Fitness, Schlaf, Kalorien: Wann reicht es mit dem Tracking?

Sag mir, wie ich schlafe: Tracking ist in (fast) allen Lebensbereichen angekommen. (Foto: Troyan / Shutterstock)
Das Handy erinnert per Push-Benachrichtigung an die tägliche Sporteinheit, die Ringe auf der Apple Watch feuern an, noch ein paar Schritte zu tun, und der Schlaftracker zeigt, dass die Nacht wieder ein bisschen zu kurz war: Mit Gadgets und Apps scheint es ganz einfach, den eigenen Körper im Blick zu haben. Doch was hilft wirklich – und wann wird es zu viel?
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Unter anderem mit dieser Frage beschäftigt sich die Diplompsychologin Vivien Suchert – sie hat zu dem Thema auch ein Buch rausgebracht: Das vermessene Ich. Auf Anfrage von t3n erklärt sie, Tracking könne durchaus dabei helfen, neue Gewohnheiten zu etablieren oder alte abzulegen: „Ich erhalte direktes Feedback zu meinem Verhalten und kann dieses entsprechend anpassen. Daher eignet sich die Selbstvermessung auch so gut zur Verhaltensänderung.“
Damit das Tracking sinnvoll ist, müsse allerdings einiges beachtet werden. Auch hier gilt, wie so häufig: Vorab sollten konkrete Ziele gesetzt werden, die in einem gewissen Zeitraum erreicht werden sollen. Nur so lasse sich der Erfolg auch wirklich messen.
Wer Gewohnheiten verändern möchte, sollte außerdem darüber nachdenken, was für ihn oder sie dabei eine besondere Herausforderung sein könnte. „Ich habe wenig Zeit für Bewegung, möchte aber unbedingt einen aktiveren Alltag führen – vielleicht ist es dann sinnvoll, schon konkret Zeiten einzuplanen, um aktiv zu sein, oder eben aktive Fortbewegung zu nutzen, um in Bewegung zu geraten, aber wenig an meinem Alltag ändern zu müssen“, gibt Suchert als Beispiel.
Bei diesen Zielsetzungen kommen Apps in der Regel schon an ihre Grenzen: Sie können uns die Arbeit mit uns selbst schließlich nicht abnehmen. Apps sind zwar geeignet, um den inneren Schweinehund zu überwinden – allerdings helfen sie nicht, wenn die Ursachen für mangelnde Motivation oder andere Schwierigkeiten beim Erreichen der Ziele tiefer gehen.
Auch Professor Viviane Scherenberg von der Apollon Hochschule für Gesundheitswirtschaft weist gegenüber t3n auf die begrenzten Einsatzbereiche von Tracking-Apps hin. Sie seien nicht für jede:n geeignet, im Zweifelsfall solle mit dem:der Hausärzt:in gesprochen werden.
Im Allgemeinen könnten Tracking-Apps jedoch helfen, die eigene Gesundheit zu reflektieren. „Push-Nachrichten, Auszeichnung und Rankings können motivieren, das Verhalten zu ändern“, so Scherenberg. Aber auch diese Belohnungsmaschen funktionieren nicht automatisch dauerhaft. „Solche Belohnungselemente nutzen sich durch Gewöhnung nicht selten ab“, sagt sie.
Tracking-Apps sind also nicht immer geeignet. Dazu kommt: Sie sind nicht unbedingt genau. Die öffentlichen Angebote in App-Stores werden nicht geprüft, sie unterliegen keiner Qualitätskontrolle. Darauf weist auch der Verbraucherschutz hin.
Außerdem arbeiten viele Apps laut Diplompsychologin Suchert mit Algorithmen, die die Daten verarbeiten. Diese Algorithmen seien „anhand bestimmter Personengruppen entwickelt“ worden, sie würden „auf Analysen von Mittelwerten einiger weniger Variablen“ beruhen. Daher könnten die Apps auch mal „danebenliegen“.
Insgesamt hänge die Zuverlässigkeit von vielen verschieden Faktoren ab. Tracking-Apps sollten daher grundsätzlich wenn dann zur Einordnung genutzt werden – User:innen sollten also nicht alle Angaben als genau werten.
Außerdem sollte sowohl bei Apps als auch bei Wearables darauf geachtet werden, die Erhebung eigener Körperdaten nicht zum Zwang zu machen. „Wenn die Selbstvermessung zu einem echten Stressfaktor wird, würde ich noch mal überlegen, ob ich wirklich alles messen muss und was ich damit überhaupt bezwecken möchte“, so Suchert. Nur noch auf die Werte zu achten und dabei das eigene, nicht getrackte, Körpergefühl zu verlieren, könne gefährlich sein.
Wer merkt, dass das Tracking mehr Stress auslöst als dass es motiviert, sollte sich also davon verabschieden. Aufgeben ist das nicht, wie auch die Psychologin Christiane Attig in ihrer Dissertation zum Thema Wearables zeigt: 30 bis 70 Prozent würden das Tracking nach einigen Monaten abbrechen.
Eine eingelegte Pause muss zudem nicht bedeuten, dem Tracking auf ewig abzuschwören, so Attig: Wer mal aufhört zu tracken, wirkt damit möglicherweise dem Stress entgegen, den er:sie sich mit dem Tracking macht. Sowohl das Vergessen als auch das bewusste Entscheiden gegen das Beobachten mit Apps und Gadgets des eigenen Körpers kann somit der Gesundheit dienen.
Disclaimer: Die Qualität von Tracking-Apps und Gadgets variiert und das Tracking ersetzt niemals eine medizinische Betreuung. Wenn du gesundheitliche Beschwerden hast oder merkst, dass Tracking negative Emotionen bei dir auslöst, wende dich damit in jedem Fall an qualifizierte Fachleute.
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