Der Fachkräftemangel in Deutschland ist auf einem dramatischen Niveau – nicht nur in der IT. Das hat den Arbeitgeber- zum Arbeitnehmermarkt werden lassen und bringt Unternehmen dazu, sich stärker mit den Bedürfnissen potenzieller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu befassen. Ob Fahrtkostenzuschüsse für das Auto, Supermarktgutscheine für Lebensmittel und Haushaltswaren, finanzielle Zuschüsse für Homeoffice oder Fitnessstudio-Mitgliedschaften – die Unternehmen gehen immer kreativere Wege im Kampf um fehlende Fachkräfte.
Doch auch wenn diese sogenannten Benefits immer wichtiger werden, zeigen Umfragen regelmäßig, dass die wichtigsten Kriterien für Zufriedenheit im Job nach wie vor eine gute Bezahlung und flexible Arbeitszeit sind. Beide Punkte laufen in einem Arbeitstrend zusammen, der hierzulande hitzig debattiert wird: die 4‑Tage-Woche bei gleichbleibendem Gehalt. Kritikerinnen und Kritiker halten sie flächendeckend für utopisch, doch Medienberichte von Unternehmen, die sie etabliert haben, häufen sich.
Stellenanzeigen mit 4‑Tage-Woche versechsfacht
Einen statistischen Blick auf diese Debatte gewährt jetzt eine Datenanalyse der Personalmarktforscher von Index. Demnach habe sich die Zahl der Stellenanzeigen, in denen das Schlagwort 4‑Tage-Woche auftaucht, seit 2019 mehr als versechsfacht. Waren es damals noch 12.911 Stellenanzeigen von 2.301 Unternehmen im Gesamtjahr, die mit der 4‑Tage-Woche warben, sind es allein vom Januar bis zum September 2023 bereits 85.703 Anzeigen von 13.171 Unternehmen gewesen. Bis Jahresende dürfte der Wert noch ansteigen.
Untersucht hat Index dafür 200 Printmedien, 275 Onlinemedien, das Stellenportal der Bundesagentur für Arbeit sowie etwa 650.000 Firmenwebsites. Mit 30.303 Annoncen sind die mit Abstand meisten Stellenanzeigen mit dem Schlagwort im Bauwesen und im Handwerk geschaltet, gefolgt von 20.503 in technischen Berufen sowie 13.971 im Tourismus und im Gastgewerbe. Im Wissenschaftssektor sowie dem Einkauf und der Materialwirtschaft sind mit 467 und 457 Annoncen die wenigsten Stellenanzeigen geschaltet.
4‑Tage-Woche: Das konkrete Modell bleibt unklar
Die Auswertung von Index geht jedoch nicht darauf ein, ob es sich bei den untersuchten Stellenausschreibung jeweils um eine tatsächliche Arbeitszeitverkürzung oder lediglich eine Arbeitszeitflexibilisierung handelt. Im Rahmen der 4‑Tage-Woche gibt es mehrere Modelle: Beim 100-80-100-Modell wird für 80 Prozent der bisherigen Arbeitszeit das volle Gehalt bei hundertprozentiger Produktivität ausgezahlt. Beim belgischen Modell wird 100 Prozent der Arbeitszeit bei gleichem Gehalt auf vier Tage pro Woche verteilt.
Während das belgische Modell die Arbeitszeit lediglich verdichtet und somit das Potenzial für Stress und damit in Zusammenhang stehende krankheitsbedingte Ausfälle deutlich erhöht, führt das 100-80-100-Modell eher zu Stressreduktion und macht die Menschen nachweislich gesünder, wie verschiedene Studien in Großbritannien, Island und der Schweiz gezeigt haben. Menschen, die einen freien Tag mehr haben, nutzen die gewonnene Zeit für Sport, für Aktivitäten mit ihren Kindern oder einfach nur, um sich von der Woche zu erholen.
Aus Großbritannien heißt es etwa, dass 39 Prozent der Mitarbeiter sich durch den 100-80-100-Ansatz weniger gestresst fühlten, 71 Prozent wiesen ein geringeres Burn-out-Niveau auf. Auch Angstzustände, Müdigkeit und Schlafprobleme gingen deutlich zurück. Von den 61 Unternehmen, die die 4‑Tage-Woche getestet haben, hätten nach der Untersuchung 56 daran festgehalten. Auch in Deutschland will ein Pilotprojekt mit 50 Unternehmen aus verschiedenen Branchen dahingehend für Tatsachen sorgen. Start ist der 1. Februar 2024.