Temu im Visier: Europäischer Verbraucherschutz erhöht den Druck auf die China-Plattform

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Verbraucherschutzgruppierungen EU-weit koordiniert Beschwerde gegen Temu einlegen würden. Es geht dabei um eine Reihe von Vorwürfen aufgrund von Verstößen gegen den Digital Services Act (DSA). Teuer werden könnte das für den chinesischen Marktplatz in jedem Fall, denn Verstöße können mit bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes geahndet werden. Insofern dürfte es darauf ankommen, wie eng und kooperativ Pinduoduo, die chinesische Muttergesellschaft, mit den Behörden zusammenarbeitet.
Die hat im gerade abgelaufenen Geschäftsjahr immerhin einen Umsatz von nahezu 35 Milliarden US-Dollar vermeldet, wobei Temu als Plattform davon immerhin rund ein Viertel ausmachen soll. Damit liegt der Konzern sogar vor den beiden großen chinesischen Handelsimperien JD.com und Alibaba.
Einstufung als VLOP im Sinne des DSA gefordert
Der mit den deutschen Verbraucherzentralen vergleichbare Verbraucherschutzverband BEUC, der insgesamt 45 regionale oder landesweite Verbraucherschutzgruppen bündelt, hat eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht. Ziel ist es, dass Temu als „sehr große Online-Plattform“ (VLOP) eingestuft wird, ähnlich wie dies kürzlich auch schon Mode-Mitbewerber Shein zuteil wurde. Der Status würde für Temu erhöhte Anforderungen an die Datentransparenz und Rechenschaftspflicht nach sich ziehen, ähnlich wie das schon bei Amazon, Google Shopping und Zalando üblich ist.
All das ist – verkehrte Welt – natürlich ein Status, unter den die ansonsten auf Expansion bedachten Plattformen so gar nicht fallen wollen, weil sie damit höhere rechtliche Verpflichtungen eingehen. Doch auch wenn es dazu nicht kommt, haben immerhin gut die Hälfte der BEUC-Mitglieder bei ihren nationalen Beschwerdestellen Beschwerden gegen Temu eingereicht, weil das Unternehmen gegen die allgemeinen für alle E-Commerce-Unternehmen geltenden Regeln verstoßen soll.
Große Zahl an sehr unterschiedlichen Vorwürfen gegen Temu
Konkret geht es dabei unter anderem um Vorwürfe bezüglich mangelnder Nachverfolgbarkeit von Händler:innen und manipulatives Design der Plattform und nicht zuletzt auch fehlende Transparenz bei den Produktempfehlungsalgorithmen. Verbraucher:innen seien nicht in der Lage, so heißt es in der Erklärung, konkret nachzuvollziehen, ob ein Produkt den EU-Sicherheitsanforderungen nachkommt, und könnten daher keine fundierte Kaufentscheidung treffen.
Es gibt aber noch eine Reihe von Vorwürfen mehr, die auch deutsche Verbraucherschutzgruppen und Mitbewerber:innen an Temu richten. Das reicht von den übertriebenen Gamification-Ansätzen über herunterzählende Countdowns, die – ähnlich wie früher beim Teleshopping – die Kund:innen zum schnellen Handeln animieren wollen, bis hin zu fehlenden Jugendschutz- und Produktsicherheitsthemen. „Temu garantiert seinen Nutzern kein sicheres, vorhersehbares und vertrauenswürdiges Online-Umfeld, wie es das Gesetz vorschreibt“, heißt es im Rahmen der Beschwerde. „Letztendlich ist die große Anzahl gefährlicher Produkte, die auf Temu von nicht rückverfolgbaren Händlern durch manipulative Praktiken und undurchsichtige Empfehlungssysteme verkauft werden, Bestandteil eines giftigen Cocktails, der die Privatsphäre, die Sicherheit und den Schutz von Minderjährigen beeinträchtigen kann“, fassen die Beschwerdeführer:innen vielleicht etwas überpointiert zusammen.
Neu sind die Anschuldigungen in der Tat nicht. So hat beispielsweise eine Initiative in Frankreich zum Ziel, eine Waffengleichheit mit dem dortigen im Land selbst regulierten Handel wiederherzustellen. Und der deutsche Verbraucherzentrale Bundesverband äußerte Kritik aufgrund irreführender Produktbewertungen und Preisnachlässen auf der Plattform (hat aber jetzt offenbar doch nicht die Handhabe oder das Potenzial für eine Klage). Auch in Italien hat eine Verbrauchergruppe namens Altroconsumo im vergangenen Jahr im Rahmen eines Tests von Kosmetika, die über Temu erworben wurden, festgestellt, dass bei der überwiegenden Mehrheit der Produkte die Inhaltsstoffe nicht (oder nicht vollständig) angegeben waren.
Temu reagiert – zumindest mit einem Bekenntnis zur Transparenz
Temu dürfte jedenfalls verstanden haben, dass der Druck innerhalb des EU-Handelsraums so groß wird, dass das Unternehmen mehr bringen muss als einzelne Statements gegenüber der Politik, den Verbaucherschützer:innen und den Medien. So beschäftigt die chinesische Plattform alleine für den deutschen Raum inzwischen offenbar parallel mehrere PR-Agenturen, die ein Statement des Unternehmens zur BEUC-Beschwerde (unterschiedlich) übersetzt haben. Darin heißt es unter anderem: „Wir verpflichten uns zur vollständigen Einhaltung der Gesetze und Vorschriften der Märkte, in denen wir tätig sind. Unser Ziel ist es, die gesetzlichen Mindestanforderungen nicht nur zu erfüllen, sondern sie durch die Einhaltung höchster Best-Practice-Standards zu übertreffen. Um dies zu erreichen, arbeiten wir eng mit unseren Drittanbietern, Regulierungsbehörden, Verbrauchergruppen und weiteren Stakeholdern zusammen.“
Das Unternehmen erklärt, man habe vergangene Woche eine Unterlassungserklärung mit der Verbraucherzentrale Bundesverband VZBV abgegeben (wir berichteten). „Wir nehmen die BEUC-Beschwerde sehr ernst und werden sie gründlich prüfen.“ Man sei bestrebt, einen sicheren und vertrauenswürdigen Service zu bieten, der von den Verbraucher:innen geschätzt wird und einen erheblichen Mehrwert bietet. „Wir verpflichten uns zur Transparenz und zur vollständigen Einhaltung aller geltenden Gesetze und Vorschriften“, heißt es final – und nicht nur die Europäische Kommission wird Temu hier sicherlich beim Wort nehmen.