Du willst maximal produktiv sein? Dann schlaf dich aus!
Bei Elon Musk sind es sechs Stunden, bei Richard Branson fünf bis sechs und bei Marissa Mayer waren es zu Yahoo-Zeiten sogar nur vier: Die Nächte von Techunternehmern sind kurz, Schlaf kommt in den Tagesabläufen fast gar nicht vor. Die Arbeit regiert das Leben.
Überhaupt ist die kurze Nacht ein Aushängeschild für Workaholics geworden. Polyphasische Schlafmuster beschreiben ein Phänomen, bei dem Personen mehrmals pro Tag für einen kurzen Abschnitt einnicken und auf die klassischen acht Stunden verzichten. Im „Five-AM-Club“ kommen Menschen zusammen, die den Arbeitstag möglichst früh beginnen wollen, um schon morgens Wichtiges wegzuschaffen.
Was die beiden Phänomene versprechen: maximale Produktivität bei wenig Schlaf oder frühem Aufstehen. Man könnte gar sagen, dass Müdigkeit gesellschaftlich akzeptabel geworden ist. Denn wer müde ist, der muss ja hart gearbeitet haben. Wer nachts noch lange wach bleibt, der strengt sich an, der zeigt Einsatz für seinen Job. Wer hingegen früh schlafen geht oder mehr als acht Stunden im Bett verbringt, der gilt als träge, manchmal gar als faul. Schlaf wird überbewertet, klar.
Zu erklären ist die Mystifizierung des Schlafentzugs nicht. Wer sich mit wissenschaftlichen Studien beschäftigt, stellt fest: Schlaf, so zeitfressend er auch sein mag, hat durchaus einen Sinn. Der Körper braucht die Zeit der Ruhe, in der Nacht wird Energie für den neuen Tag geschöpft. Schlafmangel führt nachweislich zu einer geringeren Aufmerksamkeitsspanne, einer geringeren Gedächtnisleistung und einer geringeren Reaktionszeit.
Schlaf ist wichtig für die Leistungsfähigkeit
Schon 1996 fanden Forscher June Pilcher und John Huffcutt in einer Metastudie heraus, dass Schlafmangel die Funktionsfähigkeit stark beeinträchtigt. Für ihre Untersuchung werteten die Forscher die Daten von 1.932 Personen von 143 Studienkoeffizienten aus. Vor allem die Stimmung einer Person leidet unter dauerhaft kurzen Nächten – vielleicht erklärt das die „fürchterlichen Tiefen“ und den „unerbittlichen Stress“, den Elon Musk Mitte des Jahres auf Twitter beschrieb. Auch die kognitive Leistung nimmt ab, sogar deutlich stärker als motorische Fähigkeiten. Aktuelle Studien bestätigen die Ergebnisse.
Natürlich können solche Metastudien nicht die individuellen Voraussetzungen des Einzelnen abbilden. Auch wenn Schlafmangel zu Problemen führen kann, muss eine Nacht nicht acht Stunden lang sein, damit wir uns erholen. Was zählt, ist das Gleichgewicht zwischen Schlaf und Wachsein, auch Homöostase genannt. Vereinfacht gesagt können wir nur schlafen, wenn wir lange genug wach sind. Gewöhnlich liegt die optimale Wachphase bei 16 Stunden. Sie kann aber auch etwas kürzer oder etwas länger sein, je nach Individuum.
Wenn wir sehr viel länger wach bleiben, erhöht sich der Schlafdruck. Das ist normalerweise kein Problem, weil wir am nächsten Tag einfach früher ins Bett gehen können. Wer aber stetig erst um ein Uhr nachts ins Bett geht und fünf Stunden später wieder aufsteht, der erlebt nicht nur kurzfristig negative Effekte, sondern auch langfristig. Bei chronischem Schlafmangel drohen etwa Übergewicht und Diabetes.
Auch die innere Uhr – für deren Erforschung Wissenschaftler im Dezember 2017 den Medizinnobelpreis erhielten – spielt dabei eine Rolle. Sie bestimmt, ob wir lieber früh aufstehen oder spät. Gerät sie aus dem Gleichgewicht, kann das zu Problemen führen. Wer etwa täglich früh aufstehen muss, obwohl er ein Langschläfer ist, erleidet eine Art chronischen Jetlag. Das hat der Forscher Till Roenneberg in seiner „Munich Chronotype Study 2006“ herausgefunden. Wenn wir ständig gegen unsere innere Uhr rebellieren, etwa weil wir zum Five-AM-Club gehören wollen, kann das zu Erkrankugen führen. So haben Schichtarbeiter ein höheres Risiko für Herzkrankheiten und Krebs. Roenneberg hat außerdem festgestellt, dass Menschen, die nicht ihrer inneren Uhr folgen, häufiger rauchen – auch wenn die Korrelation nicht geklärt ist.
Den perfekten Schlafrythmus gibt es nicht
Das große Problem: Einen Richtwert für die innere Uhr gibt es nicht. Jeder Mensch tickt anders. Das beweist ein Experiment aus den 1960er Jahren: Im Andechser Bunker verbrachten Probanden bis zu vier Wochen am Stück – ohne Sonne, ohne Uhren. Forscher des Max-Planck-Instituts wollten mit dieser Methode herausfinden, ob der Tagesablauf von der Sonne gesteuert wird oder vom Organismus. Das Ergebnis: „Alle unter natürlichen Bedingungen beobachtbaren tagesperiodischen Prozesse bleiben erhalten“, schrieb Versuchsleiter Jürgen Aschoff 1981. Allerdings verschoben sich die Prozesse: Der Rhythmus sah bei jedem Probanden etwas anders aus, bei vielen ging er auch über 24 Stunden hinaus. Historiker gehen davon aus, dass durchgängiger Schlaf nicht angeboren, sondern ein kulturelles Produkt ist.
Vielleicht lässt es sich auch mit kulturellen Bedingungen erklären, dass sich Techunternehmer mit kurzen Nächten rühmen. In einer Zeit, in der Arbeit nicht nur Verdienst bedeutet, sondern für viele auch tieferen Sinn stiftet, sind kurze Nächte zu einem Statussymbol geworden. Die mangelnde Bettruhe scheint als Beleg zu dienen, wie sehr jemand für seine Sache einsetzt: Seht, wie hart ich schufte, ich verzichte sogar auf Schlaf dafür!
„Für mich sind acht Stunden Schlaf die notwendige Menge.“
Glücklicherweise gibt es auch immer Menschen, die sich solchen Trends enthalten. Microsoft-Gründer Bill Gates zum Beispiel sagt, dass er sieben Stunden Schlaf pro Nacht brauche, um kreativ zu sein. Facebook-CEO Mark Zuckerberg gibt an, dass er nie ein Frühaufsteher gewesen sei. In den frühen Zeiten des sozialen Netzwerks soll er oft nicht vor 10.30 Uhr das Büro betreten haben. Und für Amazon-Chef Jeff Bezos machen acht Stunden Schlaf den großen Unterschied. „Ich bemühe mich, das zu einer Priorität zu machen“, sagte er einmal Thrive Global. „Für mich ist das die notwendige Menge, um mich energetisiert zu fühlen.“