Etwa 2,7 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt befindet sich die Südseite des Neptun derzeit mitten im Sommer. Das ist schon seit einigen Jahren so, immerhin braucht der Neptun etwa 165 Erdenjahre, um seine Umlaufbahn um die Sonne einmal zu vollenden. Eine Jahreszeit nach unserer Definition dauert auf dem Neptun demnach rund 40 Jahre.
Was sorgt für sinkende Sommertemperaturen auf dem Neptun?
Anders als zu erwarten wäre, führt der Sommer auf dem Neptun offenbar nicht zu wärmeren Temperaturen – im Gegenteil. Eine Studie der britischen Forschungsuniversität in Leicester kommt zu dem Ergebnis, dass sich der Planet stattdessen deutlich abkühlt.
„Diese Veränderung war unerwartet“, schreibt Michael Roman, Forscher an der Universität von Leicester und Hauptautor der Studie, in einer Erklärung. „Da wir Neptun während seines südlichen Frühsommers beobachtet haben, würden wir erwarten, dass die Temperaturen langsam wärmer werden, nicht kälter.“
Zu der überraschenden Erkenntnissen gelangte Romans Team, nachdem es Infrarotbilder des Neptun über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten im Kontext ausgewertet hatte. Dabei waren ausdrücklich nur Bilder einbezogen worden, die von besonders leistungsstarken Teleskopen wie dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte aufgenommen worden waren. Vom Grundsatz her ist die Auswertung einfach, denn die thermischen Bedingungen des Planeten lassen sich anhand seiner Helligkeit bestimmen – heller bedeutet heißer.
Dabei stellte das Team fest, dass die gemessene Helligkeit in der Stratosphäre des Neptun zwischen 2003 und 2018, also während „der ersten Sommernächte des Planeten“, um etwa acht Grad Celsius abgenommen hatte.
Und plötzlich: Temperaturanstieg am Südpol
Zusätzlich verwirrt die Forschenden eine völlig gegenläufige Entdeckung. Denn am Südpol des Neptun zeigen die Daten eine andere überraschende Veränderung. Eine Kombination aus Beobachtungen der Observatorien Gemini im Jahr 2019 und Subaru im Jahr 2020 zeigt, dass sich die polare Stratosphäre des Neptun zwischen 2018 und 2020 um etwa elf Grad Celsius erwärmt hat, was eine Umkehrung des vorherigen globalen durchschnittlichen Abkühlungstrends bedeutet. Eine solche polare Erwärmung wurde auf Neptun laut der Studie noch nie beobachtet.
Besonders überraschend finden die Forschenden dabei die Geschwindigkeit der Veränderungen. Gemessen an der Dauer der, durch die Neptunische Achsenverschiebung verursachten, jahreszeitlichen Veränderungen scheinen ihnen solche Änderungen innerhalb nur weniger Jahre nicht plausibel.
Viel mehr als Rätselraten bleibt den Forschenden vorerst nicht. „Die Temperaturschwankungen könnten mit den jahreszeitlichen Veränderungen in der Chemie der Neptunatmosphäre zusammenhängen, die die Wirksamkeit der Abkühlung der Atmosphäre beeinflussen können“, spekuliert Roman und schränkt ein: „Aber auch zufällige Schwankungen in den Wettermustern oder sogar eine Reaktion auf den elfjährigen Zyklus der Sonnenaktivität können einen Einfluss haben.“
Es wurde bereits früher vermutet, dass der elfjährige Sonnenzyklus, der durch periodische Schwankungen der Sonnenaktivität und der Sonnenflecken gekennzeichnet ist, die sichtbare Helligkeit des Neptun beeinflusst. Die neue Studie zeigt einen möglichen, wenn auch nur vorläufigen Zusammenhang zwischen der Sonnenaktivität, den Temperaturen in der Stratosphäre und der Anzahl der hellen Wolken auf dem Neptun.
JWST to the Rescue
Mit anderen Worten: Man weiß es nicht. Deshalb ist es gut, dass bereits für dieses Jahr Beobachtungsstunden des James-Webb-Teleskops eingeplant sind. Davon versprechen sich die Forschenden um Michael Roman nicht weniger als die Aufklärung des Rätsels.
Leigh Fletcher, Professor für Planetenforschung an der Universität von Leicester, wird diese Beobachtungen mit der ihm zugewiesenen Zeit des JWST-Instrumentariums leiten. Professor Fletcher, der auch Mitautor dieser Studie ist, ist sicher: „Die exquisite Empfindlichkeit des MIRI-Instruments des Weltraumteleskops im mittleren Infrarot wird beispiellose neue Karten der Chemie und der Temperaturen in der Neptunatmosphäre liefern und dazu beitragen, die Art dieser jüngsten Veränderungen besser zu identifizieren.“
Wir dürfen also damit rechnen, dass spätestens im kommenden Jahr klar ist, was für Einflüsse auf dem Planeten, dessen Winde so stark sind, dass sie Überschallgeschwindigkeiten erreichen, für die beobachteten Temperaturschwankungen verantwortlich zu machen sind.