Topsharing: Was kann geteilte Führung?
Während Jobsharing in der Arbeitswelt von morgen langsam ankommt, ist Shared Leadership, auch Topsharing genannt, immer noch ein Randphänomen. Gemeint ist hier, sich zu zweit eine Führungsposition zu teilen. Dabei bietet es viele Vorteile für Unternehmen und Angestellte, wenn eine Führungsrolle in vier Händen liegt anstatt in zweien. Zwei, die Topsharing erfolgreich vormachen, sind Carola Garbe und Catherine-Marie Koffnit von der Deutschen Bahn. Gemeinsam verantworten sie das HR-Management im Regionalbereich Ost von DB Netz – und damit rund 5.000 Mitarbeiter. Mit ihrer geteilten Führung stehen sie im Topmanagement noch ziemlich allein auf weiter Flur. Das sollte sich dringend ändern, findet das Topsharing-Tandem.
Fragt man Carola Garbe und Catherine Koffnit, wie sie zu ihrer geteilten Führungsrolle gekommen sind, erhält man nicht die häufig gehörte Antwort, sie wollten Kinder und Karriere besser unter einen Hut bekommen. Stattdessen werden beide Frauen nachdenklich. Carola Garbe war eigentlich seit 2011 alleinige HR-Managerin im Regionalbereich Ost, Catherine Koffnit als Personalleiterin direkt unter ihr. Im Jahr 2016 erlebten beide dann tragische Einschnitte. Enge Kollegen starben plötzlich und unerwartet. Das hat beide beruflich wie privat ins Grübeln gebracht, berichten sie. „Wenn zwei Kollegen sterben, halten vermutlich alle inne und fragen sich: Was machst du da eigentlich? Bei mir hielt das Innehalten allerdings an“, erzählt Carola Garbe. So stand die heute 56-Jährige an einem Punkt, an dem sie nicht mehr weitermachen wollte wie bisher. Sie wollte mehr Freizeit, mehr Raum für sich. Ihren Job aufgeben oder eine Karrierestufe zurückgehen wollte sie allerdings nicht. „Ich liebe meinen Job und habe hart dafür gearbeitet, gefährden wollte ich das auf keinen Fall“, berichtet die Bahn-Managerin. Also habe sie sich nach Alternativen umgeschaut, denn eines sei ihr klar gewesen: Teilzeit ist im Topmanagement noch absolut unrealistisch.
Teilzeit war keine Option – eine Alternative musste her!
„Irgendwann kamen wir auf die Idee, uns zu zweit eine Stelle zu teilen“, erzählt Catherine Koffnit. „Carola hatte vom Jobsharing-Modell gelesen und weil wir uns – ich war damals ihre Stellvertreterin – immer sehr gut verstanden haben, wollten wir uns das Konzept gemeinsam mal näher anschauen.“ Das haben die beiden dann sehr ausführlich gemacht. Die DB-Managerinnen haben nach anderen Job-Tandems gesucht, sich über Linkedin und Xing vernetzt und Telefoninterviews geführt. „Wir haben einfach Pärchen in der Republik kontaktiert, die das machen, und wollten wissen: Wie kamt ihr dazu? Wie habt ihr das gemacht? Wie habt ihr euch aufgestellt?“, erklärt Koffnit die Recherche.
Carola Garbe und Catherine Koffnit wollten eine solide Vorstellung von Shared Leadership haben, bevor sie ihre Idee dem Vorstand präsentierten. Beim Jahresgespräch im Februar 2017 war es dann so weit – Carola Garbe hat die Idee des Topsharing mit ihrer Chefin geteilt. Das mulmige Gefühl blieb zunächst. Wie würde der Vorstand den Wunsch auffassen, dass eine Topmanagerin plötzlich mehr Freizeit haben will? Wie sich zeigte: gut – allerdings unter Vorbehalt. Für ein Jahr durften Garbe und Koffnit ihr Projekt pilotieren. Das Wichtigste dabei war, ein Konzept zu entwickeln, das für alle Seiten befriedigend ist – für Vorstand und Team. „Bei unserem Konzept war es außerdem wichtig, zu überlegen, ob man das Projekt leicht adaptieren und perspektivisch vielleicht sogar mit in Stellenausschreibungen aufnehmen kann. Struktur ist bei Shared Leadership unverzichtbar“, ergänzt Koffnit. Statt sich nur einen groben Rahmen zu überlegen, haben die beiden intensiv Stakeholder-Management betrieben, das Team befragt und eine geregelte Übergabe festgelegt.
Wie genau teilen sich die beiden also eine Stelle?
Carola Garbe und Catherine Koffnit besetzen je eine 60-Prozent-Stelle. Am Montag arbeiten immer beide, den Rest der Woche ist entweder nur Carola Garbe oder Catherine Koffnit da. Die beiden wechseln sich also wochenweise ab. „Dadurch hat man dann tatsächlich mehr Freizeit“, sagt Carola Garbe. „Für uns war das am sinnvollsten. Doch nicht nur wir persönlich profitieren von der geteilten Position, auch für das Unternehmen bedeutet das einen enormen Mehrwert.“
Welche Vorteile bietet das Topsharing?
Der Nutzen für Jobtandem und Unternehmen war deutlich größer, als Koffnit und Garbe zunächst angenommen hatten. So haben die beiden Frauen nicht nur mehr Raum für neue Ideen und Innovation, die Familie und sich selbst, sondern auch den besten Coach direkt zur Seite. „In unserer Führungsebene ist es selten, dass man Entscheidungen mit jemandem reflektieren kann. Dadurch, dass wir zu zweit sind, können wir das allerdings schon“, sagt Catherine Koffnit. „Wir haben einander, um über alles zu sprechen. Jemanden zu haben, der in den gleichen Themen steckt, mit dem man sich beraten kann, ist enorm wertvoll“, ergänzt Carola Garbe. Und auch das Unternehmen profitiert vom gegenseitigen Coaching. Denn: Jede hat ihre ganz eigene Art, zu führen. Wenn man einmal in Führung ist, wechselt man vielleicht mal die Führungsposition, der Führungsstil bleibt aber oft der gleiche. Das ist bei Garbe und Koffnit anders. Sie hinterfragen ständig, wie sie als Topsharing-Tandem besser agieren können.
Habt ihr Sorge vor dem Mama-Papa-Phänomen?
Natürlich gab es aber auch einige Herausforderungen, die das Leadership-Pärchen meistern musste. Eine Frage, die im Team am Anfang sehr präsent war: Habt ihr Sorge vor dem Mama-Papa-Phänomen? Also davor, dass ihr gegeneinander ausgespielt werdet? Dieser Befürchtung begegnen Koffnit und Garbe allerdings total offen. „Es ist zugelassen, dass jemand lieber mit Catherine redet als mit mir oder umgekehrt“, sagt Carola Garbe. „Das ist nur menschlich und bei uns wird auch nicht gewertet, warum jemand besser mit der einen kann als mit der anderen. Wir machen daraus gar keine große Sache. Uns geht es nur darum: Jemand will ein Problem gelöst haben und darf dann entscheiden, bei wem er sich damit am besten aufgehoben fühlt.“ Dass das Tandem mit diesem Phänomen so gelassen umgeht, hat durchaus seinen Grund. Denn: Heute verlassen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht ihre Unternehmen, sondern ihre Chefs. „Wir haben unserem Team ganz offen gesagt, dass sie in der Wahl ihrer Ansprechpartnerin frei sind. Wir haben allerdings auch gesagt, dass wir im Nachgang natürlich alles gemeinsam diskutieren“, erzählt Carola Garbe weiter.
„Was wir übergeben, ist ganz oft der Tenor zu einem Thema.“
Dafür hat das Topsharing-Pärchen strukturierte Übergaben etabliert, die am gemeinsamen Montag erfolgen. Ein Teil der Übergabe besteht natürlich aus einer fachlichen Übergabe mit einem detaillierten Chartsatz, der größere Teil besteht aber aus einem menschlichen und emotionalen Part. „Was wir übergeben, ist ganz oft der Tenor zu einem Thema“, berichtet Garbe. „Wir erzählen uns die Dinge, die nirgendwo aufgeschrieben sind, Zusammenhänge, Flurgespräche. Das sind ja die Aspekte, die man sonst nicht so mitbekommt.“
Die fachliche Arbeit gepaart mit der emotionalen Kompetenz macht das Konzept des Pärchens am Ende so erfolgreich. Ganz klar ist auf jeden Fall: Die beiden sind begeistert von ihrer geteilten Führung, ganz egal, welche Vorarbeit und Organisation sie zunächst bedeutet hat. Außerdem sind sich beide sicher, ein Konzept mit Zukunft geschaffen zu haben. Catherine Koffnit weiß: „Die Gesellschaft um uns verändert sich. Die Generation, die jetzt heranwächst und auch irgendwann mal in Führung gehen wird, will nicht mehr so arbeiten, wie wir mal gearbeitet haben – sechs Tage die Woche, auch am Wochenende. Die Zukunft der Arbeit stellt neue Fragen, eine Antwort darauf ist definitiv Topsharing.“
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