Innovativer Schulbau: Zuckerrohrabfälle als nachhaltiger Baustoff

Ein Maurer vermörtelt Blöcke aus Zuckerrohrabfällen. Die Wand ist heute Teil eines neuen Schulgebäudes bei Neu-Delhi. (Bild: UEL)
Manche Schülerinnen und Schüler im indischen Noida bei Neu-Delhi lernen seit kurzem in einem Gebäude der besonderen Art Lesen, Schreiben und Rechnen. Das lichtdurchflutete Haus mit grünen Fensterrahmen wurde statt aus Ziegelsteinen oder Beton aus Zuckerrohrabfällen gebaut. Ein luftiges Klassenzimmer hat darin Platz.
Forschende der University of East London (UEL) haben dafür Mauersteine aus Bagasse – wie Zuckerrohrabfälle auch genannt werden – entwickelt. Sie tauften sie „Sugarcrete“, eine Kombination der englischen Wörter „sugar“ für Zucker und „concrete“ für Beton. Ein Patent dafür gebe es nicht, heißt es aus der Universität. Das nachhaltige Baumaterial solle an möglichst vielen Orten genutzt werden. Immerhin werden weltweit jährlich rund zwei Milliarden Tonnen Zuckerrohr geerntet – deutlich mehr als etwa Weizen – und das nicht nur in Indien, sondern unter anderem auch in Brasilien, Mexiko und Australien.
Weniger CO₂-Emissionen als Beton und Ziegelsteine
„Zuckerrohr ist eine schnell wachsende Pflanze. Sie wandelt Kohlendioxid fünfzigmal schneller in Biomasse um als Wälder“, sagt der UEL-Forscher Armor Gutierrez Rivas, der Sugarcrete mitentwickelt hat. Der neue Baustoff aus den Zuckerrohrabfällen sei daher deutlich klimafreundlicher als gängige Alternativen. Die Blöcke aus Bagasse hätten einen sechsmal kleineren CO₂-Fußabdruck als Ziegelsteine, ein Fünftel sei es im Vergleich zu Beton. Zudem bleibt der Kohlenstoff aus dem Treibhausgas in den Blöcken viele Jahre lang gebunden. Hinzu kommt: Das Mauern mit dem neuen Baustoff wird fast schon zum Kinderspiel, denn die Bagasse-Blöcke sind viermal leichter als Ziegelsteine. Verklebt werden sie mit Kalkmörtel, der eine bessere CO₂-Bilanz hat als etwa Portland-Zement.

Indische Kinder lernen in einer Schule, die aus Zuckerrohrabfällen gebaut wurde. (Bild: UEL)
Am Projekt waren auch Architektinnen und Architekten der Universität Delhi sowie das Unternehmen Chemical Systems Technologies (CST) beteiligt. Die Baustoffblöcke sollten stets lokal gefertigt werden, am besten direkt neben einer Zuckerrohrmühle, betont der CST-Gründer Sunil Singhal. Das spare Transportkosten und Treibhausgasemissionen. Außerdem könnten die Menschen, die das Zuckerrohr ernteten, mit der Herstellung der Bagasse-Blöcke zusätzlich Geld verdienen.
Wie die Bagasse zu Baustoff wird
Bagasse, das sind etwa zwei Meter lange Pflanzenfasern. Sie bleiben übrig, wenn Zuckerrohr in Mühlen gepresst wird, um den süßen Saft zu extrahieren. Die Fasern bestehen im Wesentlichen aus Zellulose, Hemizelluose und Lignin. Die Forschenden schreddern diese Fasern, mischen sie mit mineralischen Bindemitteln wie Natriumsilikate, das auch brandschützende Eigenschaften hat und pressen sie in verschiedene Formen, zum Beispiel eben in die klassische Ziegelsteinform.
Bagasse ist auch ein Rohstoff für andere Produkte, zum Beispiel für Papier, bioabbaubares Einweggeschirr oder Tierfutter. Als Baustoff ist das Material des UEL-Teams erst in den letzten Jahren bekannt geworden. Es wurde mehrfach ausgezeichnet. Das Schulgebäude in Indien ist das erste größere Anwendungsprojekt.
Wetterschutz durch Konstruktion
Den Projektbeteiligten war es besonders wichtig, dass die Bagasse-Blöcke den Wetterbedingungen möglichst wenig ausgesetzt sind. Ein üppiger Dachüberstand schützt vor Sonne und vor starkem Regen, eine Bodenpatte aus Beton vor aufsteigender Feuchtigkeit. Außerdem wurden die Wände mit einer Mischung aus Leim und Sand noch einmal zusätzlich imprägniert. Das Pultdach liegt nicht auf den Wänden, sondern auf einer eigenen Stahlkonstruktion. „Wir wollten in diesem Pilotprojekt erstmal nur die Wände testen“, erklärt Guiterrez.

Das große Pultdach schützt vor Sonne und Regen. (Bild: UEL)
Als Nächstes will das Team Daten sammeln – zur Langzeitstabilität, zur Akustik und zum Raumklima. Und die Forschenden wollen erfassen, wie das Gebäude bei Schüler:innen und Lehrerkräften ankommt. Offenbar erwarten sie vor allem positive Ergebnisse, denn zeitgleich verfolgen sie schon weitere Vorhaben. „Wir arbeiten derzeit an Projekten in Indien, Westafrika, Europa und Lateinamerika“, berichtet Guiterrez. In Indien erstellt seine Gruppe gemeinsam mit der NGO Paryatan Foundation zudem gerade einen Vorschlag für ein weiteres Gebäude aus Bagasse-Blöcken als Gemeinschafts- und Lernzentrum.
Auch andere Pflanzenabfälle taugen natürlich als nachhaltige Baustoffe, Hanf oder Stroh zum Beispiel. Ziegelsteinähnliche Blöcke lassen sich außerdem aus Algen und Muscheln formen und aus Pilzfäden, sogenannten Myzelien. Welches Material am besten geeignet ist, hängt vor allem von der lokalen Verfügbarkeit ab. In Indien ist es häufig die Bagasse. Die Zuckerrohrernte liegt hier bei 400 Millionen Tonnen pro Jahr.