Der Name Lilith Wittmann ist der breiten Öffentlichkeit ein Begriff, seit die Entwicklerin im Frühjahr ein Datenleck in der unter anderem von CDU und CSU im Wahlkampf genutzten Connect-App aufgedeckt hat – und dafür verklagt wurde. Die Klage ist mittlerweile vom Tisch, die Arbeit der IT-Sicherheitsaktivistin Wittmann zum Glück nicht. Im September hatten Wittmann und ihre Kolleg:innen von der auf IT-Sicherheit spezialisierte Forschungsgruppe Zerforschung ein Datenleck in der Schul-App Scoolio gefunden.
Sensible Daten Hunderttausender im Netz
Dank der Sicherheitslücke war es den IT-Spezialist:innen über eine API möglich, Daten wie E-Mail-Adressen, Geburtsdatum, Standort und zum Teil auch Interessen sowie sensible Persönlichkeitsmerkmale wie Herkunft, Religion oder Sexualität von Hunderttausenden Schüler:innen einzusehen. Laut einem Bericht des MDR waren mindestens 400.000 Nutzer:innen betroffen. Scoolio selbst gibt die Nutzer:innenzahl mit 1,8 Millionen an. Allerdings soll es sich dabei laut Zerforschung zu einem großen Teil um leere Profile handeln. Denn die in Dresden beheimateten Macher:innen der Schul-App lassen dem IT-Team zufolge „ungefragt Accounts anlegen“, sobald die App heruntergeladen und einmal geöffnet wird.
Zerforschung hat bei Scoolio noch einige andere kritische Punkte gefunden, die das Kollektiv in einem entsprechenden Blogbeitrag umfassend dokumentiert. So sammle die Schul-App Daten der Schüler:innen bei „Persönlichkeitstests in Form von Jobquizzes und anderen lustigen Mini-Games“. Diese würden dann zum gezielten Ausspielen von Werbung genutzt und zum Teil an Arbeitgeber:innen verkauft, um sogenannte Leads zu generieren, so ein Vorwurf. Zudem würden die zum Teil sensiblen Gruppen, die etwa einiges über sexuelle Orientierung, Religion oder Herkunft verrieten, nicht ausreichend moderiert.
Scoolio sammelte 2 Millionen Euro ein
Kritisch sehen Wittmann und ihre Kolleg:innen zudem, dass das Startup trotz solcher und ähnlicher Schwächen, was den (Daten-)Schutz der Schüler:innen angeht, in den vergangenen fünf Jahren seit der Gründung zwei Millionen Euro von – staatlichen – Investoren einsammeln konnte. Diese, so Wittmann, dürften keinen echten Security Audit durchgeführt oder die dabei gefundenen Probleme ignoriert haben.
Die Sicherheitslücke, über die Zerforschung sowohl Scoolio als auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und den sächsischen Datenschutzbeauftragten am 20./21. September informiert hatte, ist jetzt geschlossen. Wittmann und ihre Kolleg:innen hatten eine 30-tägige Disclosure-Phase gewährt und wendeten sich erst Anfang dieser Woche an die Öffentlichkeit. Für die IT-Sicherheitsspezialist:innen hat Scoolio für das Schließen des Datenlecks zu lange gebraucht: Scoolio hätte die Lücke innerhalb von 72 Stunden schließen und alle Nutzer informieren müssen, wird Wittmann vom MDR zitiert.
„Falsches Signal“: Kein Bußgeld für Scoolio
Ein Bußgeld muss Scoolio nicht befürchten. Der sächsische Datenschutzbeauftragte erklärte gegenüber dem MDR, seine Behörde habe „die zeitlichen Abläufe in Anbetracht der Umstände und Kapazitäten des konkreten Verantwortlichen noch als vertretbar angesehen“. Zudem habe sich Scoolio kooperativ gezeigt und „erste informationssicherheitstechnische Maßnahmen“ schon kurzfristiger eingeleitet und „nicht erst mit Ablauf nach dreißig Tagen“. Wittmann erklärte dagegen, dass dies „ein falsches Signal“ senden würde.
Scoolio selbst ließ übrigens wissen, dass man die Sicherheitslücke geschlossen habe und Security jetzt zur Priorität machen wolle. Es seien keine Nutzerdaten durch Dritte abgefangen worden. „Wir sind uns unserer extremen Verantwortung gegenüber der Zielgruppe Schüler:innen bewusst. Insbesondere beim Thema Sicherheit handelt es sich um einen kontinuierlichen Prozess, den wir ständig neu denken und in unsere Arbeit einfließen lassen. Daher haben wir bis zum Ende des Jahres mehrere Maßnahmen zum Daten- und Jugendschutz geplant.“ Scoolio stehe dafür, die App zu einem sicheren Ort zu machen, an dem sich Schüler austauschen können, so Scoolio-Chef Danny Roller.