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MIT Technology Review Interview

Online-Plattform Volksverpetzer gegen Fake News: „Wir machen hier Werbung für die Wahrheit“

Der Online-Dienst Volksverpetzer versucht nicht nur mit Fakten, sondern auch mit Emotionen, Satire und Polemik gegen Fake News zu kämpfen. Hat das in Zeiten KI generierter Fakes überhaupt noch Sinn?

Von Wolfgang Stieler
9 Min.
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Es gibt einige Fragen, die Fake News entlarven können. (Foto: McLittle Stock / shutterstock)

Philip Kreißel ist Datenanalyst – mit Fokus auf der Analyse von Social Media – und Redakteur beim Online-Dienst Volksverpetzer. Der „Anti-Fake-News-Blog“ will „mehr als nur trockene Faktenchecks“ liefern und greift daher im Kampf gegen Fakes und Verschwörungsideologien, gerne auch mal zu Polemik, Satire und Emotionen.

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MIT Technology Review (TR): Theoretisch macht KI das Erstellen und Verbreiten von Fake News im Netz sehr viel einfacher. Macht sich das auch praktisch bemerkbar? Seht ihr eine Zunahme von Fake News und Desinformation im Netz?

Philip Kreißel: Grundsätzlich ist es so, dass Fake News immer möglichst einfach gestaltet sein sollten. Man versucht, ganz viele Fakes zu erstellen, und diese zu streuen – nach dem Motto: Irgendwas davon wird schon viral gehen. Das scheint auch die Strategie russischer Propaganda zu sein. Deren Fakes sind nie besonders sophisticated.

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Philip Kreißel ist Redakteur bei Volksverpetzer.

KI kann helfen, das zu skalieren. Aber es ist natürlich immer noch so, dass Sachen, die einfach herzustellen sind, auch relativ easy zu durchschauen sind. Ich habe noch nicht gesehen, dass es tatsächlich einen KI-Fake gab, der einen großen Impact hatte. Also bisher. Das heißt natürlich nicht, dass keine Gefahr davon ausgeht, weil die Technik ja in sehr großen Schritten voranschreitet.

Generell zu Fake News, und der These, dass die immer mehr zunehmen: Ich würde sagen, es ist halt immer vom aktuellen Thema abhängig. Es gab sehr viele Fake News während der Corona-Pandemie. Dann gab es zum russischen Angriffskrieg sehr viele Fakes. Und jetzt gibt es zum Thema Olympia viel. Hinter Fake News stecken ja auch oft kommerzielle Interessen. Man möchte Klicks generieren. Da ist es natürlich sinnvoll, sich ein aktuelles Thema auszusuchen.

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Der Einfluss von sozialen Netzwerken wie X und Tiktok

TR: Welche Rolle spielen soziale Netze dabei?

Kreißel: Grundsätzlich nimmt im Moment vor allem auf X, vormals Twitter, die Desinformation zu, weil dort kaum noch Regulierungen stattfinden. Accounts, die wegen massiver Desinformation gesperrt wurden, sind jetzt wieder aktiv.

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TR: Welchen Einfluss hat X (Twitter) denn noch? Es hat gerade im Zusammenhang mit Elon Musk massiv Kritik gegeben, verbunden mit Aufrufen, die Plattform zu verlassen.

Kreißel: Also bei uns merken wir, dass der Traffic auf X nachlässt und der Traffic zum Beispiel von Mastodon oder von Blue Sky oder von Threads stark zunimmt. Das hat sich in den letzten Wochen auch nochmal beschleunigt.

Es ist trotzdem noch so, dass X zu vielen Themen immer noch wichtig ist. Wenn man Journalist:in ist, dann kann man das eigentlich nicht ignorieren, sage ich mal. Es gibt auch eine gewisse Welle an Leuten, die sagen, wir müssen extra bleiben und dort korrekte Informationen verbreiten und versuchen, dem zu widersprechen.

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Der Volksverpetzer hat noch seinen Account auf X, aber wir haben die Kommentare zugemacht, sodass der Aufwand für uns einigermaßen vertretbar ist. Zwar posten wir unsere Artikel dort noch, aber durch den Ausschluss der Kommentare findet dort keine größere Interaktion mehr statt.

TR: Sowohl X als auch Tiktok sollen bei der Mobilisierung für die rassistischen Riots in Großbritannien vor ein paar Wochen eine wesentliche Rolle gespielt haben. Wie sehen Sie das?

Kreißel: Das sehe ich hundertprozentig genauso. Einer der wichtigsten Accounts, der für diese Riots in Großbritannien verantwortlich ist, ist der von Tommy Robinson. Dieser Account war gesperrt auf Twitter und wurde dann nach der Übernahme von Twitter durch Elon Musk wieder entsperrt. Er hat seitdem seine Follower-Zahl dort verdoppelt.

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Der Account hat extrem viele Fake News verbreitet und immer wieder versucht, die Stimmung in England weiter anzuheizen. Obwohl auch die Polizei und lokale Behörden da recht schnell widersprochen haben, wenn da etwas Falsches verbreitet wurde. Aber das ist eben auf X nicht angekommen. Dann war es auch so, dass in der Suche [auf X], teilweise auch rassistische Accounts vorgeschlagen wurden, die Hatespeech verbreitet haben. Zum Beispiel, wenn man nach Southport gesucht hat, dann kam da ein Account, der gesagt hat, dass man Muslime aus England vertreiben muss, obwohl das Posting das Wort Southport überhaupt nicht enthalten hat.

Kurz gesagt ist es so, dass diese Fake-News- und die Hass-Szene dort nicht eingedämmt wird, sondern tatsächlich sogar mehr Reizweite bekommt, als sie eigentlich vernünftigerweise haben sollte. Deswegen ist es ziemlich klar, dass X hier eine sehr negative Rolle gespielt hat.

Es gibt natürlich eine lokale rechtsextreme Szene in Großbritannien, mit der muss man sich auch beschäftigen. Aber Menschen werden ja gewalttätig, wenn sie das Gefühl haben, dass es einen Rückhalt von einer breiten Mehrheit gibt. Und den Eindruck konnte man auf X durchaus haben, auch wenn Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Briten dem eben nicht zustimmt.

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Der Umgang mit kritischen Themen auf Tiktok

TR: Welche Rolle spielt Tiktok jetzt dabei?

Kreißel: Auf TikTok gibt es ähnliche Probleme. Wir sehen immer wieder, dass zum Beispiel auch unsere eigenen Videos auf TikTok gedrosselt werden, wenn wir kritische Themen ansprechen. Aber gleichzeitig von Rechten, wenn die dieselben Themen ansprechen, dass deren Videos dann viral gehen.

Ein Problem ist natürlich immer, und das war natürlich bei Southport auch so, dass es bei solchen Ereignissen ein Informationsvakuum gibt am Anfang. Und das nutzen natürlich dann die Desinformationsverbreiter aus und verbreiten falsche Informationen.

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Auf Google zum Beispiel werden bei einem aktuellen Ereignis nicht alle Suchergebnisse voll ausgespielt, bis man weiß, worum es hier eigentlich geht. Auf Wikipedia ist das auch so, da wird dann oben ein Hinweis angezeigt, das ist ein aktuelles Ereignis, das kann sich schnell ändern, also Vorsicht mit den Informationen.

Und auf TikTok gibt es da anscheinend gar keine Bremsen, und die Desinformationsverbreiter können dann diese Informationslücken an der Stelle ausnutzen und mit ihrem Content und mit ihren Geschichten füllen, die häufig falsch sind. Während die vernünftigen Leute halt noch warten, bis gescheite Informationen zur Verfügung stehen.

TR: Haben Faktenchecker denn überhaupt noch eine Chance, gegen die Flut von Falschinformationen anzukommen?

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Kreißel: Wir bei Volksverpetzer sind ein kleines Team. Dessen sind wir uns natürlich vollkommen bewusst. Wir können nicht jede Fake News aufdecken. Und das haben wir auch überhaupt nicht vor.

Nach dem Motto „Choose-Your-Battles“ läuft das so, dass man sich überlegt: Was sind gerade wirklich die wichtigsten Sachen, die wir auch gewinnen können und wo wir einen klaren, positiven Impact haben können.

Ein Beispiel wäre die Boxerin Imane Khelif. In Fake News wurde sie als Transperson bezeichnet, die nicht bei den olympischen Box-Wettbewerben der Frauen hätte antreten dürfen. In Wirklichkeit ist sie einfach als Frau aufgewachsen. Da konnten wir, glaube ich, einen ganz guten Beitrag leisten. Und der Artikel dazu lief auch sehr, sehr gut.

Der zweite Punkt ist: Man darf nicht die Fake News in den Vordergrund stellen, sondern man muss tatsächlich die Wahrheit in den Vordergrund stellen. Deswegen schauen wir, dass wir in den Überschriften häufig sehr plakativ die korrekte Information schreiben und nicht sagen, okay, das ist jetzt ein Faktencheck dieser Falschmeldung, sondern das ist die Wahrheit. Und das ist dann die Überschrift.

Wir machen dann teilweise auch sehr reißerische Überschriften. Aber die Leute, die auf Fake News reinfallen, fallen ja deswegen auf Fake News rein, weil sie gerade auf solche plakativen Überschriften anspringen.

Ich glaube, dass man nicht nur mit Sachlichkeit gewinnt, sondern eben auch, indem man einige der Sachen, die gut funktionieren, selbst auch einsetzt. Das ist der Punkt, dass wir halt sagen: Wir machen hier Werbung für die Wahrheit.

Wir nehmen nicht nur die Fake News und sagen, was ist falsch, sondern wir sagen auch: Was ist der Mechanismus darin, warum fallen Leute darauf ein, warum wird das gerade verbreitet, was ist der Hintergrund davon? Damit wir über diesen Weg eben auch Medienkompetenz vermitteln.

Das führt dann dazu, dass Leute, die den Faktencheck gelesen haben, hoffentlich nicht nur zu dieser Desinformation Bescheid wissen, sondern auch ähnliche Fake News, falls sie wieder auftreten, erkennen und dagegen immun sind.

„Genauso funktionieren Fake News“

TR: Würden Sie sagen, das ist Propaganda, oder das eher zurückweisen?

Kreißel: Also, das Ding ist halt, wenn wir einen bestimmten manipulativen Take, zum Beispiel in der Überschrift, bringen, dann ist es eigentlich immer so, dass wir im Artikel noch mal drauf eingehen und sagen: ‚Guck, was wir hier gemacht haben.‘ Genauso funktionieren Fake News. Das heißt, wir benutzen es, und dann zerstören wir es aber auch. Wir nutzen es nicht, um dann selbst davon zu profitieren, sondern wir benutzen es, um es zu zerstören.

TR: Aber Werbung für die Wahrheit ist natürlich auch ein sehr großer Anspruch. In dem Zusammenhang zitiere ich immer gerne Cory Doctorow, der gesagt hat, es gibt nicht deswegen mehr Verschwörungstheorien, weil die Leute dümmer geworden sind, sondern weil es mehr Verschwörungen gibt.

Eines seiner Lieblingsbeispiele war Corona. Die USA sind das Land, in dem es eine Opioid-Epidemie gibt, das Land, in dem die Pharma-Industrie es geschafft hat, künstliche Opioide als etwas ganz Harmloses darzustellen. Und genau dieser Pharma-Industrie sollen die Menschen jetzt vertrauen?

Kreißel: Ja, also, das ist sicherlich ein guter Punkt. Aber die Antwort kann nicht sein, dass wir jetzt gar nichts mehr glauben. Wenn wir glauben, dass es gar keine objektive Wahrheit mehr gibt, dann sind wir ziemlich lost. Auch wenn ich gleichzeitig sage, dass es natürlich schwer ist, sich der Wahrheit anzunähern. Und auch wir sagen nie, dass wir die Wahrheit für uns gepachtet haben. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir korrigieren, wenn wir falsch liegen.

Aber ich glaube, es ist schon wichtig, dass man nicht den Glauben an die objektive Wahrheit verliert, die es gibt. Dass wir die objektive Wahrheit nicht haben, oder nicht hundertprozentig mit ihr übereinstimmen, das ist natürlich dann nochmal eine andere Geschichte. Aber dass es die gibt und dass man sich ihr annähern kann mit bestimmten Methoden. Und erst wenn man Fakten in der Hand hat, dann kann man auch was tun gegen Ungerechtigkeiten und gegen Probleme, die es da tatsächlich auch gibt.

Gerade solche Probleme wie die Opioid-Epidemie lassen sich nur lösen, wenn Leute zusammenarbeiten. Und das funktioniert nur, wenn man eine gemeinsame Faktenbasis hat und natürlich auch ein gewisses Grundvertrauen ineinander.

„Wir wollen den demokratischen Diskurs stärken“

TR: Aber oft geht es nicht um Fakten, sondern um Einschätzungen, Bewertungen und Meinungen.

Kreißl: Es ist ja nicht so, dass Volksverpetzer irgendwie die Macht hätte, jemandem zu verbieten, was er zu meinen hat. Wir können nur ein Angebot machen und sagen: Okay, da ist ein Widerspruch. Eventuell könntest du darüber nochmal nachdenken.

Aber dass jetzt da jemand seine Meinung ändert, das ist ja auch gar nicht der Anspruch, sondern die Überlegung ist halt, wenn wir diesen Narrativfehler an der Stelle aufdecken, dann können wir vielleicht in eine bessere Diskussionskultur kommen und am Ende dann vielleicht ein besseres Ergebnis haben.

Wir wollen ja den demokratischen Diskurs stärken und nicht verunmöglichen, indem wir sagen, der demokratische Diskurs soll auf Fakten beruhen und nicht auf Falschinformationen oder auf rhetorischen Tricks.

TR: Das ist jetzt aber ein dickes Brett. Wo nehmen Sie diesen geballten Optimismus her?

Kreißl: Ich glaube nicht, dass wir in 10 Jahren oder 20 Jahren einen komplett aufgeklärten Diskurs in der Öffentlichkeit haben. Alles total rational und wissenschaftsbasiert und so weiter. Aber das ist wie mit der objektiven Wahrheit: Man kommt nicht komplett heran, aber man kann ihr schon näher kommen.

Und der Erfolg von Leuten wie Trump oder Ereignisse wie der Brexit, das sind natürlich schon auch Sachen, die oft an sehr kleinen Margins hängen. Das heißt, das macht schon einen Unterschied, ob man jetzt nochmal ein paar Leute zusätzlich überzeugt, dass ein rationaler und wissenschaftsbasierter Diskurs etwas Sinnvolles ist.

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