Sexistische Werbung: Warum diskriminierende Anzeigen noch immer ein Problem sind

Stereotype haben sich über Jahre in der Gesellschaft festgesetzt. (Foto: HalynaRom / Shutterstock)
„Bowljob for free“ steht in großen Buchstaben auf einem Werbeplakat: Manche feiern die Kampagne von Anfang 2024 als kreatives Marketing, andere sehen in der Anspielung auf einen Blowjob Sexismus. Aber ab wann ist eine Werbeanzeige wirklich sexistisch? Wir haben eine Expertin gefragt.
Was ist sexistische Werbung?
Katja Heintschel von Heinegg, Geschäftsführerin des Deutschen Werberats, kommt bei der Kampagne zu einer klaren Einschätzung. „Das war nicht sexistisch, damit wird keine Person auf ihre Sexualität reduziert“, so Heintschel von Heinegg. Die Organisation von Unternehmen aus der Werbewirtschaft hat sieben Kriterien definiert, die für sie herabwürdigende und diskriminierende Werbung beschreiben.
Als sexistisch wird eine Werbeanzeige laut Heintschel von Heinegg demnach beispielsweise angesehen, wenn eine Person objektifiziert wird, ihr sexuelle Verfügbarkeit nahegelegt wird oder sie durch Nacktheit herabgewürdigt wird. Für solche Fälle hat der Werberat eine eigene Beschwerdestelle, an die Menschen Bilder von Werbeanzeigen schicken können, die sie als unangemessen ansehen.
Klare Einteilung gelingt nicht immer
2024 hat das 15-köpfige Gremium etwa ein Gasthaus gerügt, das eine weibliche Mangafigur mit kurzem Rock und sichtbarem, nacktem Po genutzt hat, um für Bier zu werben. Für den Werberat ist diese Werbung sexistisch, da „die Frau auf ihre sexuellen Reize reduziert“ werde – der Körper werde zum Blickfang. Diese Begründung veröffentlichte der Werberat online.

Katja Heintschel von Heinegg ist ZAW-Geschäftsführerin und Sprecherin des Werberats. (Foto: Marina Weigl / ZAW)
In einem solchen Fall ist die Einteilung recht eindeutig, allerdings gibt es auch Grauzonen. Was ist etwa mit der Werbeanzeige eines Fitnessstudios, die eine junge Frau mit einem dekolletierten Sport-BH bei einer Fitnessübung zeigt? „Die einen sehen das als empowernd an, die anderen als sexistisch“, so Heintschel von Heinegg. Für den Werberat war das Motiv letztlich kein Grund, das verantwortliche Unternehmen aufgrund von Sexismus zu kontaktieren.
Stereotype müssen nicht herabwürdigend sein – oder?
Auch beim Thema Stereotype fehlt Einheitlichkeit: Laut Heintschel von Heinegg muss nicht jeder Einsatz von Stereotypen automatisch herabwürdigend und damit ein Fall für den Werberat sein. „Nur weil etwa eine Frau beim Putzen gezeigt wird, um ein Putzmittel zu bewerben, ist es nicht per se herabwürdigend“, sagt die Werberat-Geschäftsführerin.
Miriam Scheibe, projektverantwortliche Person für die Werbemelder.in vom Verein Pinkstinks, sieht das anders. Bei dem Portal Werbemelder.in können Menschen ebenfalls diskriminierende Anzeigen einreichen, die Mitarbeiter:innen der NGO einordnen. Stereotype sind für Scheibe etwas, was ebenfalls diskriminierend ist.

Miriam Scheibe ist für das Projekt Werbemelder.in verantwortlich. (Foto: Pinkstinks)
„Bei stereotyper Werbung werden klischeehafte Rollenvorstellungen bedient. Sie sind Teil sexistischer Darstellungsweisen und wirken sehr negativ auf das Geschlechterverhältnis“, so Scheibe. Etwa ein Drittel der Einsendungen ordnet der Verein den Stereotypen zu – etwa ein Mann, der seine Muskeln anspannt, neben dem Slogan „Kaltduscher gesucht“ und damit Kraftfahrer anwerben will. Solche Rollenbilder stärken diskriminierende Werbung aus Sicht von Scheibe. Sie würde sich eine generelle Ahndung von Stereotypen durch den Werberat befürworten – der sieht sich laut Heintschel von Heinegg aber nur dann zum Handeln berufen, wenn seine Kriterien getroffen werden.
Sexistische Motive im Handwerk und der Gastronomie verbreitet
Sowohl der Werberat als auch Pinkstinks schauen sich an, aus welchen Branchen die problematischen Anzeigen kommen. Bei den öffentlichen Beispielen der Werbemelder.in fällt auf, dass viele Beschwerden Bezug auf Anzeigen aus dem Bereich Handwerk kommen. Auch laut Heintschel von Heinegg vom Werberat fallen in dem Bereich mehr Beschwerden auf.
„Lange haben wir auch Motive auf Lkw gesehen, gerade bei kleinen Unternehmen, das ist aber deutlich zurückgegangen“, so die Werberat-Geschäftsführerin. Ballungen der Anzeigen gibt es etwa im Bereich Gastro – ein Klassiker ist das tiefe Dekolleté mit Bierkrügen zur Bewerbung eines Volksfests.
Zudem fällt laut Heintschel von Heinegg ein Nord-Süd-Gefälle auf: „Es kommen mehr Anzeigen aus dem Süden, als aus dem Norden“, sagt sie. Eine Erklärung hat sie dafür nicht.
Ursache: Fehlendes Marketing-Know-how
Wofür es eine Erklärung gibt: Gerade bei kleineren Unternehmen fallen sexistische Anzeigen auf. Sowohl Scheibe als auch Heintschel von Heinegg nennen als Ursache fehlende Marketing-Abteilungen und Bewusstsein. „Da ist dann keine böse Absicht dahinter, manche wollten einfach einen Witz machen“, so Heintschel von Heinegg. Große Unternehmen, mit eigenen Marketing-Abteilungen, haben mehr Ressourcen, Anzeigen vorher zu überprüfen – in der Regel allein dadurch, dass mehr Menschen vorab darauf schauen.
Wie funktioniert Werbung ohne Sexismus? Dafür gibt Diversity-Expertin Isabel Gabor Tipps:
Gerade bei doppeldeutigen Sprüchen ist der in der Gesellschaft verbreitete Humor nach wie vor eine Ursache für das Entstehen von sexistischen Anzeigen. Dieser Humor ist seit Jahrzehnten verbreitet und verschwindet nicht einfach.
Gleiches gilt für das alte Motto „Sex sells“, das laut Heintschel von Heinegg aber nur noch „vereinzelt“ gilt: Junge, leicht bekleidete Frauen bringen Aufmerksamkeit. Diese Strukturen zu ändern, dauert Jahrzehnte – das sagen sowohl Scheibe als auch Heintschel von Heinegg.
Selbstregulierung statt Gesetz
Und was ist mit dem einst geforderten Gesetz zum Verbot von Sexismus in der Werbung, das ab der #metoo-Bewebung 2017 in Deutschland zur Debatte stand? Bisher gibt es keines, das Thema ist versandet. 2022 lobte Justizminister Marco Buschmann den Werberat als „Instrument der Selbstkontrolle“ und fügte an, „der Staat muss nicht alles regeln“. Wenig überraschend sieht auch Heintschel von Heinegg ein Gesetz als unnötig an: Der Werberat habe die Akzeptanz, da er aus der Branche heraus entstanden ist. Geurteilt werde nicht aus einer externen Sicht, sondern es werde auf Dialog gesetzt.
Pinkstinks, das ab 2013 ein solches Gesetz forderte, fokussiert sich seit 2017 mit dem Portal Werbemelder.in mehr auf die Aufklärung. Ein Verbot von sexistischer Werbung ist bisher nicht mit dem bereits geltenden Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb zu vereinbaren. Pinkstinks hält ein generelles Verbot aber nach wie vor für sinnvoll.
Während Scheibe eine wachsende Awareness sieht, beobachtet Heintschel von Heinegg etwas anderes: Die Zahlen von Beschwerden, die sich über Diversität in der Werbung beschweren, nehmen zu. „Allerdings ist es nach wie vor eine Minderheit“, so die Werberat-Geschäftsführerin. Dennoch zeigt auch das Beispiel, wie Werbung ein Spiegel der Gesellschaft ist – ändert sich die gesellschaftliche Stimmung, ist das in Anzeigen sichtbar.