Black Mirror: Anwalt erklärt wie realistisch „Joan is Awful” wirklich ist
Die sechste Staffel der dystopischen Netflix-Serie „Black Mirror“ startet mit einer heiß diskutierten Folge namens „Joan is Awful“. Darin entdeckt eine 0815-Frau namens Joan (gespielt von Annie Murphy), dass ihr Leben auf einmal von einer Serie kopiert wird.
Die Joan in der Serie wird von Salma Hayek gespielt – beziehungsweise von einem Avatar, der aussieht wie Salma Hayek, denn die gesamte Serie soll KI-generiert sein.
Verantwortlich für die Serie ist der Streaming-Dienst Streamberry, der wiederum eindeutig Netflix kopiert. Als sich Joan in der Folge mit ihrer Anwältin berät, erhält sie die Information, dass sie keine Rechte gegenüber Streamberry hat, da sie beim Vertragsabschluss den AGB zugestimmt hat.
Awful AGB?
Ohne zu viel zu spoilern: Die Folge lässt einem kalte Schauer über den Rücken laufen. Denn – Hand aufs Herz – wer liest schon die AGB von vorne bis hinten, wenn man einen Vertrag über die Nutzung eines Onlineservices wie Netflix abschließt? Wohl kaum jemand.
Wäre es daher in der Theorie möglich, dass ein Unternehmen wie Netflix eine Serie über einen erstellt? Wir haben Hartmut Göddecke, Fachanwalt für Vertragsrecht von der Kanzlei Göddecke Rechtsanwälte, nachgefragt.
t3n: Herr Goeddecke, wie realistisch ist der Fall der Folge „Joan is Awful“? Kann ein Sender eine Person einfach klonen, mit ihr einen Film drehen und diesen Film zur besten Fernsehzeit ausstrahlen?
Hartmut Göddecke: Natürlich haben AGB in Deutschland Grenzen, dafür hat der Gesetzgeber gesorgt. Akzeptiert man im täglichen Leben AGB bei einem Vertrag – ganz gleich, ob als Klick oder durch die Unterschrift unter ein Formular –, ist man vor unfairen Bedingungen geschützt.
t3n: Was bedeutet hier „unfair“?
Göddecke: Dazu zählt – allgemein gesprochen – alles, was verboten ist, also was eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit darstellt.
Auch unklar formulierte und unverständliche AGB sind unwirksam. Der Gesetzgeber hat hier eine klare Grenze gezogen, denn es soll nicht sein, dass jemand, der unverständliche Klauseln verwendet, geschützt wird. In solchen Fällen dreht sich das Blatt: Derjenige, der mit so einer Klausel belastet wird, soll den Schutz des Gesetzes für sich in Anspruch nehmen.
Außerdem hat das Gesetz einen Riegel bei unliebsamen Überraschungen in den AGB vorgeschoben. Sie sind ebenfalls null und nichtig.
t3n: Als „überraschend“ kann man ja beispielsweise die Klausel aus der besagten Black-Mirror-Folge bezeichnen, in der steht, dass der fiktive Sender Streamberry eine Serie über jeden drehen darf, der den AGB zustimmt. Oder?
Göddecke: Ja. In deutschen AGB vereinbartes Ausleuchten des eigenen Lebens und die Wiedergabe in einer Fernsehsendung ist in den allermeisten Fällen nicht zulässig.
Das aber ist keine Frage der AGB: Denn der Person, die in dem Film zu sehen ist, steht ein allgemeines Persönlichkeitsrecht zu. Damit darf sich eine Person grundsätzlich in der Entscheidung frei fühlen, ob sie selbst Gegenstand eines Filmberichts sein möchte. Will sie es nicht, kann dieses Recht auch nicht durch AGB bestimmt werden.
Auf der anderen Seite – also dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gegenüber – steht das Recht der Presse und der Kunst (Pressefreiheit und Kunstfreiheit). So muss zum Beispiel eine Person, die grundsätzlich im öffentlichen Leben steht, damit rechnen, dass sie in Medien erscheint (zum Beispiel Fußballspieler, hochrangige Politiker oder Filmschauspieler).
Eine Person, die wie in dem Film der Netflix-Serie nur „ganz normal“ ihr Leben lebt, muss grundsätzlich nicht damit rechnen, dass ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht so weit eingeschränkt wird, dass gegen ihren Willen weder über sie in den Medien berichtet wird noch sie Gegenstand eines Spielfilms ist – ganz gleich, ob durch eine:n Schauspieler:in dargestellt oder durch einen KI-inspirierten Klon.
t3n: Auch die Art und Weise, wie in der Serie Daten gesammelt werden, wäre unzulässig, richtig?
Göddecke: Ja, denn die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bestimmt Einschränkungen, wenn es um die Erhebung von Daten geht. Es dürfen nicht mehr Daten erhoben werden als unbedingt notwendig, um den Vertrag zu erfüllen (sogenanntes „Kopplungsverbot“).
Zudem ist für die Erhebung von Daten eine ausdrückliche Einwilligung notwendig – ein Klick auf den AGB-Knopf reicht nicht aus. Außerdem kann die Einwilligung mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden.
t3n: Kurz – die auf Netflix ausgestrahlten Szenen, nach denen sich eine x-beliebige Person im Fernsehen in dieser Art wiederfindet, wären in Deutschland nicht zulässig?
Göddecke: Genau. Das kann weder durch AGB im Rahmen eines x-Vertrages bestimmt werden noch ist das nach dem Gesetz zulässig. Etwas anderes wäre es natürlich, wenn es um einen Vertrag gehen würde, der präzise die geschilderten Szenen zum Gegenstand hätte. Dass AGB überraschende Klauseln aufweisen, ist in der Praxis aber nichts Ungewöhnliches.
t3n: Haben Sie ein Beispiel dafür?
Göddecke: Ein Beispiel ist die Klausel eines WLAN-Betreibers auf einem Festival gewesen, wonach sich die Nutzer:innen des kostenfreien WLAN in einer der Klauseln verpflichteten, dass sie nach dem Festival die Duschen reinigen müssen.
Auf Nachfrage am Ende des Festivals, um die Duschreinigung einzufordern, reagierten die angesprochenen Nutzer:innen vollkommen überrascht, weil offenbar niemand die Bedingungen zur Nutzung gelesen hatte.
Eine solche Klausel ist überraschend und damit letztlich unwirksam.
t3n: Kann man es sich also sparen, AGB zu lesen?
Göddecke: Nein, natürlich müssen sich Verbraucher:innen, die die AGB akzeptieren, diese vor der Zustimmung (also vor dem Klicken) durchlesen.