Spryker und der steile Weg zum nächsten SAP
So ein typischer Startup-Gründer in der Tech-Welt ist Alexander Graf eigentlich nicht. Zumindest mit Blick auf Herkunft und Werdegang. Der Pfarrersohn mit ostdeutschen Wurzeln hat beispielsweise eine Vergangenheit als Feldjäger bei der Bundeswehr (also der Militärpolizei), ist Offizier der Reserve. Seit längerem hat er aber nur noch die Welt des E-Commerce im Visier. Was bei der Otto Group begann, mündete in inzwischen mehr als 20 Gründungen – allesamt im E-Commerce, viele davon auch mit Otto-Weggefährten wie dem Aboutyou-Frontmann Tarek Müller. Graf hat dabei nicht nur den eigenen Unternehmerblick, als Host des Fach-Podcasts Kassenzone beschäftigt er sich auch mit den grundsätzlichen Entwicklungen der Branche.
Zusammen mit Co-Gründer und Co-CEO Boris Lokschin hat sich Graf 2014 aufgemacht, um aus Spryker Systems, der nach Selbsteinschätzung „am schnellsten wachsende digitale Handelsplattform für Unternehmen für B2B, Enterprise Marketplaces und Unified Commerce“ sozusagen das nächste SAP zu machen, also eine aus Deutschland kommende global führende Softwarelösung. Zumindest in Sachen Wachstum und Kundenportfolio muss sich das Unternehmen nicht verstecken. Gut 500 Mitarbeitende hat Spryker inzwischen, im kommenden Jahr sollen es schon deutlich über 1.000 sein. Als Kunden kommen für die Plattform-Lösung vor allem die größeren Unternehmen mit komplexen Anforderungen infrage. Aldi und Siemens gehören ebenso dazu wie Hilti, Ricoh oder Toyota.
Spryker ist damit auch so eine Art (noch deutlich kleinerer) Gegenentwurf zum inzwischen mit weiter über 100 Milliarden US-Dollar schweren E-Commerce-Dienstleister Shopify des deutsche Gründers Tobias Lütke. Während Shopify auch in der durchaus von größeren und sehr großen Unternehmen genutzten Variante Shopify Plus ganz bewusst Grenzen in der Komplexität setzt, hat Spryker genau solche Kunden mit Bedarf an einer maßgeschneiderten Lösung im Blick. Die beiden Unternehmen setzen sozusagen von unterschiedlichen Seiten an, nehmen es dabei aber beide auch mit Konzernen wie eben SAP auf.
Spryker ist von Investoren bereits Ende 2020 mit 500 Millionen Euro bewertet worden. Seitdem haben Graf und das Team mit ihrer „E-Commerce-Software für große Unternehmen, die irgendwas verkaufen wollen“ eine ganze Reihe neuer Kunden gewonnen. Die Stärke sieht Graf nicht zuletzt darin, dass sich mit dem System verschiedene Geschäftsmodelle bedienen lassen. „B2B, B2C, Marktplatzmodelle, Länderexpansion, all diese Dinge. Der E-Commerce-Teil in der Software-Landschaft wird immer wichtiger. Und das ist die Maschine, die wir bauen. Wir bauen die Basis-Infrastruktur. Die ganzen Werkzeuge, mit denen man sagen kann, ich expandiere morgen nach Spanien, ich entwickle mich in Deutschland weiter zu einem B2B-Marktplatz oder ich baue eine neue Marke auf.“
„Es braucht the next SAP“
Diese ganze Idee habe es früher im EAP-Umfeld gegeben, sagt Graf, darauf basiere auch die Analogie zu SAP. Inzwischen seien alle zum Kunden hin gerichteten Aktivitäten in das Commerce-System gewandert. „Deswegen hat es auch das Potenzial, das nächste SAP zu werden. Nicht als Unternehmen, sondern tatsächlich von der Größenordnung der Engine“, so Graf. Spryker mache das besonders gut für große bis sehr große Unternehmen, die „mit dem, was sie bisher im Einsatz haben, nicht weiterkommen“, weil es beispielsweise zu teuer, zu langsam sei oder gar nicht gehe. „Dieses Geht-gar-nicht gibt es bei uns nicht“, sagt Alexander Graf. „Wir bieten ein Baukasten-System an, das alle Möglichkeiten bietet, das Geschäftsmodell zu erweitern.“
Diese Challenge habe sich für Unternehmen erst in den letzten zehn Jahren ergeben. Vorher ging es nur um einen gut funktionierenden Onlineshop; um Aspekte wie individuelle Rabatte, eine personalisierte Sicht auf den Store oder den Bedarf des nahtlosen Übergangs von Smartphone zu Tablet. All diese Anforderungen gebe es mittlerweile auch im B2B-Bereich. „Diese Dinge lassen sich mit Software, die in den 90er Jahren entwickelt wurde, nicht lösen. Deshalb braucht es halt the next SAP“.
Ziel: Jährliches Wachstum um 100 Prozent
Ein solche Entwicklung ist auch für den Anbieter selbst herausfordernd. Noch dazu wenn es das erklärte Ziel ist, jedes Jahr um 100 Prozent zu wachsen. Gerade darin sieht Alexander Graf aber auch die Stärke von Spryker. Das Momentum löse viele Probleme. Es gebe so viele Dinge, die neu seien, von denen noch keiner eine Ahnung habe. Das erzeuge so viel Energie, die auch ein Gemeinschaftsgefühl erzeuge und keine Silos zulasse.
Von den 500 Menschen, die inzwischen für Spryker arbeiten, seien gerade 80 zumindest virtuell noch in Berlin angesiedelt. „Die sehen aber gar nicht mehr das Büro in den letzten beiden Jahren.“ Der Rest des Teams verteile sich global und auf alle Zeitzonen. Durch die Disziplin, in Tools wie Slack oder Zoom zu arbeiten, gebe es keinen Kulturverlust. „Ganz im Gegenteil“, findet Graf.
„Der geilste Arbeitgeber, den es gibt“
Das Wachstum sei auch die Voraussetzung für zukunftsorientiertes Arbeiten. „Die nächsten 200 Entwickler, die ich einstelle, arbeiten an Lösungen, die vielleicht 2023 oder 2024 zum Einsatz kommen.“ Die Internationalisierung und Größe der Marke sei auch wichtig, um an die Top-Talente heranzukommen. „Die Leute, die wir im vergangenen Jahr eingestellt haben, die hätten wir vor 3, 4 Jahre nicht bekommen.“ Die lösungsorientierte Kultur mit möglichst flachen Hierarchien spreche die Toptalente an.
Gleichzeitig brauche es aber die richtigen Rahmenbedingungen wie maximale Flexibilität. Full Remote gilt dabei schon als Default-Einstellung. „Wenn Leute sagen, sie wollen das halbe Jahr surfen, nur sechs Stunden arbeiten und dafür im Winter zwölf Stunden, dann müssen wir das ermöglichen. Die müssen trotzdem so viel Geld bekommen, wie sie am Facebook-Campus bekommen würden. Die müssen trotzdem alle Perks und alle neuen Geräte bekommen. Die müssen ihren Freunden sagen, Spryker ist der geilste Arbeitgeber, den es gibt. Die müssen für den Rest des Arbeitsmarktes total versaut sein.“