Weniger Content, mehr Qualität: So wirst du bei Tiktok erfolgreich
Wie kannst du mit deinem Content aus der Masse bei Tiktok herausstechen? Eine Lösung, die lange galt: Poste viel! Je mehr Content du lieferst, desto erfolgreicher wirst du werden. Das hatte zur Folge, dass auf Tiktok auch viele Inhalte gelandet sind, die dem Begriff cringe alle Ehre machten.
Zwar kann auch unangenehmer Content für Aufmerksamkeit sorgen, für Marken ist das allerdings meist nicht die Positionierung, die gewünscht ist. Für Lacher wird gern gesorgt, aber eine Lachnummer möchte niemand sein. Um das zu verhindern, gewinnt die Qualität von Posts immer mehr an Bedeutung.
Das sieht auch Viktoria Renner. Sie ist Mitgründerin der Agentur Ozmoze, die unter anderem auf Tiktok-Content spezialisiert ist. Erfolgreich ist die Agentur mit ihrer Arbeit für den Tiktok-Account des Sprachlern-Dienstes Duolingo. Wie sie es geschafft haben, mit einem grünen Riesenvogel nicht in der Cringe-Ecke zu landen, und ihre Tipps für erfolgreichen Tiktok-Content erzählt sie in diesem Interview.
t3n: Eine dieser Tiktok-Regeln ist stets: Sei authentisch. Das ist immer leicht gesagt. Wie lässt sich das konkretisieren?
Viktoria Renner: Für das Look and Feel predigen wir auch immer ‚Storyline before Glossiness‘ – aber bei dem Wort authentisch habe ich das Gefühl, es ist ein Buzzword geworden. Ich wünsche mir eigentlich, dass wir das aus unserem Wortschatz streichen (lacht). Sascha Lobo hat schon vergangenes Jahr im Baby Got Business Podcast gesagt: Ganz ehrlich, authentische Kommunikation kann es bei Social Media nicht geben. Sobald ich auf den Socials poste, stage ich ja. Es ist eine Selbstdarstellung, eine andere Persona. Dementsprechend fand ich es interessant, wie Marken da versucht haben, eine Authentizität reinzubringen, denn sie sind ja noch nicht einmal eine Persona. Die müssen sie ja erst –gut – bilden, um sie dann darzustellen.
Ich glaube, viele Marken haben missverstanden, dass authentische Kommunikation gleichbedeutend ist mit ‚ich poste einfach irgendwas‘. Dadurch – und dadurch, dass Tiktok am Anfang pro Account drei Videos täglich wollte – ist die Content-Qualität extrem gesunken. Das ändert sich jetzt. Ich denke, authentische Community bedeutet, relatable zu sein. Wer ein Charakterbook hat und daraus auch wirklich Eigenschaften kommuniziert, der ist in der Regel eher erfolgreich. Tiktok hat ja auch angekündigt, weitere Cap-Cut-Tools, auch für Desktop, hinzuzufügen. Ich denke, da wird die Content-Qualität auf jeden Fall steigen.
t3n: Also für dieses Jahr ist das Motto: Weniger Content, aber bessere Qualität? Und die Bürogags, die eigentlich nur die eigenen Leute verstehen, sollten nicht mehr produziert werden.
Genau. Ich habe den Eindruck, Unternehmen haben einfach probiert, ihren Alltag abzubilden, ohne sich darüber Gedanken zu machen, wo die Zielgruppe den Mehrwert sieht. Bei Bürogags, die ich vielleicht witzig finde, aber Außenstehende nicht, spreche ich im Zweifelsfall nur andere Officeleute an, aber nicht meine Zielgruppe. Auch finde ich es schwierig, wenn die Kommunikation (insbesondere das Community Management) auf Plattformen primär Brand-to-Brand läuft – oder vor allem ChatGPT antwortet ChatGPT.
Wenn wir etwa in unsere Doulingo-Accounts schauen, dann finden wir teilweise Kommentare von Unternehmen, die absolut willkürlich sind. Da frage ich mich manchmal, ob die Personen vergessen haben, sich auszuloggen und eigentlich privat kommentieren wollten. Das ist dann einfach nur Kommunikation um den Kommunikationswillen. Dabei wäre es auch da wichtig zu schauen, wo die Value-Brand-Position ist. Ich denke da auch immer an das Charakterbook.
t3n: Welche Tipps hättest du für eins?
Im ersten Schritt sollten sich die Ersteller in die Zielgruppe hineinversetzen: Wofür interessieren sie sich, worüber reden sie? Es sollte sein, wie wenn sie sich gemeinsam in eine Bar setzen und ein Bier trinken. Dazu kommt dann: Welchen Accounts folgen sie bei TikTok? Welchen Mehrwert bieten die? Und gemieden werden sollten auf jeden Fall die fünf Dinge, die alle Brands sind.
t3n: Welche sind das denn?
Alle wollen witzig sein und auch provokant – das ist so das neue Ding. Provokant, aber bitte nicht ‚over the top‘. Außerdem möchten sie frech und liebenswert sein. Da besteht dann direkt die Gefahr, in die Egalität zu rutschen. Hilfsbereit wollen auch immer alle sein. Das ist ja super, aber es ist etwa bei einem TikTok-Account auch einfach eine Serviceleistung, hilfsbereit zu sein. Achso, bold wollen auch alle sein.
t3n: Okay, so lassen sich schon Buzzwords aussortieren. Du hast auch gesagt, sie sollen sich vorstellen, was die Zielgruppe bei Tiktok konsumiert. Wie können sie das denn machen?
Indem die Brands über ihren eigenen Account aktiv TikTok nutzen wie ihre User Persona und selbst anderen folgen. Sie wählen die aus, die zu ihrer Zielgruppe passen könnten. So trainieren sie den Algorithmus, der dann immer mehr dieser Inhalte ausspielt – und meinen Content auch an Accounts in diesen Bubbles adressiert. Außerdem sollten sie auch Kommentarspalten anschauen: Was wird kommentiert, wie ist das Vokabular? Bei Tiktok gibt es in jeder Bubble super viele Codes, Insiderjokes, die erst einmal verstanden werden müssen.
t3n: Und wie klappt das?
Die Nischen sind auf der Plattform sehr eng. Auch wir machen es so, dass wir uns genau die Accounts anschauen, anderen folgen und interagieren. Außerdem wird Tiktok auch als Suchmaschine genutzt. Das sollte mit Blick auf das Charakterbook bedacht werden: Wenn ich für meine Brand so einen Charakter definiert habe, wem würde der folgen? Mag er Sport? Dann suche ich eben verrückte Sportarten und schaue, was ich dabei finde.
t3n: So wird der eigene Account langfristig quasi zur eigenen Zielgruppe?
Ja. Das ist ja auch das schöne auf Tiktok, jeder kommuniziert auf Augenhöhe, auch Brands mit Individualpersonen. So muss ich dem Algorithmus auch Anhaltspunkte geben, wo er mich ausspielen soll. Das schaffe ich eben, indem ich selbst anschaue, was meine Zielgruppe interessieren könnte, was zum Charakter meines Charakterbooks passt. So hole ich mir dann auch Inspiration für meinen Content.
t3n: Worauf sollte ich denn achten, wenn ich meinen eigenen Content erstelle?
Unterhalte oder informiere, sorge dafür, dass es auf deine For-You-Page passt und komm schnell zum Punkt – die ersten Sekunden zählen. Das gilt bei TikTok nach wie vor, auch wenn sie die Möglichkeit für längere Videos bieten. Jedes Video sollte einen TikTok nativen Mehrwert für die User:innen bieten. Dabei sollte der Fokus zum Anfang immer auf kurzen Videos liegen. Bei Longform ist es noch schwieriger, TikTok hat uns schließlich gezeigt, dass wir nicht 30 Minuten brauchen, um eine Botschaft gut rüberzubringen. Stattdessen sollten wir uns fokussieren.
t3n: Inwieweit sollte auf Hashtags geachtet werden, um die Suche zu nutzen?
Wir empfehlen da fünf Hashtags, die wirklich gut zum Content passen. Bitte setzt keinen Hashtag vor eure eigene Marke, es sei denn sie ist schon zum Meme geworden wie bei #Duolingo, sondern überlegt auch da, was eure Zielgruppe suchen würde. Meine Kaffeemaschine hat neulich gesponnen: Was suche ich da? Nicht die Marke, sondern beispielsweise ‚Kaffeemaschine macht komische Geräusche‘. Außerdem sind auch Talking Captions sinnvoll. Der Algorithmus hat viele verschiedene Stufen, den Content zu analysieren. Im Idealfall sollten zusätzlich Textoverlays genutzt werden. Bei allem gilt: Seid spezifisch, übt euch im Storytelling.
t3n: 2024 soll das klassische Storytelling, was jahrelang gern genutzt wurde, nicht mehr gefragt sein. Stattdessen ist Kreativität gefragt, die sich etwa nicht mehr an der Heldenreise orientiert. Wie hole ich mir dafür Input?
Auf der For-you-Page bei Tiktok. Sie ist der ideale Ort, denn dort entwickelt sich eine Eigenlogik. Daher machen wir es bei uns so, dass Mitarbeiter:innen auch bewusst Zeit zur Rechereche auf der Plattform verbringen. Sie durchsuchen dann die For-you-Page der Brand Persona gezielt nach Trends. Außerdem sollten sich Unternehmen trauen, Dinge zu tun, die so wirklich noch nicht gemacht wurden. Geht dazu in eure Communitys rein. Traut euch von eurer Marketingbotschaft und eurem Branding zu lösen. Mein Rat an Marketing-Vorstände: Traut bitte euren Mitarbeiter:innen – die wissen schon, was sie machen.