher ad hoc erstmal alle an Bord genommen, die den Mindestanforderungen genügt haben – und hatten dann später extra-viel Arbeit auf den Positionen, die neu besetzt werden mussten.
Dabei muss die Verantwortung von HR oberste Priorität haben, idealerweise unterstützt der CEO dabei stark. Es muss in den ersten ein bis zwei Jahren kein HR-Profi sein. Das Thema sollte aber priorisiert immer auf der Agenda stehen und viel Zeit dafür aufgewendet werden. Jetzt haben wir natürlich Experten und ein super HR-Team, mit dem wir in allen zehn Büros viel konstanter und dynamischer wachsen können.
Niemandem von der Idee erzählt
Inga Höltmann, accelerate-academy.de
„Tue Gutes und sprich darüber“, heißt es ja immer. Ich habe in den vergangenen Jahren festgestellt, dass da durchaus etwas drinsteckt, das über bloße Selbstbeweihräucherung hinausgeht: Denn wenn man gründet, weil man von seinem Produkt überzeugt ist und mit diesem Produkt die Welt ein bisschen besser machen will, dann sollte man der Welt das auch mitteilen. Bei meiner ersten Gründung – einem Online-Magazin – haben wir vorher ein halbes Jahr hinter den Kulissen die Vorarbeiten erledigt, bevor wir es offiziell gelauncht haben. Ich denke, dass uns die Weiterentwicklung unseres Produktes und vor allem auch die Skalierung leichter gefallen wäre, wenn wir vorher schon darüber gesprochen und uns Unterstützer gesucht hätten, die unsere Vision und unsere Themen teilten.
Diese Zurückhaltung zog sich auch durch unsere Zusammenarbeit. Wenn wir Hilfe brauchten, haben wir oft viel zu lange gezögert – aus der Sorge, den Menschen zur Last zu fallen oder nicht zurückgeben zu können. Heute weiß ich: Das ist falsch. Menschen geben gern, Menschen werden gern gebraucht. Mittlerweile bekomme ich viele Anfragen und helfe gern, wenn ich kann – ganz ohne mich jedes Mal zu fragen, was ich davon haben könnte. Heute spreche ich offen über meine Pläne, Projekte und meine Vision und empfinde das als extrem gewinnbringend. Mittlerweile frage ich mich, wie man Dinge hinter geschlossenen Türen gestalten kann, so wertvoll finde ich das.
Falsche Investoren an Bord geholt
Fabian Dudek, Nestpick
Es ist normal für uns Gründer, die Motivation von Mitarbeitern zu hinterfragen und eine Kultur um die gleichen Werte und Verhaltensweisen herum zu entwickeln. Jedem Mitarbeiter bei Nestpick – einem Immobilienportal – war es wichtig, Menschen zu ermöglichen, überall auf der Welt zu leben. Dafür waren wir gewillt, kurzfristig schlechtere Zahlen zu akzeptieren. Meine Investoren habe ich allerdings nie nach ihrer Motivation gefragt. So kam es wegen Meinungsverschiedenheiten schnell zu Problemen bei Anschlussfinanzierungen, Budgetplanungen und Produktfragen.
Meine Lehre daraus: Investments sind kaum rückgängig zu machen, deshalb ist es umso wichtiger, die richtigen Geldgeber an Bord zu holen. Die ersten Investoren werden Teil des engsten Management-Teams. Man verbringt im besten Fall viele Jahre mit ihnen und sie haben viel Einfluss auf den Gründer und die Strategie. Der beste Weg, die richtige Entscheidung zu treffen, ist es vorher für ein paar Monate mit den Investoren zusammenzuarbeiten.
Den Service kostenlos angeboten
Annika Pies, tlnts.de
Mit Talents wollten wir eine Plattform auf den Markt bringen, mit der man einfach Jobkampagnen über Social-Media-Kanäle schalten kann. Um erste Nutzer zu gewinnen, haben wir unseren Service kostenlos angeboten. Kunden mussten einzig das Mediabudget zahlen. Wir haben dieses Angebot in unserem Netzwerk und auf Veranstaltungen angeboten, sowie ersten Leads, die Interesse an unserem Produkt gezeigt haben. Gebucht hat unseren Service letztlich aber niemand.
Dann haben wir überlegt: Okay, woran liegt’s? Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass es womöglich ein zu großes Risiko für die potenziellen Kunden ist. Gleichzeitig hätten wir es uns nicht leisten können, das Mediabudget für die Kampagnen selbst zu tragen. Wir haben also ein Preisschild an den Service gehängt – und auf einmal kam die erste Buchung. Trotzdem haben wir uns später vom Geschäftsmodell abgewendet, weil es beim Recruiting sehr große Probleme mit Schnittstellen zur Bewerbersoftware gab. Leider gibt es in der Branche bis heute auch keinerlei Standards. Heute ist Talents eine Digitalagentur für Personalmarketing in München und erfolgreich am Markt.
Zu groß gedacht
Frank Steuer, Blacklane
Als wir vor gut sieben Jahren anfingen, unseren Chauffeur-Service aufzubauen, haben wir vor allem einen Fehler gemacht: Wir haben eine viel zu komplexe Lösung angestrebt. Wir wollten bei Abrechnungen und Abholungen an Flughäfen nahezu jeden erdenklichen Sonderfall berücksichtigen (zum Beispiel zusätzliche Wartezeiten, zusätzliche Kilometer, Änderungen des Zielorts) und all das auch technisch abbilden. Die Folge: Es war unnötig schwierig, neue Ideen schnell und unkompliziert umzusetzen. Letztlich bedeutete das für uns auch höhere Kosten.
Wir dachten damals durch User-Interviews und unsere persönlichen Erfahrungen mit Chauffeur-Services aus Kundensicht zu wissen, wie unsere Lösung im Detail aussehen muss. Damit lagen wir leider nicht ganz richtig. Im Rückblick kann ich jedem Gründer nur empfehlen, so schnell wie möglich mit einem Minimum-Viable/Lovable-Product an den Markt zu gehen, um möglichst früh möglichst viel zu lernen und schnelle Kurskorrekturen vornehmen zu können. So kommt man schneller, einfacher und auch günstiger zu einer Lösung, die einen hohen Mehrwert für die Nutzer bietet.
Von einem Kunden auf alle geschlossen
Jan Wokittel, 4-Check
Jeder kennt sie aus dem eigenen Unternehmen: Checklisten. Man kontrolliert etwas und macht anschließend Haken auf einem Stück Papier. Während eines Kontrollrundgangs bei einem Unternehmen sagte mein Ansprechpartner: „Wir sind doch bestimmt nicht die einzigen, die Checklisten auf Papier abarbeiten. Wenn das einer digitalisieren würde, kann der richtig Geld verdienen.“ Gesagt, getan: Gemeinsam mit einem Freund entwickelte ich den ersten Prototyp eines Produktes, mit dem der Kunde seine Checklisten digitalisieren und automatisiert auswerten konnte. Wir testeten den Prototypen mit dem Kunden und er war begeistert. Im Nachhinein muss ich sagen, dass das keine Überraschung war: Der Prototyp war ja ja exakt auf seinen individuellen Anwendungsfall zugeschnitten. Ein großer Fehler.
Wir haben angenommen, dass jeder potenzielle Kunde genau diesen Workflow haben würde und so entwickelten wir innerhalb eines Jahres unser finales Produkt. Danach mussten wir feststellen, dass der Checklisten-Prozess bei vielen Unternehmen zwar ähnlich, aber doch anders aussah. Er war ohne weiteres aber mit unserer Softwarelösung nicht realisierbar. Also waren wir gezwungen, einen kompletten Relaunch vorzunehmen, der ein weiteres Jahr Entwicklungsarbeit und sehr viel Geld gekostet hat. Meine Lehre daraus: Rapid Prototyping ist super und funktioniert klasse. Es braucht allerdings eine gewisse Masse an Testern, um ein wirklich aussagekräftiges Ergebnis zu erhalten und zu erfahren, ob man ein echtes Kundenbedürfnis befriedigt.
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