Hefen, Sojabohnen und Rindergene: So wollen Biotech-Startups geschmackvolle, vegane Milch herstellen
Der Ausbruch der Vogelgrippe in US-Milchviehbetrieben lässt Milch nicht mehr ganz so gesund erscheinen. Rohmilch oder nicht pasteurisierte Milch kann Mäuse infizieren, die sie trinken, und einige Molkereiarbeiter haben sich bereits durch Kontakt mit Kühen angesteckt.
Die US-Zulassungsbehörde FDA sagt, dass handelsübliche Milch sicher ist, weil sie zum Abtöten von Keimen pasteurisiert wird. Trotzdem reichen die Vorfälle, um über Milchverzicht nachzudenken. Bisher geht das nur, wenn man seinen Kaffee schwarz oder mit Hafermilch trinkt.
Für alle diejenigen, die nicht auf echte Milch verzichten können, arbeiten Gentechniker:innen an Möglichkeiten, Milch ohne Kühe herzustellen. Ihr Ansatz ist es, Hefen und Pflanzen mit Rindergenen zu versehen, damit sie jene Schlüsselproteine produzieren, die für die Farbe, den sättigenden Geschmack und den hohen Nährwert der Milch verantwortlich sind.
Kopien von Kasein und Molke gesucht
Die Proteine, die sie kopieren, heißen Kaseine und Molke. Kaseine bestehen aus einem schlaffen Polymer, das am häufigsten in der Milch vorkommt und dafür sorgt, dass sich geschmolzener Pizzakäse dehnt. Molke ist eine nahrhafte Kombination essenzieller Aminosäuren, die häufig in Energiepulvern verwendet wird.
Die Bemühungen sind Teil eines größeren Trends, Tiere und ihre Produkte durch Zutaten zu ersetzen, die in Labors, Stahlbehältern oder Pflanzenkulturen gezüchtet werden. Man denke nur an den Impossible-Burger, jene Gemüsefrikadelle, die durch die Zugabe des Blutbestandteils Häm – produziert in den Wurzeln von gentechnisch veränderten Sojabohnen – so schmackhaft wird.
Einer der Milchinnovatoren ist Remilk, ein 2019 gegründetes israelisches Start-up, das Hefe so verändert hat, dass sie Beta-Lactoglobulin – den Hauptbestandteil von Molke – herstellen kann. Laut Firmenmitbegründer Ori Cohavi könnte eine einzige Biotech-Fabrik mit blubbernden Hefefässern, die sich von Zucker ernähren, theoretisch „50.000 bis 100.000 Kühe ersetzen“.
Remilk hat bereits einige Versuchschargen hergestellt und testet Möglichkeiten, das Protein mit Pflanzenölen und Zucker zu mischen, um streichfähigen Käse, Eiscreme und Milchgetränke herzustellen. Ein Partner für die Entwicklung dieser verarbeiteten Lebensmittel ist ein lokaler Coca-Cola-Abfüller. Dazu wird Remilk auch von ehemaligen Führungskräften von Nestlé, Danone und PepsiCo beraten.
Wie von Außerirdischen entführt
Aber auch normale Milch ist keineswegs ganz natürlich. Beim Melken stehen die Tiere in ausgeklügelten Robotern, und sehen so aus, als würden sie von Außerirdischen entführt. „Die Vorstellung von einer Kuh, die in einer schönen grünen Landschaft steht, ist sehr weit davon entfernt, wie wir unsere Milch bekommen“, sagt Cohavi. Darüber hinaus haben die Tiere Auswirkungen auf die Umwelt: Rinder stoßen Methan aus, ein starkes Treibhausgas, und eine säugende Kuh trinkt täglich etwa 150 Liter Wasser.
„Es gibt Hunderte von Millionen Milchkühen auf der Welt, die Treibhausabfälle produzieren und eine Menge Wasser und Land verbrauchen“, sagt Cohavi. „Das kann nicht die beste Art sein, Lebensmittel zu produzieren.“
Für die Biotech-Unternehmen, die versuchen, Milch zu verdrängen, besteht die große Herausforderung darin, ihre eigenen Produktionskosten niedrig genug zu halten, um mit den Kühen konkurrieren zu können. Molkereien erhalten staatliche Schutzmaßnahmen und Subventionen, und sie produzieren nicht nur Milch. Milchkühe werden schließlich zu Gelatine, McDonald’s-Burgern und den Ledersitzen von Range Rovern verarbeitet. Dabei wird nicht viel verschwendet.
Bei Alpine Bio, einem Biotech-Unternehmen in San Francisco, auch bekannt als Nobell Foods, haben Forscher Sojabohnen so manipuliert, dass sie Kasein produzieren. Die Bohnen sind zwar noch nicht für den Verkauf zugelassen, werden aber bereits auf Versuchsfeldern im Mittleren Westen, die das US-Landwirtschaftsministerium USDA genehmigt hat, angebaut, sagt Alpines Geschäftsführerin Magi Richani, die MIT Technology Review 2022 zu einer der Gewinner:innen des Wettbewerbs „Innovators under 35“ kührte.
Milchproteine aus Sojabohnen
Richani hat sich für Sojabohnen entschieden, weil diese bereits ein wichtiger Rohstoff und die billigste Proteinquelle überhaupt sind. „Wir arbeiten mit Landwirten zusammen, die bereits Sojabohnen für Tierfutter anbauen“, sagt sie. „Und wir sagen: ‚Hey, ihr könnt das auch für die menschliche Ernährung anbauen. Wenn ihr mit einem Rohstoffsystem konkurrieren wollt, müsst ihr eine Rohstoffpflanze haben‘“.
Alpine Bio plant, die Bohnen nach der Ernte zu zerkleinern, das Milchprotein zu extrahieren und die Zutat ähnlich wie Remilk an größere Lebensmittelunternehmen zu verkaufen.
Alle sind sich einig, dass Kuhmilch nur schwer zu verdrängen sein wird. Sie nimmt einen besonderen Platz in der menschlichen Psyche ein, und wir verdanken die Zivilisation zum Teil der Domestizierung von Tieren. Viele von uns tragen DNA-Mutationen in sich, die Kuhmilch leichter verdaulich machen.
„Wir brauchen Alternativen“
Deshalb könnte es an der Zeit sein, den nächsten technologischen Schritt zu tun, meint Richani. „Wir züchten jedes Jahr 60 Milliarden Tiere als Nahrung, und das ist verrückt. Wir haben es zu weit getrieben, und wir brauchen Alternativen“, sagt die Geschäftsführerin. „Wir brauchen Alternativen, die besser für die Umwelt sind, die den Einsatz von Antibiotika überflüssig machen und die das Krankheitsrisiko verringern.“
Noch ist nicht klar, ob der Ausbruch der Vogelgrippe in Milchviehbetrieben eine große Gefahr für den Menschen darstellt. Aber die Herstellung von Milch ohne Kühe würde definitiv das Risiko verringern, dass ein Tiervirus eine neue Pandemie auslöst. Wie Richani sagt: „Sojabohnen übertragen keine Krankheiten auf den Menschen.“