SAP-Marketing-Chefin: „Empathie und Führung nimmt uns keine Technik ab!“

Seit Januar 2018 ist Kerstin Köder verantwortlich für das Marketing von SAP in Deutschland, Mittel- und Osteuropa sowie der GUS-Region. Wir sprachen mit ihr darüber, welchen Einfluss die Digitalisierung auf das Marketing des Software-Herstellers hat und wie nah B2B- und B2C-Marketing inzwischen beieinanderliegen.
t3n: Frau Köder, bevor Sie Marketing-Chefin bei SAP wurden, leiteten Sie das Marketing bei Freenet. Wie war für Sie der Wechsel von einem B2C- zu einem B2B-Unternehmen?
Kerstin Köder: Zuerst habe ich mich gefragt, was SAP wohl gerade von mir will. Ich habe zuvor viel „shiny“ Endkunden-Marketing gemacht, Retail, End-to-End-Kommunikation und 360-Grad-Marketing. Ich habe überlegt, welche Skills, die ich habe, SAP wohl gebrauchen könnte.
t3n: Und welche waren das?
Je mehr ich mich mit SAP beschäftigt habe, umso klarer wurde mir, wo wir heute stehen. Wir sind nämlich mitten in dieser digitalen Transformation – ein viel strapaziertes Wort. Und deshalb sind auch genau die Skills, die ich jetzt mitbringe, die Relevanten für eine SAP. Sowohl als Unternehmen als auch im Marketing verändern wir uns gerade massiv: Sprich, wir kommen von einem On-Premise-Business, gehen in ein Cloud-Business, gewinnen nach vielen Großkunden zunehmend Mittelstandskunden und Startups und wollen in diesem Zug natürlich auch die Markenwahrnehmung verändern: Weg vom klassischen ERP-Anbieter hin zum innovativsten Cloud-Anbieter. Und zugleich heißt das für Marketing dann auch, das Volumengeschäft mit Leads deutlich zu unterstützen. Da hilft natürlich die B2C-Perspektive ungemein.
t3n: Inwiefern hat sich das B2B-Marketing durch die digitale Transformation verändert?
Früher war B2B-Marketing reines Event-Marketing. Mittlerweile wissen wir, – und verschiedene Studien belegen es – dass 85 Prozent der B2B-Customer-Journeys heute online beginnen und weitergehend, dass mehr als zwei Drittel der Kaufentscheidung im B2B-Bereich vor dem ersten persönlichen Kontakt mit dem Anbieter getroffen werden. Wir bewegen uns hin zu einem integrierten Marketing-Mix, der alle Taktiken – angefangen bei Online, vor allem Search, Web, Social, Newsletter, Print, Telesales oder auch Event im Rahmen von Customer-Journeys – umfasst. Das sind alles Dinge, die wir im Prinzip schon aus dem Endkundenmarketing kennen.
t3n: Was bedeutet das konkret?
Die Rahmenbedingungen im B2B-Marketing haben sich massiv geändert: Explosion der Kanäle, digital wird immer wichtiger. Der Kunde ist immer mehr empowered. Das sehen wir hier bei SAP auch ganz deutlich: Die Leute, die bei uns anrufen oder die einen Chat starten, wissen schon wahnsinnig viel über die Produkte. Wir starten nicht mehr damit, ein Produkt zu erklären, wie das vor ein paar Jahren noch der Fall war. Die Geschwindigkeit nimmt wahnsinnig zu. Das sind alles Trends, die wir im B2C-Markt schon vor paar Jahren gesehen haben. Insofern hoffe ich, dass ich viel von dem Know-how, von den Erfahrungen, die ich aus dem B2C-Geschäft die letzten Jahre gewonnen habe, hier einbringen kann.
t3n: Wie wirkt sich das auf die Strukturierung Ihres Marketings aus?
Ich glaube, da passt sehr gut der Spruch „structure follows strategy“. Wir verfolgen mit unserer Marketing-Strategie zwei große Ziele: erstens, die Markenwahrnehmung zu stärken und zu erneuern. Für uns ist es ganz essenziell, dass die Entscheider verstehen, dass wir ein innovativer Cloud-Anbieter sind, der für mehr als End-to-End-Software-Lösungen steht: „We make the world run better and improve people’s lives“, ist unsere entscheidende Haltung, übergeordnete Markenbotschaft, der sogenannte “purpose”, der uns neben den End-to-End-Lösungen deutlich von Wettbewerbern unterscheidet. Und zweitens, Nachfrage zu schaffen, Leads für den Vertrieb zu generieren und am Ende aus den Leads natürlich Umsatz. Genauso sind wir dann in den einzelnen Ländern und Regionen aufgestellt: Ein Bereich, der sich um die Marke und ein Bereich, der sich ganz klar um „Demand Generation“ kümmert. Wir sind eine sehr vertriebsnahe Marketing-Abteilung und damit natürlich auch nah am Kunden.
t3n: Das heißt, Sie arbeiten in interdisziplinären Teams?
Genau. Bei uns arbeiten sehr viele Leute, die sich mit dem ganzen Thema Brand und Story-Telling auskennen, aber auf der anderen Seite natürlich auch Leute mit einem klassischen Presales- und Vertriebshintergrund. Marketing ist für den Vertriebserfolg unentbehrlich – auch im B2B-Umfeld. Insofern haben wir sehr viele Mitarbeiter, die vertriebsnah sind, teilweise aus dem Vertrieb kommen, aber natürlich das klassische Kampagnen-Management und Customer-Journey-Denken beherrschen.
t3n: Wenn Sie auf die letzten Jahre zurückschauen: Wie hat sich die Rolle einer Marketing-Leiterin entwickelt?
Die Welt ist komplexer geworden und wir sehen jeden Tag, wie die Komplexität noch weiter zunimmt. Ein CMO geht immer mehr weg von diesem klassischen kreativen Werbemenschen und denkt heute viel Zahlen, ROI- und datengetriebener. Es geht in einem Unternehmen am Ende darum, nicht mehr in den einzelnen Silos zu denken und zu agieren, sondern sich wirklich zu vernetzen, für Themen, für Kunden, und die Mitarbeiter dann, egal, in welchem Bereich sie arbeiten, wirklich agil in Projekt-Teams zusammenzustellen. Dabei ist es wichtig, eine gute Strukturierung vorzugeben und gleichzeitig Agilität zuzulassen.
t3n: Welches ist der wichtigste Trend, den Sie aktuell sehen?
Das ganze Thema „Kunde im Fokus“. Unser Markenversprechen – ja unsere DNA – ist der Erfolg unserer Kunden, sprich: Wir wollen mit unseren Innovationen und Produkten den Kunden helfen, dass sie ihr Potenzial entfalten können. Also eine sehr reduzierte Darstellung von uns. Wir nehmen uns zurück, weil wir wollen, dass unsere Kunden erfolgreich sind. Es ist ein wesentlicher Treiber für eine Marketing-Abteilung, zu sagen: Wir brauchen mehr als nur eine Profitmaximierung, sondern wir brauchen als Unternehmen ein höheres Ziel und leisten einen Beitrag für Gesellschaft-Wirtschaft-Umwelt. Es geht nicht nur um den wirtschaftlichen Erfolg.
t3n: Darauf baut ja auch die „The Best Run“-Kampagne auf. Sind Emotionen die neue Variante, um ein vermeintlich nüchternes Produkt wie eine Software zu verkaufen?
Wir sind fest davon überzeugt, dass der richtige Weg im B2B-Bereich erfolgreich zu sein, ist, den Kunden in den Vordergrund zu stellen und nicht uns und unsere Software. Gerade in einem Umfeld, wo wir extrem abstrakte Produkte haben, wenn wir über Machine-Learning, über Artificial Intelligence usw. reden. Das funktioniert nur über Emotionen und anschauliche Beispiele, wie wir mit unserer Software Nutzen bei Kunden schaffen.
t3n: Können Sie da schon Erfolge sehen?
Wir sehen mittlerweile in eigenen Studien, welche Faktoren für Marken entscheidend sind und dazu führen, dass wir auch in Deutschland die Marke Nummer 1 sind. In der Vergangenheit und heute auch noch sind das immer Dinge wie Innovation und Verlässlichkeit, die SAP zugeschrieben werden.
Seit wir mit The Best Run draußen sind, sehen wir jetzt auch deutlich, dass Aussagen wie „SAP tut Gutes für die Gesellschaft, für die Kultur, für die Umwelt“ ganz entscheidende Kauftreiber für die Software sind. Mittlerweile kommen neue Zielgruppen, neue Generationen ans Ruder und entscheiden. Denen ist bei ähnlichen Produkten wichtig, wie das Unternehmen agiert: Ist es nachhaltig, verantwortungsbewusst, behandelt es die Mitarbeiter gut? Insofern sind wir absolut überzeugt, dass wir mit der purpose-driven Best-Run-Kampagne genau den richtigen Weg eingeschlagen haben.
t3n: Zählen am Ende also Emotionen mehr als knallharte Fakten?
Es braucht am Ende beides. Wir brauchen eine Ansprache über diese emotionalen Dinge, über anschauliche Dinge, über den gesellschaftlichen Beitrag, den wir leisten. Jetzt sind wir in der schönen Lage, dass eine Marke einen riesen Einfluss auf die Kaufentscheidung im IT-Bereich hat. Aber es geht natürlich dann doch auch um Fakten wie Verlässlichkeit und den Preis. Ebenso wichtig für eine Marketing-Abteilung: Wir werden natürlich dran gemessen, was unsere Aktivitäten bringen, was wir an Leads generieren, wie welche Medien funktionieren. Am Ende zählt auch bei uns der Umsatz, aber das Schöne ist: Die „Best Run“-Story hilft uns bei beidem. Es spielt eben alles super zusammen.
t3n: Inwieweit setzen Sie künstliche Intelligenz für Ihre Marketing-Aktivitäten ein?
Wir setzen ja ganz stark auf die neuen Technologien, sei es künstliche Intelligenz, sei es Machine-Learning. Bei allen möglichen Geschäftsprozessen, ob Entscheidungsfindung, Effizienzsteigerung oder das klassische Predictive Modelling, also datenbasierte Vorhersagen zu treffen, um einfach besser zu werden, als wenn wir nur mit menschlicher Kraft entscheiden.
Das fängt an bei Chatbots, geht Richtung Trendauswertung aus Social-Media-Themen weiter und auch bei der Kommunikation haben wir Tools im Einsatz, die bewerten, wie einfach ein Text geschrieben ist, wie verständlich er ist und für welche Ziel- und Altersgruppe er funktioniert, bis hin zur Einschätzung, welche Emotionen er weckt. Drink your own Champagne! Wäre schlimm, wenn wir unsere Produkte nicht selbst im Einsatz hätten.
t3n: Glauben Sie, dass es irgendwann keine Menschen mehr im Marketing braucht?
Ich bin fest davon überzeugt, dass es Skills gibt, die keine KI übernehmen kann. Wir sehen natürlich einen eindeutigen Shift auch im Marketing. Es geht weniger um Kreativität und Texte und Bilder, als das vielleicht noch vor zehn Jahren der Fall war. Es geht mehr um technische und analytische Skills, aber am Ende gilt es wirklich, beides zu kombinieren. Man soll die Technologie nutzen, wo sie uns in Entscheidungsprozessen einfach objektive Informationen liefern kann, aber am Ende nimmt uns Empathie und Führung keine Technik ab.