Für Denys Nagel waren die Pandemiemonate ein echter Stresstest. Doch sein Unternehmen, die Holzconnection, hatte mit der Kombination aus Filialgeschäft und Onlinehandel gute Voraussetzungen, die Krise unbeschadet zu überstehen. Deshalb will der umtriebige Berliner lieber über ein ganz anderes, größeres Thema rund ums Holz sprechen – über ein Zukunftsprojekt, das ihm am Herzen liegt, wie er sagt. Doch der Reihe nach.
17,2 Milliarden Euro Umsatz hat die Möbelindustrie im Jahr 2020 in Deutschland erzielt, gut 34,5 Milliarden Euro waren es im Möbelhandel. Trotz steigender Holzpreise und Schwierigkeiten mit der Lieferkette ist die Branche in der Krise optimistisch geblieben. Und auch wenn gut ein Viertel des Gesamthandelsumsatzes auf die drei großen Möbelketten Ikea, XXXLutz und Höffner entfällt, haben auch spezialisierte Onlineanbieter eine gute Chance, am pandemiebedingten Cocooning-Trend der Deutschen teilzuhaben – also dem sozialen Rückzug in die – möglichst komfortabel eingerichteten – eigenen vier Wände.
Einer dieser spezialisierten Onlineanbieter ist Holzconnection, eine in Berlin ansässige Firma, die bereits seit 1984 Regale und Möbel nach Maß fertigt. Gegründet hat sie der Vater von Denys Nagel, dem heutigen Inhaber und Kopf des Unternehmens. Er setzte dabei schon früh auf Digitalisierung – weit bevor andere verstanden haben, dass das Digitalgeschäft ein wichtiges Standbein des Möbelhandels wird. Den Begriff Möbelhändler hört Nagel allerdings nicht gern: „Seit knapp 40 Jahren setzt die Holzconnection konsequent auf den Baustoff Holz in der Produktion, ist aber kein klassischer Möbelhändler, sondern klar in der Handwerkstradition positioniert.“
Auch wenn das nach reichlich Handwerksromantik klingt, sind die Dimensionen des Unternehmens inzwischen gänzlich andere: Die Holzconnection hat insgesamt gut 150 Mitarbeitende und produziert mit rund 8.000 Bauteilen in der Woche Möbel, die es insgesamt auf ein Gewicht von 120 Tonnen im Monat bringen.
Den Weg der Digitalisierung hatte Nagel in Form eines ersten Webshops bereits 2007 beschritten, damals war er selbst noch Student. Seit 2010 beschäftigt er sich mit Onlinewerbung. All das sorgte zunächst für mehr Zulauf in den Läden und war die Grundlage für die fortschreitende Automatisierung der Produktions- und Vertriebstechniken. Inzwischen erinnern die Workflows eher an ein international vernetztes Unternehmen als an einen Handwerksbetrieb.
Programmatic Design nennt Denys Nagel die Art, wie Kund:innen ihre Möbel online konfigurieren können. Nach einigen Grundvorgaben, etwa bei einem Regal oder Sideboard, lassen sich Breiten und Höhen mit der Maus verschieben, sodass das Möbelstück anhand hinterlegter Daten angepasst und in Echtzeit mit den hinterlegten Preisen versehen wird. Ist das Möbelstück fertig konfiguriert und bestellt, wird der Auftrag automatisch im Rahmen von „Sales to Machine“ in die Produktion gegeben, „designed und engineered in Deutschland“, wie CEO Nagel betont.
In der Berliner Zentrale sitzen 15 Techniker:innen und Tischlermeister:innen, die sämtliche Aufträge, die über die verschiedenen Shops ankommen, in einem CAD-Programm bearbeiten. Dort werden unter anderem die gesamten Bohrungen definiert und die Stücklisten mit Seitenwänden, Böden und Zubehör erstellt. Diese Daten werden digital über eine inhouse entwickelte Produktionsplanungs- und Steuerungssoftware nach Polen geschickt, wo Maschinen die Teile individuell produzieren und mit QR-Codes versehen. Der 6.000 Quadratmeter große Produktionsstandort arbeitet im Dreischichtsystem und ist somit die verlängerte Werkbank des Unternehmens.
Datenhoheit und maschinelles Know-how
Bislang ist Polen die einzige Produktionsstätte, doch Nagel denkt bereits weiter: „Es macht wenig Sinn, die Ware Tausende Kilometer zu transportieren. Stattdessen bietet es sich an, auch dezentral weitere lokale Produktionen einzurichten, eine Produktionsstraße mit CNC, Säge und Kantenbearbeitung und einigen Mitarbeitenden zu haben.“ Denn wer die Datenhoheit und das maschinelle Know-how habe, könne vergleichsweise schnell einzelne Satellitenproduktionen erstellen und die Produktionsdaten und Aufträge einfach per Datenleitung anbinden.
Auch der Grad der Vertikalisierung liegt bei Holzconnection deutlich näher am globalen Möbelhaus als am Handwerksbetrieb. „Wir haben vom Rohmaterial und der Massivholzproduktion über Fertigung und Zuschnitt bis zur Lieferflotte inzwischen alles in der eigenen Hand. Das Rohmaterial kommt von kleineren bis größeren Forstbetrieben und Sägewerken – und dank Partnerschaften, die sich über die letzten mehr als 30 Jahre entwickelt haben, kommen wir so bislang gut durch die aktuelle Nachfragekrise im Holzbereich“, erklärt Nagel. Dabei setzt das Unternehmen nach eigenen Angaben ausschließlich auf nachhaltige Forstwirtschaft aus europäischen Mischwäldern. Auch wenn der hohe Holzpreis und die Materialknappheit der Branche derzeit stark zu schaffen machen, glaubt Nagel, dass es sich vor allem um ein vorübergehendes Lieferkettenproblem handelt, sodass sich das Ungleichgewicht aus Angebot und Nachfrage mittelfristig wieder auf einem vernünftigen Level einpendeln wird. „Ich habe mich immer gegen das weitreichende Outsourcing gesträubt, weil ich glaube, dass das uns gerade in der aktuellen Situation einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil bietet und uns ermöglicht, in alle Richtungen und Vertriebswege zu wachsen.“
Die Holzconnection betreibt 13 Ladengeschäfte bundesweit, die traditionell eher Showroom als großflächiges Möbelhaus im Industriegebiet sind. Dabei setzt das Unternehmen auf eine „Research online, Purchase offline“-Strategie, ist sich aber der Unterschiedlichkeit und Vielfalt der Kund:innen und deren Customer-Journeys bewusst. Schon deshalb hält die Holzconnection an einem viermal pro Jahr erscheinenden Katalog fest, der neben der PDF-Variante auch gedruckt ins Haus geliefert wird. Der hat eher eine Art Magazincharakter mit Storytelling-Elementen und erfüllt, so Friedrich Kautz, der das Design & Strategic Planning verantwortet, auch die Funktion, die Vorzüge und Eigenschaften der einzelnen Materialien und Holzarten für die Kund:innen aufzubereiten.
Dass das Unternehmen an dem haptisch wertigen Medium Katalog festhält, hat auch damit zu tun, dass größere Kaufentscheidungen, wie sie ein Möbelkauf darstellt, meist von mehreren Personen im Haushalt zusammen getroffen werden. Unterm Strich geben Kund:innen pro Kaufvorgang oder Bestellung durchschnittlich 3.500 Euro aus – naheliegend also, dass eine solche Entscheidung eher langfristig sowie abwägend und vergleichend erfolgt, sagt Kautz. „Unsere Customer-Journey ist sehr vielfältig und enthält, wie bei größeren Anschaffungen üblich, multiple Touchpoints. Vom Research-Impuls, der immer öfter in den sozialen Medien stattfindet, über die längere Beschäftigung mit Materialien in unserem Magazin bis hin zum Entschluss, zur Beratung in den Store zu gehen, ergänzen sich diese Elemente erfahrungsgemäß gut.“
Bei vielen Kaufvorgängen gehen – nicht erst seit der Pandemie – analog und digital Hand in Hand. „Die Kunden informieren sich im Webshop, haben dann einen Zoom-Call mit der Filiale, die sich ihre Ideen anhört und sie berät. Im zweiten Schritt kommen sie dann in den Store, wo das konkrete Produkt geplant und ausgesucht wird.“ Gerade seit der Pandemie spielt die Beratung via Videochat, Whatsapp, E-Mail oder Telefon eine immer wichtigere Rolle. Auch wenn es daher schwieriger wird, im Rahmen einer channelübergreifenden Strategie zu beziffern, wie viel online und offline jeweils auf den Umsatz einzahlen, resultieren rechnerisch etwa 30 Prozent des Umsatzes aus dem Onlinegeschäft. Dabei ist Holzconnection zwar die Kernmarke, aber zur Gruppe gehören außerdem noch Marken wie Audena, die online only etwas weniger Individualisierbarkeit verspricht als Holzconnection, oder die auf Bücherregale spezialisierte Traditionsmarke Paschen, die Nagel 2015 aus der Insolvenz rettete und die traditionell eher eine ältere Zielgruppe hat.
Nagel glaubt an zielgruppenspezifisches Marketing und will mit den Marken unterschiedlich ausgerichtete Kund:innen erreichen. Die Gemeinsamkeit: Alle sollen bereit sein, für ein nachhaltiges, designorientiertes Produkt den damit verbundenen Preis zu zahlen. „Bei einer älteren Zielgruppe im ländlichen Raum, die eher nicht in unsere Stores kommt, targeten wir komplett anders als etwa bei einer jüngeren, digitalaffinen Kundengruppe.“ Im Onlinebereich legt das Unternehmen einen Schwerpunkt auf Suchmaschinenwerbung sowie auf Social-Media-Marketing, vor allem bei Facebook und Instagram.
Vor-Ort-Vermessung mit 3D-Laserscan
Aber auch die Wohnbereiche der Kund:innen werden mit einbezogen: Die Mitarbeiter:innen von Holzconnection können Räume vor Ort per 3D-Laserscan ausmessen und dann das virtuelle Produkt planen und anpassen. Zusätzlich steht eine Augmented-Reality-Lösung zur Verfügung, die es Kund:innen ermöglicht, ihre geplanten Möbel über das Smartphone oder Tablet bereits in den eigenen vier Wänden zu sehen oder im Laden per Augmented-Reality-Brille und Unreal Engine zu erkunden. „Die Kund:innen sollen von uns die Möglichkeit bekommen, sich das optimal in den eigenen Räumen vorzustellen. Und sie sollen eine Bestätigung bekommen, dass eine bestimmte Variante wirklich so klasse aussieht, dass sie den hochwertigen Kauf rechtfertigt“, beschreibt es Kautz. Auch das viel diskutierte Metaverse-Konzept könne in Zukunft ein idealer Verkaufsplatz werden, um die Möbel vor dem Kauf erfahrbar und erlebbar zu machen, glaubt der Firmenchef. Konkrete Visionen gebe es dazu aber noch nicht.
Die Holzconnection hat für ihre Softwarelösungen ein eigenes Entwicklungsteam und setzt bei der Wahl ihrer Softwareinfrastruktur einerseits auf bewährte Lösungen, andererseits aber auch auf kleinere Digitalagenturen und starke Individualisierung. Der 3D-Konfigurator oder die Augmented-Reality-Anwendung, mit der sich Interessent:innen ihr Möbelstück in die eigenen vier Wände holen können, kommen von kleineren Dienstleistern, die das Unternehmen nicht näher benennen will. Lösungen wie der Kalkulator, der mit einfachem Verschieben den sich ändernden Materialwert live im Browser rendert, den damit verbundenen Aufwand berechnet und das fertige Produkt ins CAD-System weiterspielt, sind auch selbst entwickelt.
Als CAD-Lösung kommt bereits seit Jahren Top Solid mit entsprechenden Erweiterungen zum Einsatz, und während in der Vergangenheit noch einige Marken als Magento-Shop online gingen, laufen inzwischen alle bis auf zwei Shops in der Cloud von Shopify. Es handelt sich dabei um ein aufgebohrtes Shopify mit umfangreichen Erweiterungen in den einzelnen iFrames, erklärt Nagel. Das CRM-System schließlich kommt von Pipedrive, im Reklamationsmanagement wird Zendesk verwendet.
Heute nur die Möbel, bald ganze Häuser
Für die Zukunft plant die Unternehmensgruppe buchstäblich Großes: In den nächsten zwei Jahren wolle man vom Möbel-Level in die nächste Ausbaustufe wechseln und komplette eigene Holzhäuser unter den Marken Holzhomes und E-Homes anbieten. Die sollen mit dem Know-how der Holzconnection sowohl gebaut werden als auch die passenden Inneneinbauten und Einbaumöbel erhalten. Dabei handelt es sich, betont Kautz, nicht um Tiny Houses, sondern um vollwertige Holzgebäude mit 130 bis 150 Quadratmetern Wohnfläche, die den Ansprüchen eines üblichen Hauses gerecht werden. Ein besonderes Augenmerk legt das Unternehmen dabei auf die Designsprache. Zum Einsatz kommen eigene Farbpaletten mit umweltschonenden Lacken, zahlreiche Massivholzpaneele und Raumtrenner in der Inneneinrichtung. Dabei werden Technologiepartner aus dem Smarthome- und Audiobereich wie Bang & Olufsen mit einbezogen.
Bislang entstehen in Deutschland gerade einmal 18 Prozent der Einfamilienhäuser in Holzbauweise – ein Anteil, den Kautz erhöhen will. Doch der Weg wird lang: „Das ist eine Art Nischenprodukt, bei dem man erst einmal eine Innovatorenrolle einnehmen muss, um das Vertrauen der Kund:innen zu gewinnen.“ Über 60 Prozent der CO2-Emissionen würden aus Wohngebäuden resultieren – einerseits aus der Energie, die rauskommt, aber auch aus der Energie, die beim Bau reingesteckt wird. Gerade hier könnte Holzbauweise nachhaltiger und effizienter wirken.
Die Holzconnection habe für sich erkannt, dass individuelle Fertigung nach „Losgröße 1“ kein Widerspruch zu einem skalierenden Geschäft sein muss, und Digitalisierung und Handwerk sich nicht ausschließen. „Die Zukunft bringt hier noch mehr Automatisierung und Just-in-Time-Produktion. Die funktioniert nur, wenn sie möglichst nahe am Kunden dran ist und möglichst viele Teile des Prozesses in der eigenen Hand hat“, glaubt Nagel.