Tiktok: So clever nutzt Kamala Harris die Plattform für Wahlkampf und Personal Branding
Palme, Kokosnuss, USA-Flagge: Mit diesen drei Smileys ist Kamala Harris direkt zum Auftakt ihrer Kandidatur als mögliche Präsidentschaftskandidatin der Demokraten in den USA eng verbunden. Den Coconut-Tree-Hype nutzt sie zum neuen Aufbau ihrer Personal Brand. In kurzer Zeit hat ihr Team es mehrmals geschafft, einen Moment digitaler Popkultur geschickt für sich zu nutzen – davon können Marken lernen.
Zitat ist über 1 Jahr alt
Das erste Momentum war das Coconut-Tree-Zitat, das plötzlich bei Tiktok viral ging und zu einem viel geteilten Meme wurde. Zur Erklärung: Das Zitat von Harris lautet „You think you just fell out of a coconut tree? You exist in the context of all in which you live and what came before you“ (zu Deutsch: „Glaubst du, du bist gerade aus einer Kokospalme gefallen? Du existierst im Kontext von allem, in dem du lebst und was vor dir war“) und stammt aus einer Rede aus dem Mai 2023 im Weißen Haus. Über ein Jahr später geht der erste Satz viral und wird zum Meme.
Memes kommen in der Regel organisch aus einer Community. Vorgegeben werden können sie nicht, das geht nämlich nach hinten los – Michael Johann, der als Kommunikationswissenschaftler auf strategische und politische Kommunikation fokussiert ist, nennt Olaf Scholz als Beispiel. „Als Olaf Scholz den Jogging-Unfall hatte und mit der Augenklappe herumgelaufen ist, was das ein perfektes Meme-Thema“, so Johann. Allerdings habe das Team bei der Kommunikation einen entscheidenden Fehler gemacht: „Er hat den Twitter-Post abgesetzt, in dem er schrieb, sich auf die Memes zu freuen. Sie sind damit erwartbar geworden: Dadurch, dass er sie forciert hat, hat er den Trend beendet, bevor dieser überhaupt starten konntet“, erklärt Johann. Das Beispiel zeige, wie Memes nicht gewollt sein dürfen.
Coconut-Tree-Zitat wurde erst von Rechten genutzt
Sie müssen aus der Community kommen – dabei können sie auch von unterschiedlichen Interessengruppen genutzt werden. Das Harris-Zitat stammt aus einer Rede aus dem Jahr 2023. Bevor es jüngst so populär wurde, kursierte es im entgegengesetzten Lager: Politisch eher rechts gesinnte Nutzer:innen machten sich über Harris Lachen lustig. Wie und warum die Umdeutung entstand, kann Johann nicht erklären. „Die Forschung kennt nur die Beispiele erfolgreicher Memes. Um das ‚Warum‘ zu erklären, bräuchten wir auch negative Beispiele, aus denen wir ableiten können, was nicht funktioniert hat“, so Johann.
Die Grundfrage ist, wie Viralität entsteht – dazu gibt es jedoch keine eindeutige Antwort. Trends sind kurzlebig, teilweise entstehen sie laut Johann, wenn reichweitenstarke Internetpersönlichkeiten gleichzeitig auf ein Thema aufspringen. Im Umkehrschluss Influencer:innen in den Wahlkampf zu integrieren, sieht er nicht unbedingt erfolgversprechend an: Das wäre eine Top-Down-Kommunikation. Diese kann bei Memes nicht funktionieren, sie müssen immer organisch entstehen, ein Vorgeben ist nicht möglich.
Das sollten auch Unternehmen und Marken bedenken: Weder einen Trend noch einen kurzweiligen Meme-Hype können sie künstlich entstehen lassen, stattdessen können sie nur auf native Zeichen in der Community warten und diese nutzen.
Meme-Hype für Personal Branding genutzt
Ein gutes, aktuelles Beispiel ist das Engagement des Harris-Teams auf Tiktok. Sie haben den Coconut-Palm-Hype geschickt genutzt, um das Personal Branding der Kandidatin anzutreiben. Der Meme-Erfolg hilft Harris auch bei ihrer Positionierung: Sie wird zum Gegenpol von Donald Trump, dem Kandidaten der Republikaner. Während Trump gerade auf Negatives setzt und den rückwärtsgerichteten Slogan „Make america great again“ verwendet, präsentiert Harris sich als positive, vorwärtsgerichtete Kandidatin.
In ihrem ersten Wahlkampf-Spot setzt Harris auf den Begriff „Freedom“ (dt. Freiheit): Mit dem verbindet sie positive Zukunftsaussichten, wie ein funktionierendes Gesundheitssystem. Generell macht sie Versprechen für die Zukunft und sagt, was sie den USA bringen will. Trump setzt in seiner Rhetorik dagegen auf das „Nicht“: Bevor Kamala Harris ihr Video postete, veröffentlichte er ein Video, in dem er betonte, Harris nicht zu wollen. In einem anderen fordert er „keine Steuern für Trinkgelder“ – generell betont er laut Johann stets, was er nicht möchte, was er verhindern will, und baut darauf auf, für was er sich einsetzt. Harris tut das Gegenteil.
Dieser typische Unterschied bringt auch Herausforderungen mit sich: Trump lebt von Krisen, durch Meckern bringt er sich wieder ins Gespräch. Harris ist laut Johann mehr auf die positiven Trends angewiesen – etwa auf das Coconut-Tree-Meme. Für sie wird daher umso mehr gelten, jetzt Themen zu platzieren, die aus den Interessen der Community abgeleitet werden. Im Marketing würde das als „Social Listening“ bezeichnet werden.
„KamalaHQ“ spricht für Kamala Harris
Harris‘ Team scheint insgesamt stark darin zu sein, Plattformen zu beobachten und Momente zu nutzen – das sieht auch Social-Media-Expertin Viktoria Renner. Laut ihr verkörpert Harris auf Tiktok das Bild eines lockeren Charakters, zeigt geschickt die passenden Facetten für die Plattform. Dafür nutzt das Team den offiziellen Account „Kamala HQ“ – das steht für „Kamala Headquarter“ (dt.: Hauptquartier).
Ein aktuelles Video greift etwa einen Trend auf, bei dem Nutzer:innen zu einem bestimmten Sound verschiedene Outfits präsentieren. Das Harris-Team nutzt ihn, indem sie passend zum Beat Harris in verschiedenen Outfits zeigen; die Aufnahmen stammen aus anderen Videos. Harris selbst bleibt dabei seriös – sie tanzt nicht – gleichzeitig wirkt sie nahbar. Ein weiterer Vorteil: Durch das Teilen über den Harris-HQ-Account wirkt es auf den ersten Blick so, als hätten Harris-Anhänger:innen das Video geteilt und nicht sie selbst.
So bringt Harris gleich ihr Team ein und lässt andere Personen ihre Geschichte erzählen. „Vorher hat die Welt über Harris gesprochen, jetzt spricht Harris über sich selbst“, fasst Johann zusammen.
3 Learnings vom Kamala-HQ-Account für den Aufbau von Personal Brands:
Aus diesem Umgang mit Trends können Unternehmen mehrere Punkte lernen:
- Beobachte, was deine Community interessiert: So findest du heraus, mit welchen Themen du sie erreichen kannst. Daraus lassen sich thematische Schwerpunkte für deine Personal Brand ableiten.
- Beobachte Trends und adaptiere sie auf dich: Hätte Harris getanzt, wie es viele Influencer:innen tun, wäre es nicht authentisch gewesen; das Verhalten hätte nicht zu dem Bild gepasst, das sie selbst erzeugt hat. Gleiches gilt für Personal Brands: Trends müssen passend genutzt werden.
- Lass andere über dich sprechen: Harris hat sich mit Harris HQ selbst eine Profil mit Fürsprecher:innen gebaut – die werden benötigt, um eine Personal Brand zu stärken und ihr mehr Reichweite zu geben. Unternehmen und Einzelpersonen können sich dafür Verbündete suchen, die sie etwa in Beiträgen erwähnen.
Trends können nicht forciert, aber begünstigt werden
Auch wenn das Harris-Team keine Trends erschaffen kann, können sie ihre Entstehung begünstigen: Dafür ist der KamalaHQ-Account hilfreich. Auf ihm erscheinen mehrmals täglich Videos, die aktuelle Trends aufgreifen: Die Präsidentschaftskandidatin wird damit zum ständigen Teil der Popkultur. Das ist geschickt, denn der Account lässt andere für sie sprechen, aber unter strategischer Kontrolle. Zum Vergleich: Ihr Kamala-Harris-Account wird deutlich weniger bespielt.
Insgesamt sehen sowohl Johann als auch Renner die bisherigen Social-Media-Aktivitäten aus dem Harris-Team als gelungen an. Generell sei es wichtig, die Popkultur beim Wahlkampf zu nutzen. Insgesamt sieht Johann die Reaktion des Harris-Wahlkampfteams als sehr gelungen an.
Experten sehen Harris-Tiktok-Auftritt als vorbildlich an
Dem stimmt auch Social-Media-Marketing-Expertin Viktoria Renner zu: Den Umgang mit dem Coconut-Tree-Meme und dem Brat-Summer – Sängerin Charlie XCX nannte Harris auf X eine „Brat“ (dt. Göre), angelehnt an ihr aktuell beliebtes Musikalbum – sieht sie als positives Beispiel an. Das Harris-Team versteht es, die richtigen Momente zu nutzen. Spannend ist dabei laut Renner die Erweiterung des Trends: Ein Meme bekommt eine höhere Reichweite, indem es in andere Interessengruppen gebracht wird – etwa über Musik.
Das war auch beim Coconut-Tree-Meme zu beobachten: Schnell legten Nutzer:innen Songs von Taylor Swift oder Charlie XCX darunter. Das Meme wurde damit durch den Algorithmus einer neuen Zielgruppe, nämlich Fans der jeweiligen Sängerin, zugespielt. Das ist der Vorteil des Tiktok-Algorithmus: Die Nutzer:innen sehen, was ihnen gefällt. Für Marken und Personal Brands ist das praktisch, da sie so nach und nach immer neue Subkulturen auf der Plattform erreichen und sich in ihnen verankern können.
Einfluss von Tiktok auf Meinungsbildung nicht unterschätzen
Das Problem: Bestehende Einstellungen werden so verstärkt. Gerade mit Blick auf den laufenden Wahlkampf ist das gefährlich, sollten Fake News in eine Bubble gespielt werden. Dabei hat es generell Auswirkungen, was auf Tiktok als Trend entsteht, wie auch Johann sagt. „Trends entstehen auf Tiktok, Twitter oder Reddit“, sagt er. Von dort verbreiten sie sich auf andere Plattformen, wie Instagram. Zudem würden Trends laut Johann gerade durch junge Menschen, aktuell die Gen Z, entstehen. „Da ist auch wichtig, sich die Altersstruktur der USA bewusst zu machen: Gen Zs und Millennials machen knapp die Hälfte der Bevölkerung aus“, sagt Johann.
Dazu würden diese jungen Menschen vergleichsweise mehr wählen gehen als die Angehörigen anderer Altersgruppen. Diese jungen Menschen sind gleichzeitig sehr Social-Media-affin. Die Kombination sorgt dafür, dass Tiktok im US-Wahlkampf eine einflussreiche Plattform ist. „Es ist sehr richtig da stattzufinden, wo ein Großteil der Wähler:innen ist“, fasst Johann zusammen.
Generell sollte die Bedeutung der Plattform und ihr Einfluss auf gesellschaftliche Stimmungen nicht unterschätzt werden. Marken sollten daher stets einen Überblick behalten, ob sie etwa auf Tiktok auch ohne eigenen Account bereits stattfinden. Memes können sie zwar nicht beeinflussen, Viralität lässt sich nicht geplant erzeugen – aber die Wahrnehmung der eigenen Person oder der eigenen Brand kann durchaus beeinflusst werden, wie das Beispiel Kamala Harris zeigt.