Temu: Darauf solltest du beim Einkaufen in der Billig-Shopping-App achten
Noch eine Spur krasser und marktschreierischer als Aliexpress und Wish, das ist der Eindruck, den man als potenzieller Kunde bei Temu hat, wenn man das erste Mal die App aufruft. Das Besondere an Temu ist neben der auf Billigwaren ausgerichteten Auswahl der Gamification-Ansatz, der dich jederzeit mit Rabatten, Gewinnspielen (das Glücksrad ist gefühlt allgegenwärtig) und Sonderpreisen, die natürlich ständig schwanken, umgarnt.
Der Marktplatz ist in den letzten zwölf Monaten wohl niemandem entgangen, der irgendwo im werbefinanzierten Netz, bei Google Discover oder in den einschlägigen sozialen Medien von Youtube über Twitter bis Instagram unterwegs war. Zwischenzeitlich hat es die App auf Platz 1 in den jeweiligen Rubriken der App-Stores geschafft.
Temu-Angebot: Wundertüte aus Fernost
Das Angebot ist vielfältig, aber wenig überraschend: Asiatisch geprägter Modeschmuck, kitschige Häkeldeckchen, windige Smartphonehalter und Kleidung, die bestenfalls das Primark-Gütesiegel erfüllt. Gerade bei den billigen technischen Teilen vom USB-Hub bis zum Ladegerät lässt sich aber das eine oder andere Schnäppchen machen. Vorausgesetzt man vertraut den Teilen – denn Angaben wie CE-Konformität oder Ähnliches sucht man erwartungsgemäß vergebens. Stattdessen gibt es oftmals selbsterfundene Auszeichnungen und Gütesiegel, wie sie im asiatischen Markt beliebt sind und man sie auch in den anderen Apps mit Chinawaren aller Art findet.
Aktuell gibt es einen Mindestbestellwert von zehn Euro, von dem – nicht nachvollziehbar, aber sicherlich willkommen – immer noch mal ein Betrag als Rabatt abgezogen wird. Immerhin ist die bei Aliexpress, Banggood, Shein und einigen anderen Plattformen anzutreffende Unsitte, dass oftmals erst am Schluss im Warenkorb klar ist, welche Versandkosten anfallen, hier nicht vorgesehen. Darüber hinaus verspricht Temu Gutschriften zwischen fünf und sieben Euro, wenn eine Lieferung später als versprochen bei dir eintrifft.
Beeindruckende Zahlen über das chinesische Handelsimperium
Den europäischen Markt erobert hat Temu mit einem immensen Marketingbudget. Mit einem Wachstum von 123 Prozent hat die dahinter stehende PDD Holding ihren Umsatz im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt und ist mittlerweile das größte E-Commerce-Unternehmen Chinas – noch vor der Alibaba Group und mit einem Umsatz von umgerechnet 11,4 Milliarden Euro. Laut einer Umfrage von Appinio haben 26 Prozent der Deutschen dort schon einmal bestellt. Die App Temu wurde für die außerchinesischen Märkte erst im September 2022 eingeführt, in China selbst existiert die ähnliche Plattform Pinduoduo.
Nach Schätzungen des Marktforschungsunternehmens Marketplace Pulse hat Temu derzeit mehr als 100.000 Händler:innen in China, die Waren auf der Plattform verkaufen. Fabriken fungieren dabei als Direktvertrieb und liefern ihre Produkte an Temu-Lager in China. Diese versenden die Produkte dann direkt an Verbraucher:innen in den USA und anderen Ländern. Mittlerweile werden in Deutschland täglich schätzungsweise 200.000 Pakete an Temu-Kund:innen verschickt.
Obwohl noch keine europäischen Händler:innen über Temu verkaufen können, schauen sie interessiert auf das, was das chinesische Unternehmen da tut. Denn die Art des Verkaufens ist deutlich spontaner und gerade Händler:innen und Markenbetreiber:innen mit Waren, die es in großer Varianz gibt, können hier lernen, wie sie sich dennoch von den Mitbewerbern abheben können.
Das ist die Geschichte hinter Temu und Colin Huang
Hinter Temu verbirgt sich ein chinesisches Unternehmen namens PDD Holding, registriert auf den Cayman Islands. Zugeschrieben wird es dem Milliardär Colin Huang, einem Chinesen, der in den USA studierte und unter anderem für Microsoft und Google gearbeitet haben soll. Nach seiner Rückkehr nach China soll Huang einen Internetversandhandel für landwirtschaftliche Produkte gegründet haben. Pinduoduo, so der Name der Plattform, über die landwirtschaftliche Betriebe ihre Produkte verkaufen können, ist zum einen eine Großhandelsplattform, zum anderen aber auch eine Art Shopping-Club für eine Vielzahl an Warengruppen.
Inzwischen sollen Pinduoduo und die PDD Holdings mehr als 97 Milliarden Dollar wert sein, alleine Huangs Vermögen wird auf 25 Milliarden geschätzt. Die Plattform Temu wurde dagegen erst im Herbst 2022 in den USA an den Start gebracht, es folgten in den darauffolgenden Monaten Kanada, Australien und Neuseeland sowie die europäischen Märkte. Belastbare Zahlen zum Wachstum liegen noch nicht vor, doch die Downloadzahlen der App sprechen für sich. Derzeit belegt Temu den ersten Platz in den jeweiligen Shopping-Kategorien der deutschen App-Stores.
Ware von Temu: You get what you pay for
Die Ware, die nach der Bestellung bei Temu in vielen Fällen für asiatische Plattformen erstaunlich schnell kommt – übereinstimmend berichten Nutzer:innen im deutschsprachigen Raum von ein bis zwei Wochen Lieferzeit – ist das, was man angesichts des Preises erwartet hat. Sie unterscheidet sich eher wenig von dem, was wir seinerzeit auch bei Wish, Shein und anderen Shopping-Apps bekommen haben – und was man in der Regel auch bei Ebay oder dem Amazon Marketplace bekommt, dort aber deutlich teurer. Das ist angesichts der Cent-Beträge, die oft bei Temu aufgerufen werden, aber relativ.
Empfehlenswert oder zumindest okay ist die Ware daher, wenn man mit der entsprechenden Erwartungshaltung einkauft, was Verarbeitung, Material, Spaltmaße und Einhaltung von Normen betrifft. Auch bei uns kam die Ware in gut einer Woche – also für chinesische Verhältnisse und Logistik erstaunlich schnell – mit deutscher Absendeadresse. Der Smartphone-Ständer, der Kabelhalter, das Strandspielzeug, all das kann man problemlos kaufen, wenn die Erwartungen entsprechend bescheiden sind, bei den bestellten Kabeln und dem USB-Hub stellte sich, wie befürchtet, heraus, dass diese nicht USB-3-fähig sind. Die Billig-In-Ears klingen durchaus okay (und teurer als sie waren), im Müll landete dagegen der kleine Bluetooth-Sender für Audio, der nur kurzzeitig sein Signal überträgt.
Ein lustiges Gimmick aus der Reihe „was es nicht alles gibt“ ist die Bitcoin-Münze – wohl eher aber der Kategorie Scherzartikel zuzuordnen. Kosmetikartikel oder Haarpflegeprodukte würde man hier aber wohl eher nicht kaufen, ebenso dürfte im Bereich Bekleidung angesichts der unsicheren Größenangaben und Materialien Zurückhaltung angesagt sein.
Ist die Ware sicher und wird sie korrekt verzollt?
Doch damit kommen wir schon zu einem ernsthaften Problem, das die Verbraucherschützer:innen, aber auch Mitbewerber:innen, die deutschen Regeln unterliegen, immer wieder anprangern: „Temu muss aufgrund der geringen Artikel-Preise in vielen Fällen zudem keinen Zoll zahlen. Denn der fällt erst bei einem Sachwert ab 150 Euro an“, erklärt etwa die Verbraucherzentrale. Temu teilt daher zusätzlich größere Bestellungen auf mehrere Pakete auf – und täuscht damit den Zoll. Der kommt, wie etwa am Flughafen Lüttich, wo ein Teil der Waren aus Fernost eintrifft, laut Medienberichten gar nicht mehr hinterher. Laut tagesschau.de geht die Brüsseler Behörde davon aus, dass 65 Prozent aller zollfreien Päckchen falsch, also unterdeklariert werden, um Zollgebühren und Umsatzsteuern in Europa zu sparen.
Ein anderer Sachverhalt betrifft die Beschaffenheit der Waren: So prangern zahlreiche europäische Händler:innen und die Handelsverbände an, dass Temu zu wenig für die Missachtung von Gesetzen abgestraft werde. Anders als in Frankreich, wo etwa Werbeverbote und Strafgebühren dafür sorgen sollen, dass Temu-Waren nicht anders bewertet werden als einheimische Produkte, sei dies hierzulande nicht der Fall. So urteilt etwa Dirk Rossmann, Chef der gleichnamigen Drogeriekette: „Es gibt in Deutschland eine Narrenfreiheit für fragwürdige digitale Geschäftsmodelle. Wenn Temu die Regeln nicht einhält, sollte es einfach abgeschaltet werden.“
Sowohl die Bundesregierung als auch der Verbraucherzentrale-Bundesverband (VZBV) werfen Temu vor, Verbraucher mit willkürlich erscheinenden Rabatten, fragwürdigen Bewertungen und manipulativen Designs in die Irre zu führen. Das chinesische Unternehmen widersprach den Vorwürfen. Hinzu kommt, dass eine große Zahl an Waren nicht den europäischen Kennzeichnungspflichten nachkomme – das ist insbesondere im Zusammenhang mit Bekleidung und Kosmetika, aber auch bei Spielzeug und Sportartikeln ein Thema.
Großzügig beim Umtausch, Service in englischer Sprache
Immerhin sind Reklamationen und Umtausch innerhalb von 90 Tagen möglich, sofern die Ware im Originalzustand ist – und die erste Rücksendung wird kostenlos abgewickelt, wie die Plattform betont. Der Kundenservice ist übrigens englischsprachig, zumindest bei Nachfragen vor dem Kauf (und wahrscheinlich dann erst recht im After-Sales-Bereich).
Unterm Strich ist Temu also weit mehr als eine beliebige weitere Shopping-App aus Fernost, die dank opulenter Marketingbudgets einen guten Lauf hat. Positiv ist dagegen die Preistransparenz (nicht aber die Random-Strategie der Rabattvergabe) zu bewerten, ebenso die vergleichsweise kurzen Lieferzeiten. Auch bei der Verpackung – zusätzliche Plastiktüten, wo diese gar nicht nötig wären – lassen nicht auf ein ausgeprägtes Nachhaltigkeitsempfinden schließen.
Übrigens: Egal ob du bei Wish, Banggood, Aliexpress oder eben Temu einkauft – in diesem Ratgeber haben wir für dich zusammengestellt, was du erwarten kannst und worauf du achten solltest.