Sabine Anna Engel: „Ich bin eine große Verfechterin von Bootstrapping“

Setzt auf Bootstrapping: Seriengründerin Sabine Anna Engel. (Foto: Sabine Anna Engel)
Sabine Anna Engel ist die Gründerin von Miomente, einer Online-Eventplattform, sowie von Frida & Fritz, einer Marke für entkoffeinierten Kaffee. Zudem setzt sie sich für mehr Frauen in der Startup-Szene ein. Wir haben mit ihr über unbewusste Vorurteile gegenüber Gründerinnen gesprochen und darüber, warum sie eine Verfechterin von Bootstrapping, also der Eigenfinanzierung von Startups ist.
t3n: Frau Engel, in einem Ihrer Linkedin-Posts schreiben Sie: „In Deutschland gibt es zu wenige Gründerinnen und sie erhalten zu wenig Risikokapital.“ Warum glauben Sie, ist das so?
Sabine Anna Engel: Ich glaube, die Ursache ist der sogenannte „Unconscious Bias“, also tief verwurzelte unbewusste Denkmuster. Es fehlt an Bewusstsein bei jedem und jeder Einzelnen von uns, dass das Geschlecht kein Faktor ist für die individuelle Leistungsfähigkeit von Menschen. Sehr häufig werden Frauen mit Vorurteilen und Zweifeln konfrontiert. Niemand meint es böse, so war es auch bei mir. Meine Mutter wollte mich dazu überreden, bei meiner Konzernkarriere zu bleiben. Freundinnen reagierten skeptisch, gar belustigt, als sie von meinen Gründungsplänen erfuhren. Und mein Opa hat nie verstanden, dass mein Mann nichts mit meiner Firma zu tun hat.
Wie kann sich das ändern?
Wir brauchen mehr Bewusstsein bei jedem und jeder Einzelnen von uns, dass Frauenkarrieren genauso verlaufen können wie Männerkarrieren. Dabei brauchen besonders Frauen oft Ermutigung, damit sie nicht von Hürden, die ihnen in den Weg gestellt werden, von ihrem Plan abgebracht werden. Mich persönlich motiviert kritisches Feedback, aber Frauen, die schnell an sich zweifeln, können da anfangen zu wackeln. Das ist nicht nur schade, sondern ein echter Verlust für unsere Wirtschaftskraft, unsere Gesellschaft und unser individuelles Lebensglück.
Sie sind selbst Gründerin von zwei Startups. Hatten Sie Probleme dabei, Risikokapital zu bekommen?
Nein – und ich habe es bisher auch nicht gebraucht. Bei Miomente hatte ich das große Glück, dass unser Geschäftsmodell uns schnell organisch in die Profitabilität wachsen ließ. Seit der Gründung habe ich nur eine Business-Angel-Finanzierungsrunde benötigt.
Ich bin eine große Verfechterin von organischem Wachstum und überzeugt davon, im ersten Schritt einen Proof of Concept zu liefern, der aus eigenen Mitteln gestemmt wird. Erst danach ist für mich der Punkt der Entscheidung, ob externes Risikokapital das Wachstum beschleunigen würde oder ob wir es organisch aus eigenen Umsätzen schaffen können. So mache ich es auch derzeit bei meinem jüngsten Startup Frida & Fritz.
Was sind Ihrer Meinung nach die Vor- und Nachteile von Bootstrapping?
Bootstrapping empfinde ich oft als hart und steinig, weil es bedeutet, dass ich mir weniger leisten kann: Weniger Mitarbeiter:innen, weniger Marketing, weniger Projekte, weniger Versuche. Die Kapazitäten sind begrenzt an allen Ecken und Enden. Durch Bootstrapping mache ich als Gründerin am Anfang so gut wie alles selbst, mein Arbeitsaufwand ist enorm. Ich empfinde das als nervenzehrend und man fragt sich oft: Wachsen wir schnell genug? Geht das Geld auch nicht aus? Wird meine Mühe sich irgendwann auszahlen?
Diesen Ängsten und Unsicherheiten stehen Vorteile entgegen, die für mich ungleich höher wiegen. Erstens: steile Lernkurven und exzellente Prozesskenntnis durch das fast-alles-Selbermachen. Zweitens: die Entwicklung eines tiefen Verständnisses der Mechaniken meines Geschäftsmodells. Und drittens: Die dringende Notwendigkeit, auf wirklich Wesentliches fokussiert zu bleiben.
Und was in all den schillernden Berichterstattungen über Finanzierungsrunden oft verschwiegen wird: Nur Bootstrapping schenkt mir die Chance, ein Unternehmen zu bauen, von dem mir nach all den Mühen der Ebene, die bei mir Jahre gedauert haben, auch im florierend-funktionierenden Zustand noch ein guter Anteil gehören kann.
Wie bewerten Sie die Vor- und Nachteile von externem Seed-Kapital?
Ich hatte bisher kein externes Seed-Kapital, jedoch sehe ich hier genau die umgekehrte Lage zum Bootstrapping: Die obenstehenden Vorteile verstehe ich in der Seed-Finanzierung als nachteiliger und die obenstehenden Nachteile werden hier vermutlich ins Positive gedreht.
Ich bleibe dabei, Bootstrapping ist für mich als Seriengründerin das Mittel der Wahl, mindestens bis zum Proof of Concept. Denn nur dann kann ich das Geschäftsmodell wirklich aufs Wesentliche fokussieren und mit für mich der höchsten Upside aus Lernkurve und Unternehmensanteilen ans Laufen bringen.
Bootstrapping ist für mich das Mittel der Wahl, mindestens bis zum Proof of Concept. – Sabine Anna Engel
Was waren bislang die größten Herausforderungen auf Ihrer Gründungsreise?
In den ersten Miomente-Jahren gab es für mich unzählige Herausforderungen, denn mit damals 24 Jahren hatte ich weder relevante Erfahrungen noch ein Netzwerk. Meine größte Herausforderung war wohl, einen Gesellschafter sowie eine Onlinemarketingagentur, die Sachleistungen als Kapital eingebracht hatte, wieder loszuwerden. Was mir dabei geholfen hat, war meine tiefste Überzeugung, dass das Geschäftsmodell funktioniert und das Unternehmen erfolgreich werden kann. So habe ich mir Geld von meiner Mutter und meinem Freund geliehen und die Anteile zurückgekauft. Der Prozess zog sich über mehrere Monate voller Druck, Angst und Unsicherheit hin, aber heute bin ich unendlich dankbar, dass ich es durchgezogen habe.
Was wünschen Sie sich für Gründerinnen in Deutschland in der Zukunft? Haben Sie einen Appell an die Politik und an VC-Geber:innen?
Mut, Selbstbewusstsein und Leidenschaft und einfach ins Handeln zu kommen – das wünsche ich mir für alle Gründerinnen. Ich wünsche mir, dass sie sich nicht abhalten lassen von ihren Visionen, ihren Leidenschaften, ihren Lebenszielen und ihrem Lebensglück. Auch dann nicht, wenn Zweifel, Skepsis und Unverständnis aus dem engsten Umfeld ihnen begegnen können.
Und mein Appell an Politik und Geldgeber:innen: Seid offen dafür und euch bewusst darüber, dass Frauen unsere Wirtschaft gleichermaßen voranbringen können, wie auch Männer. Ermutigt, helft und supported überall dort, wo ihr starke Ideen seht – unabhängig vom Geschlecht.
Ich kann mir.vorbehalte ggn frauen schon gut vorstellen, aber da meine mutter selbst seriengründerin war, glaube ich davor.selbst gefeit zu sein. Die.Vorteile der eigenfinanzierung liegen auf der hand, aber gründer stöhnen dann auch nicht selten über die großen persönlichen Opfer, etwa der liquidierung ihres privatlebens. Für einige geschäftsmodelle wird der querschnitt aus eigenkapital, potential und nacharmbarkeit nur.schwer privat zu stemmen sein, und ist wohl auch fremdfinanziert zeitkritischer und noch ein.erhebliches risiko. Viele andere sind leider an den.falschen (finanzierungs-)partnern gescheitert, mir fällt da etwa leo kirch ein. am ende lohnt sich aber das.bootstrapping für die gründer immer am meisten, wie zahlreiche (deutsche) beispiele zeigen, da sie so ungehindert ihre eigene version der wirklichkeit leben und hinterlassen können (etwa aldi oder dm). ich wünsche jedem gründer* in jedem fall, viel erfolg!