Trotz Menschenrechtsverletzungen: Warum hält VW am Standort in Xinjiang fest?

Für VW ist China ein Wachstumsmarkt. (Foto: TonyV3112 / Shutterstock.com)
Der Aufschrei war groß: Mit der Veröffentlichung der Xinjiang Police Files wurde die Diskussion um Menschenrechtsverletzungen in China neu befeuert. Insbesondere mit Produktionsstätten in Xinjiang – die Region steht für die Internierung von Uiguren – möchten westliche Firmen eigentlich nichts zu tun haben.
Eigentlich – denn Volkswagen produziert dort weiterhin. Der deutsche Autobauer betreibt seit 2013 mit seinem Partner Saic ein Werk in Urumqi, der Hauptstadt der Region Xinjiang. Unter anderem das Santana-Modell wird in Urumqi hergestellt. Sind dort Zwangsarbeiter:innen? Das ist die Streitfrage.
Laut VW werden in dem Werk kulturelle und religiöse Unterschiede respektiert. Arbeitsstandards würden durchgesetzt werden. Was gut klingt, aber von einigen Beobachtern bezweifelt wird. Dafür gibt es mehrere Gründe. Beispielsweise glänzt VW vor Ort nicht mit Transparenz. Das zeigte sich auch bei einem Besuch eines Tagesschau-Teams vor etwa einem Jahr. Damals wollten sich die Reporter:innen unter anderem bei VW in Xinjiang umschauen – das war zumindest ihr Ziel. Wie es im Bericht heißt, wurden sie bereits „höflich“ aufgefordert, das Gelände zu verlassen, als sie sich noch nicht einmal auf dem eigentlichen Gelände befanden.
Xinjiang-Fabrik ist das kleinste VW-Werk in China
Auch Fragen zum umstrittenen Standort wollte VW damals laut Tagesschau nicht beantworten. Das hat sich nach den neuen Vorwürfen gegen die chinesische Regierung und die Zwangslager etwas geändert. Ende Mai 2022 gab der VW-Chef Herbert Diess dem Handelsblatt ein Interview, in dem er auch über Xinjiang sprach. Darin spricht er unter anderem von einer „kleinen Fabrik“, mit der das VW-Joint-Venture Saic Volkswagen vertreten sei. Tatsächlich ist der Standort der kleinste in China, 33 hat der Konzern insgesamt in der Volksrepublik. Pro Jahr werden in Xinjiang 20.000 Autos produziert, so die Tagesschau 2020. Zur Einordnung: 2020 stellte VW insgesamt 8,9 Millionen Fahrzeuge her, ein Jahr später waren es 8,28 Millionen.
2020 sollen laut VW insgesamt 665.445 Mitarbeiter:innen bei dem Konzern beschäftigt gewesen sein – inklusive der Angestellten bei „chinesischen Gemeinschaftsunternehmen“ wie Saic. Wie viele davon in Urumqi arbeiten, ist nicht bekannt.
2013: VW wird mit Saic erster Autohersteller in der Region
Bei der offiziellen Eröffnung des Werks in Urumqi 2013 war VW, laut der Deutschen Welle, der erste Autohersteller in der Region. Laut der Deutschen Welle sei die Entscheidung für die Eröffnung rein wirtschaftlich getroffen worden.
Die Mitarbeiter:innen sollen damals alle direkte Saic-VW-Arbeitsverträge bekommen haben. Zwangsarbeit? Gibt es da laut VW auch nicht, als 2019 mit den China Cables bereits belastende Dokumente auftauchen, die Chinas Vorgehen gegen die Uiguren und weitere Minderheiten in dem Land zeigen. VW zeigt sich unbeeindruckt, hält am Werk fest – 2022 werden die Diskussionen durch die Xinjiang Police Files konkreter. VW bleibt dabei: Laut Diess soll es bei VW keine Zwangsarbeit geben. Beweise dafür liefert der Konzern aber nicht. Wie der Spiegel berichtet, will VW außerdem von Umerziehungslagern nur wenige Kilometer entfernt vom Urumqi-Werk nichts wissen.
VW-Glaube: Präsenz in Urumqi soll Positives bewirken
Gleichzeitig ist für Diess ein Rückzug aus der Region nicht der richtige Weg – der Glaube ist, dass die VW-Präsenz etwas Positives bewirke. Durch den Kontakt in die Region solle die Situation der Menschen verbessert werden. Wie diese Verbesserungen konkret aussehen? Wie die Menschen mit ihrer jeweiligen Kultur und Religion geschützt werden? Das ist nicht bekannt. Gleichzeitig fordert beispielsweise Human Rights Watch bereits seit Jahren Unternehmen auf, sich aus der Region zurückzuziehen.
VW wird außerdem nicht nur aufgrund dieses positiven Präsenz-Gedankens am Standort festhalten. Die Motivation wird bestimmt auch durch die positiven Wachstumsaussichten in China getrieben. Darauf deutet auch eine Aussage von VW-Chef Diess hin. Im Interview mit dem Handelsblatt sagt er, wie viele Einwohner:innen das Land hat – und wie vergleichsweise wenig Autos. Da ist noch Luft nach oben. Mit einem Rückzug aus der Region würde sich VW dort auch wirtschaftlich schaden. Diesen Wachstumsmarkt möchte der Konzern nicht verprellen. Etwa 40 Prozent seiner Autos verkauft VW dort bereits. Und auch im Westen scheint VW seine Kund:innen damit nicht zu verschrecken: Ein großer Aufschrei auf das Xinjiang-Bekenntnis blieb aus. Allerdings bewegt sich die Bundesregierung: Neue Garantien für Investitionen in China durch VW wurden jüngst abgelehnt.
Im Kern spart der Artikel die Antwort aus: VW ist, wie Daimler und andere auch, auf Gedeih und Verderb auf den Godwill der chinesischen Machthaber angewiesen. Eine Schließung des Werks würde die KP als Einmischung ansehen und damit wäre das Ende des VW-Konzerns besiegelt.