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Reportage

KI-Revolution: Nach 100 Jahren muss sich das Radio neu erfinden

Vor genau 100 Jahren gingen in Deutschland die ersten Radioprogramme auf Sendung. Inzwischen steckt das Medium mitten in der Digitalisierung – und muss sich angesichts umfangreicher Konkurrenz aus dem Lager der Streamingdienste neu erfinden.

6 Min.
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Zwischen Dudelfunk und Zuhörmedium: Der Hörfunk erfindet sich in der Digitalisierung neu. (Foto: nehophoto / Shutterstock)

Seit genau 100 Jahren gibt es das Medium Radio in Deutschland. Wohl kein Medium hat sich im Laufe der Geschichte so stark gewandelt: vom damals futuristischen Zeitvertreib für Enthusiast:innen und Radiobastler:innen über das Massenmedium für Propaganda und Unterhaltung, dem gezielt zugehört wurde, bis hin zum heutigen Charakter als Nebenbeimedium, das bestenfalls im Hintergrund wahrgenommen wird.

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Daraus zu schließen, dass das Radio und radioähnliche Derivate von Musikstreamingdienst bis Podcast ihre Bedeutung verloren haben, wäre aber angesichts von rund drei Stunden, die das Radio im Schnitt bei jedem in Deutschland läuft, komplett falsch. Denn gerade angesichts der Medientage München vor einigen Tagen hat sich einmal mehr gezeigt, dass Radiomacher:innen zahlreiche Ansätze verfolgen, die das Medium problemlos auch in die nächsten Jahre tragen können.

Warum KI für Wetter und Verkehrsmeldungen prädestiniert scheint

Da ist zum einen der KI-Ansatz, der in vielen Bereichen der Wertschöpfungskette eine Rolle spielen wird und auch teilweise schon spielt. Nahezu alle öffentlich-rechtlichen und privaten Radiostationen experimentieren derzeit mit KI-Lösungen in den Redaktionen, etwa zur Transkription und Auswertung von Sendungen, aber vor allem auch mit von KI-Stimmen gelesenen Inhalten. Die Ergebnisse sind durchaus beeindruckend, wenn es sich dabei etwa um geschriebene Texte für Wetter, Verkehrsmeldungen oder Kurzankündigungen und Moderationen handelt.

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Expert:innen gehen davon aus, dass insbesondere in den weniger relevanten Nachtzeiten, aber auch bei regional personalisierten Meldungen für Verkehr und Wetter KI-Stimmen bald eher die Regel sein werden – insbesondere weil sich daraus für jede noch so kleine Region individuelle Lösungen finden lassen.

Doch besonders in den öffentlich-rechtlichen Sendergruppen hört man auch Abwehr und Skepsis, wenn es um mehr geht. Beim WDR, der mit dem Innovation Hub schon früh an den entsprechenden Themen dran war und ohnehin experimentierfreudig ist, hat man beispielsweise zunächst wieder verworfen, mit synthetischen KI-Stimmen prominenter Moderator:innen zu arbeiten, nachdem es dort vor zwei Jahren Experimente mit der WDR2-Moderatorin Steffi Neu gab. Andrea Schafarczyk, crossmediale Programmdirektorin des WDR, erklärt anlässlich des Radiogipfels, synthetische Stimmen würden bei Hörer:innen noch für Irritationen sorgen und seien ein schwieriges Terrain. Sie bezieht das allerdings vor allem auf bekannte Moderator:innen, weniger auf die Aufsager der Serviceredaktionen.

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Auch Thomas Jung, Programmchef von SWR3 (genauer der „Pop-Unit“ des SWR) kann sich zumindest für SWR3 nicht vorstellen, dass hier KI-Stimmen zum Einsatz kommen. Jung sieht KI daher vor allem hinter den Kulissen des Senders als sinnvolle Lösung und Ergänzung, etwa zum Aufbereiten von Daten. Bei der Moderation sei das dagegen ein No-go und müsse auf jeden Fall gekennzeichnet werden als „wurde mit KI hergestellt“. Das sei Pflicht bei der SWR3-Community – und einfach eine Glaubwürdigkeitsfrage, so Jung.

Moderation durch AI: Wie ein Privatsender den Betrieb automatisiert

In Brandenburg bei BB Radio kommen dagegen die nächtlichen Wetter- und Verkehrsmeldungen von einer KI, wie Katrin Helmschrott erklärt, ähnlich läuft es schon bei Hit Radio FFH in Hessen. Noch deutlich weiter geht hingegen Antenne Deutschland, die hinter den Absolut-Sendern stehen. Hier moderiert seit August bei Absolut Radio AI via DAB und Web der virtuelle Moderator Kai. Der nutzt das Stimmprofil eines tatsächlichen Radiomoderators aus Bayern und arbeitet dennoch weitgehend autark. Antenne-Deutschland-Geschäftsführer Mirko Drenger betont, dass das reichlich Vorarbeit und rund 4.500 umfangreicher Prompts bedurft habe, dem Bot die wichtigsten Regeln des Moderierens beizubringen, Begriffe wie „Ohrwurm“ abzugewöhnen und nicht zuletzt auch menschliche Züge zukommen zu lassen. Inzwischen, so Drenger, hole Kai auch manchmal hörbar Luft.

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Mittlerweile laufe der Sender seit gut zwei Monaten ohne größere Justierung und habe auch nach dem ersten Medienhype aufgrund des gänzlich neuen Ansatzes eine steigende Hördauer bei jenen, die ihn einschalten. In einer Hinsicht ist „der Kai“ sogar alles andere als menschlich: Er wird nie krank – sondern vertrat für einige Tage einen menschlichen Radiomoderator bei Absolut Top, einer der anderen Stationen des Sendernetzwerks, als dieser krankheitsbedingt ausfiel. Dabei lege man aber viel Wert darauf, dass der KI-Moderator selbst regelmäßig den Hörer:innen erklärt, dass er ein Bot ist und noch an seinen Formulierungen lernt.

Seine aktuellen launigen Meldungen, die er zwischenzeitlich über die Stars und Sternchen der Szene einbaut, stammen übrigens ganz profan aus dem Themenfeed einer Presseagentur. Etwas holperig bleibt hier vieles dennoch: einige Aussprachefehler und schräge Formulierungen in den Moderationen lassen erahnen, dass man zumindest für hochwertig unterhaltendes Radio in Zukunft noch lange auf menschliche Moderator:innen setzen wird. Das bestätigen insbesondere viele Vertreter:innen größerer Sender im öffentlich-rechtlichen und privaten Radio.

Nach den Erfahrungen mit der KI-Welle startet Antenne Deutschland dieser Tage zudem bei Absolut Top die Abendstrecke Club Night am Freitag und Samstag in KI-generierter Form. „Hierbei kommt eine Software aus den Niederlanden zum Einsatz“, erklärt Tina Zacher, Programmdirektorin der Absolut Radio Sendergruppe. Die Software erstellt makellose Mixe und macht den langwierigen Track-Matching-Prozess nahezu überflüssig, mit dem sich in den letzten Jahren einige Radio-DJs einen Namen gemacht haben. Die Musik auswählen werde laut Zacher aber der Sender selbst. In der Tat sind die passenden Übergänge und andere Eigenheiten von Tracks, die darauf einzahlen, eine Domäne, in denen die Technik Erstaunliches leistet.

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Spotify Streaming Intelligence moderiert und kuratiert

Auch Streamingdienste wie Spotify haben das bereits erkannt und setzen auf Kuratierung und Personalisierung von Playlisten via KI. Auch wenn viele Radiomacher:innen dies nicht wahrhaben wollen, stellen die Musik-Streamingdienste gerade im Alltagsgebrauch eine echte Konkurrenz zu den bewährten Musikredakteur:innen dar, die ja auch schon länger mit IT-Unterstützung arbeiten. Gerade die Personalisierung anhand der Hörgewohnheiten ist ein Bereich, so berichtet es ein Dienstleister, den viele Sender gerne für sich entdecken würden, um den Impuls des Ausschaltens oder Wechselns zu einem anderen Sender so weit wie möglich zu unterbinden.

Ungewohnt einig sind sich die Verantwortlichen der Sender hingegen darin, dass Radio vor allem durch Empathie und Unverwechselbarkeit gegen die Tidals und Spotifys dieser Welt punkten kann. Emotionale Moderator:innen, Morningshows, über die man in der Kantine spricht, und eine „Wohlfühlatmosphäre“ könnten eher starke Radiomarken bieten – und werden es wohl auch müssen, um über kurz oder lang Bestand zu haben. Klar ist aber auch, die Hörgewohnheiten wandeln sich. Ist das Radio in Deutschland noch vor allem ein nebenbei laufendes Linearmedium, wurde in den USA 2022 zum ersten Mal mehr On-Demand-Audio gehört als lineares Radio. Das sind zum einen Streamingdienste wie Spotify oder Apple Music, zum anderen aber auch Podcasts und zu Podcasts aufbereiteter Audio-Content aus dem Tagesprogramm.

Podcast: Übersetzungs-Tool könnte Internationalisierung vorantreiben

Die Podcasts schließlich sind ein weiterer Bereich, in dem sich sowohl die Hörfunksender als auch die Streamingdienste eine gewisse Uniqueness schaffen wollen. Vor allem die öffentlich-rechtlichen Hörfunkwellen positionieren sich mit Personality-Shows und aufwendig produzierten mehrteiligen Themenpodcasts und haben hier naturgemäß reichlich Material, das sich langfristig auf die Podcast-Plattformen und die ARD-Audiothek verlängern lässt. Die Streamingdienste dagegen kaufen hier vor allem Material an oder lassen es produzieren. Möglichst exklusiv soll das sein, doch nur wenige Formate schaffen es wirklich, dass Hörer:innen sich für den jeweiligen Streamingdienst entscheiden.

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Experimentiert wird hier aber derzeit vor allem auch mit Tools wie Eleven Labs, das erstaunliche Übersetzungen in der identischen Stimme liefern kann. So lassen sich Podcasts durch Überwindung der Sprachbarrieren international vermarkten – auch wenn das noch nicht wirklich den Hörgewohnheiten entspricht und aufgrund der schon verdammt guten Ergebnisse irgendwie gruselig wirkt. Die Vertreter:innen der öffentlich-rechtlichen Radiosender winken daher auch (noch) ab, wenn man sie auf das Thema anspricht, erklären zugleich aber auch, dass sie sich das natürlich aufgrund der faszinierenden Technik weiter anschauen wollen.

Breites Angebot an Sendungen mit hoher Spezialisierung

Und so positioniert sich das Radio in Zukunft deutlich breiter als in den letzten Jahrzehnten: Die Digitalisierung hat dazu beigetragen, dass es einerseits das große Lagerfeuer von Popwellen wie 1Live, SWR3 oder RTL Berlin und Antenne Bayern gibt, über die alle sprechen, auf der anderen Seite aber auch viel Spannendes und Differenziertes für kleine, spitze Zielgruppen entsteht – und diese Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen.

Wandeln muss sich aber auch die Denke der Radiomacher, so fasst es Thomas Jung, Programmchef von SWR3, zusammen – und das habe gar nichts mit der Technik an sich zu tun: „In vielen Bereichen wird Radio so gemacht wie vor 40 Jahren. Wir haben da beispielsweise die Zusammenfassungen des Tagesgeschehens am Spätnachmittag, die angesichts der netzbasierten Informationsnutzung zumindest auf den Prüfstand gestellt werden muss.“ Man müsse hier Hörgewohnheiten in Frage stellen und sich dadurch immer wieder neu erfinden. Die Frage dürfte allerdings sein, in wiefern eine Uhrzeit überhaupt noch entscheidend fürs Einschalten sein wird.

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