Hätte der Staat Lilium und seine Flugtaxis vor der Insolvenz retten sollen? Was dagegen sprach

Dass Lilium regelmäßig die eigenen Ziele gerissen hat – geschenkt. Tesla macht das schließlich dauernd, und ein elektrischer Senkrechtstarter ist noch einmal um Größenordnungen komplexer als ein E-Auto. Dass ein Startup mit einer derart ambitionierten Technik stets knapp bei Kasse und jetzt insolvent ist, dürfte vor diesem Hintergrund kaum verwundern. Verpasst Deutschland mit den versagten Zuschüssen also wieder einmal die Chance, Spitzentechnik im Land zu halten – und das wegen vergleichsweise bescheidener 100 Millionen Euro? (Zum Vergleich: Alleine die Sanierung der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim kostet das 13-fache.)
Lilium-Insolvenz: Warum stehen die Investoren nicht Schlange?
Nein. Für die verweigerte Zahlung vom Bund gibt es gute Gründe. Erstens: Wenn sich private Anleger zieren, warum sollten dann ausgerechnet die Steuerzahler:innen ins Risiko gehen? Wenn elektrischen Flugtaxis wirklich ein so riesiger Markt winkt, wie gerne behauptet – warum stehen die Investoren dann nicht Schlange? Es wäre nicht das erste Mal, dass die Politik aus Standortpatriotismus sinnlos Steuergelder versenkt. (Den Älteren unter uns sagt der Name Philipp Holzmann vielleicht noch etwas. Die Jüngeren werden sich sicherlich noch an die ganzen Rettungspakete für Galeria Kaufhof erinnern.)
Zweitens hätte eine Entscheidung zugunsten von Lilium etwas Willkürliches. Warum soll genau diesem Startup geholfen werden, und anderen nicht? Es ist ja nicht so, dass sich der Bund komplett aus der Unterstützung visionärer Technik heraushält. Genau zu diesem Zweck hat er schließlich die Agentur für Sprunginnovationen (Sprind) gegründet. Dort werden allerdings alle Projekte von Expert:innen nach bestem Wissen und Gewissen evaluiert. Das ist bei Lilium offenbar nicht der Fall.
Drittens geht es dabei nicht nur um Investitionen in ein bestimmtes Startup, sondern auch in ein bestimmtes Verkehrssystem. Deshalb sollte sich die Politik auch fragen, ob sie dieses System wirklich braucht beziehungsweise haben will. Vieles spricht dafür, dass Flugtaxis nicht wirklich zur Lösung irgendwelcher Probleme beitragen. Dazu reicht ein kleines Gedankenexperiment. Man stelle sich beispielsweise den Mittleren Ring in München zur Rush Hour vor. Und jetzt male man sich aus, ein nennenswerter Anteil dieser unfassbar vielen Autos würden über einem kreisen und nach einem freien Landeplatz suchen. Will man so etwas wirklich?
Energie für Flugtaxis könnte andernorts besser genutzt werden
Dazu kommt: Die Lufttaxis verbrauchen unnötig viel Energie. „Senkrecht zu starten und zu landen ist die ineffizienteste Art, sich in der Luft zu bewegen“, sagte Luft- und Raumfahrtingenieur Kay Plötner gegenüber dem Spiegel. Dass die Lufttaxis mit Ökostrom geladen werden sollen, ist kein Gegenargument. Dieser wird auf absehbare Zeit knapp sein. Jede für ein Lufttaxi verbrauchte Kilowattstunde könnte andernorts besser genutzt werden.
Überbordender motorisierter Individualverkehr lässt sich eben nicht bekämpfen, indem man ihn durch eine andere Form des motorisierten Individualverkehrs ersetzt. Wenn wir also überhaupt eine neue Art von Luftfahrzeugen gebrauchen können, dann doch wohl so etwas wie einen fliegenden Fernbus. Dieser würde pro Person weniger Platz, Geld und Energie verschlingen.
Ein Öffi für den Luftverkehr?
Leider lässt das Prinzip des Öffentlichen Nahverkehrs nicht so einfach auf Fluggeräte übertragen. Schließlich können sie nicht alle paar Kilometer Leute ein- oder aussteigen lassen. Auch Ride Pooling funktioniert nicht. Und verzichtet man auf energiehungrige Senkrechtstarter und platzraubende Landeplattformen in der Stadt, müssen die Fluggäste jedes Mal auf irgendeine Weise zum nächsten Flughafen kommen.
Halten wir fest: Elektrische Lufttaxis sind verkehrspolitisch sinnlos. Die Dekarbonisierung von Mittel- und Langstreckenflügen ist zwar hochgradig wünschenswert, technisch aber sehr schwierig. Wo genau ist also der Sweet Spot für die elektrische Verkehrsfliegerei?
Ein ideales Revier wären beispielsweise schwer zugängliche Gegenden, etwa Norwegen mit seinen ganzen Fjorden, oder Länder mit vielen verstreute Inseln. Doch was ist mit dem engvernetzten Mitteleuropa? Oft wird der Zubringerflug vom Flughafen in die Stadt als Szenario genannt. Aber ließe sich nicht deutlich einfacher eine Schnellbahn oder eine dedizierte Fahrspur für Elektrobusse einrichten?
Naheliegender wäre es, möglichst viele der bisherigen Inlandsflüge zu elektrifizieren, ob mit Batterien oder Brennstoffzellen. Das Passagieraufkommen dürfte sich dafür aber in Grenzen halten. Pendlerflugzeuge mit weniger als 19 Plätzen machen laut ICCT derzeit nur etwa vier Prozent aller Abflüge aus und 0,03 Prozent der Passagierkilometer aus.
Und baut man rund um die Elektro-Shuttles ein neues, attraktives Geschäftsmodell auf, stellt sich die Frage: Macht man damit nicht vor allem Bussen oder Bahnen Konkurrenz? Oder erzeugt man gar zusätzlichen Verkehr?
Je länger man darüber nachdenkt, desto kleiner wird die Nische für die Elektro-Passagierflieger. Sinnvoll könnten sie beispielsweise zwischen Städten mit schlechter Bahnanbindung und eigenem Regionalflughafen sein. Theoretisch wäre es meist wohl effizienter, das Bahnnetz auszubauen. Etwas zynisch könnte man aber auch sagen: Möglicherweise werden wir eher reichweitenstarke Regionalflieger mit Superhochleistungsbatterien bekommen als eine funktionierende Bahn.
Übersicht: Elektroflieger
Kurzstrecke | Mittelstrecke | |
Individualverkehr | Ehang
Volocopter |
Autoflight
Beta Joby Lilium Sirius |
Kollektivverkehr | Eviation
Heart Wright Zeroavia |
Senkrechtstarter | Antrieb | Passagiere | Reichweite | Status | Bemerkungen | |
Autoflight Prosperity | ja | Batterie | 5 | 250 km | Vorproduktion | |
Beta Alia 250 | ja | Batterie | 5 | 460 km | Prototyp | |
Ehang EH 216 | ja | Batterie | 2 | 30 km | Typzulassung | |
Elfly Noemi | nein | Batterie | 9 bis 30 | k. A. | k. A. | Wasserflugzeug |
Eviation Alice | nein | Hybrid | 9 | 200 km (el.), 400 km (hybr.) | Prototyp | |
Heart ES 30 | nein | Hybrid | 25 bis 30 | 200 km (el.), 800 km (hybr.) | Komponententests | |
Joby H2FLY | ja | Wasserstoff | k. A. | 800 km | Demonstrator | |
Joby S4 | ja | Batterie | 4 | 240 km | Vorproduktion | |
Lilium | ja | Batterie | 6 | 175 km | Prototyp | |
Sirius Millennium Jet | ja | Wasserstoff | 5 | 1000 km | Komponententests | |
Volocopter City | ja | Batterie | 1 | 35 km | Vorproduktion | |
Wright Electric | nein | Batterie | 100 | 300 km | Komponententests | Retrofit von BAe 146 |
Zeroavia | nein | Batterie / Wasserstoff | 14 bis 100 | k. A. | Komponententests | Retrofit konventioneller Maschinen |
Quelle: Handelsblatt, eigene Recherche
Ihnen ist schon bewusst, dass der Lilium Jet in gewisser Hinsicht auch mit dem Markt von Helikoptern konkurrenziert? Sind Sie sich im Klaren, wieviel eine Betriebsstunde von einem Vergleichshelikopter (Airbus H135 mit 6 Plätzen) kostet und vor Allem, wie viel Kerosin der in einer Stunde verpufft?
Das Einsatzgebiet vom Lilium Jet mit einer Reichweite von rund 175km auf den städtischen Verkehr zu begrenzen, ist in meinen Augen recht ignorant.
– Patiententransporte, welche aktuell mit Rettungshelikoptern gemacht werden
– Ultra-Kurzstrecken, welche die Airlines aktuell nur für Connecting-Flights anbieten
– Helikoptertransporte von Regierungsmitgliedern
– Nachschublieferungen für schwer erreichbare Regionen (z.B. Berghütten)
– Notversorgung in Krisenregionen
– Hoteltransfers auf Inseln (z.B. auf den Malediven), wo aktuell Wasserflugzeuge eingesetzt werden
– Kartenvermessungen, welche aktuell vielerorts mit einer King-Air geflogen werden
– Offshore-Transfer zu z.B. Ölbohrplattformen. Nicht gerade grün, aber immer noch besser als mit dem Heli dort hin zu fliegen
– Organtransporte unter Zeitdruck
Sie können sich ja selber noch ein bisschen Gedanken machen. Auch mit Ihren Scheuklappen wird wohl noch die eint oder andere Idee auftauchen.