Wie Unternehmen eine 35-Stunden-Woche umsetzen können
Wie sehen unsere Bedürfnisse aus in einer Arbeitswelt, die sich stetig wandelt? Wie und wo wollen wir arbeiten? Wie flexibel wollen wir als Arbeitnehmer:innen sein und welches Maß an Flexibilität räumen wir als Organisation unseren Beschäftigten ein? New Work und Flexibilität sind die Begriffe, mit denen sich die Jobwelt derzeit auseinandersetzt.
Viele Beschäftigte wünschen sich Lebenskonzepte, die mehr Ausgewogenheit zwischen Arbeitszeit und Freizeit ermöglichen. Andere europäische Länder sind da schon weiter.
In einem Feldversuch in Island wurde vor einigen Jahren der Effekt einer Reduktion der Arbeitszeit untersucht. Viele der Teilnehmer:innen reduzierten ihre Wochenarbeitszeit von 40 auf 36 oder 35 Stunden. Das Resultat: Isländische Beschäftigte gaben an, weniger gestresst zu sein, und hatten eine ausgeglichene Work-Life-Balance. Wie können Organisationen dieses Modell auch hierzulande umsetzen?
Das Verhältnis von Arbeits- zu Freizeit muss stimmen
Wer weniger arbeitet, kann sich mit mehr Energie anderen Dingen widmen. Mehr Zeit für Familie, Freunde und Hobbys sind klare Vorteile einer 35-Stunden-Woche für Arbeitnehmer:innen. Aber auch immer mehr Unternehmen müssen sich im „War for Talents“ behaupten, um geeignete Fachkräfte für sich zu gewinnen und Mitarbeiter:innen an den Betrieb zu binden.
Vor allem im Recruiting haben Firmen mit dem Benefit 35-Stunden-Woche einen Wettbewerbsvorteil. Immer mehr Bewerber:innen streben nach einem ausgewogenen Verhältnis von Familie und Freizeit zur Arbeitszeit. Wenn Unternehmen also bereits in einer Stellenausschreibung mit kürzerer Wochenarbeitszeit punkten, steigt die Attraktivität als Arbeitgeber:in.
Entscheidungen gemeinsam mit dem Team treffen
Eine Umsetzung der 35-Stunden-Woche geht nicht von heute auf morgen, sondern ist ein Prozess, bei dem die Mitarbeitenden eine wichtige Rolle spielen. Je früher Geschäftsführer:innen das Team in die Pläne für das Angebot reduzierter Wochenarbeitszeiten einbinden und befragen, desto besser. Da nicht jede:r zwangsläufig eine Verkürzung der Arbeitszeit möchte, ist es wichtig, jedem die Wahl zu lassen.
Alternativ können Firmen ihren Mitarbeitenden eine adäquate Gehaltserhöhung anbieten. Auch hier sollten Unternehmen flexibel agieren. Sind in einem Betrieb verschiedene Generationen tätig, können auch die Interessen in puncto Arbeitszeit auseinandergehen.
Vier Stolperfallen einer 35-Stunden-Woche
Jeder Betrieb, ob Großkonzern oder Kleinunternehmen, muss sich im Klaren sein, dass der Weg zu einer verkürzten Wochenarbeitszeit auch mit Hürden verbunden ist. Kleinere Firmen sind hier im Vorteil, da sie solche Themen oftmals pragmatischer und mit kurzen Entscheidungswegen angehen können.
- Recruiting: Weitere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen werden durch eine Verkürzung der Arbeitszeit nötig.
- Prozesse: Die formale Entscheidung und die praktische Umsetzung gehen nicht immer Hand in Hand. So wird schnell klar, dass sich Unternehmen interne Prozesse anschauen müssen, um Zeitfresser aufzuspüren. Dies ist für kleinere Betriebe sicherlich einfacher umsetzbar als für Großkonzerne, da hier schnellere Entscheidungswege und weniger komplexe Prozesse bestehen.
- Erreichbarkeit für Kunden: Darüber hinaus ist es eine Überlegung wert, wie IT-Unternehmen den Kund:innenanforderungen (Support, Rufbereitschaft etc.) gerecht werden können, wenn die Beschäftigten ortsunabhängig und zeitlich flexibel arbeiten. Geschäftsführer:innen können auch hier gemeinsam mit ihrem Team eine Lösung finden. Manche Mitarbeiter:innen ziehen es vor, abends zu arbeiten und sich dafür am Vormittag anderen Dingen zu widmen. Andere Teammitglieder möchten gerne den Nachmittag frei haben und können sich vorstellen, bereits früh mit der Arbeit zu beginnen.
- Entscheidungsfindung: Wichtig ist, Entscheidungen und Prozesse gemeinsam mit dem Team zu besprechen und sich regelmäßig Feedback einzuholen.
Fazit: 35-Stunden-Woche – ein zeitgemäßes Arbeitsmodell
Spätestens seit der Novellierung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes zum 1. Januar 2019 ist klar, dass das 40-Wochenstunden-Modell als Leitbild branchenübergreifend ausgedient hat. Das firmenweite Angebot von reduzierten Wochenarbeitszeiten ist neben Homeoffice, Workation, Sabbatical, Gleitzeit, Vier-Tage-Woche und Gewinnbeteiligung nur eine der vielfältigen Antworten auf eine sich stetig wandelnde Jobwelt.
Diese wird vor allem von den technischen Möglichkeiten, den sich entwickelnden Arbeitsinhalten und den buntgemischten Erwartungen von Mitarbeitenden geprägt. Die aktuelle Diskussion rund um den Umfang des Rechts auf Homeoffice zeigt schon jetzt die Richtung an, in die wir uns bewegen.
Letzten Endes geht es um ein Signal an bestehende und potenzielle Mitarbeitende, ob ein Unternehmen eher zu den Wegbereitern oder zu den Nachzüglern in Bezug auf erkennbare Trends gehört.