Die große Streaming-Illusion: Wie steigende Preise und wachsende Auswahl das Binge-Watching-Erlebnis zerstören
Erst kam das Werbe-Abo, dann ging Disney Plus härter gegen Account-Sharing vor. Mindestens 4,99 Euro müssen Kund:innen jetzt für jeden weiteren Haushalt zuzahlen. Nun hebt das Medienunternehmen zusätzlich die Preise an – zumindest für die werbefreien Abos. Einen Euro pro Monat mehr zahlt man für das Standard-Abo. Für das Jahresabo sind das 10 Euro mehr. Für das Premium-Abo, mit dem man die Inhalte in 4K schauen kann, zahlen Nutzer:innen sogar 13,99 Euro im Monat. Die Preiserhöhungen ähneln dabei sehr stark denen von Netflix.
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass ich noch wüsste, wie das mit Netflix angefangen hat. Das Einzige, woran ich mich erinnern kann, war, dass es ungefähr 2015 war und ich auf einmal in einer der berühmten 4-er Gruppen war, die sich alle einen Account teilen. „Das kostet nur drei Euro“, der Verkaufs-Pitch des Freundes brauchte nicht viel Überzeugungsarbeit.
Bekannte Blockbuster und Serien, dazu gab es noch gewagte Eigenproduktionen wie Bojack Horseman oder Black Mirror. Auch Produktionen, die nicht aus der Netflix-Schmiede stammen, wie Sherlock oder Suits habe ich durch den Streamingdienst entdeckt. Fast wöchentlich habe ich meinen Freund:innen neue Serien und Filme empfohlen. Doch heute mache ich das eigentlich gar nicht mehr. Die beste Zeit des Streamings ist vorbei. Doch selbst die „guten Zeiten“ standen schon auf wackeligem Fundament.
Streaming im Jahr 2024 macht keinen Spaß
Schon alleine die Auswahl der Streamingdienste hat dem Schauen von Serien den Spaß genommen. Neben Netflix gibt es nun Disney Plus, Paramount Plus oder Amazon Prime. Und auch die deutsche Fernsehlandschaft ist mit Wow, Join und RTL Plus ins Streaming-Geschäft eingestiegen. „Hast du schon Ted Lasso gesehen? Super Serie!“ – „Nein, wo gibts die?“ – „Apple TV Plus“ – „Das hab ich nicht“. Unterhaltung beendet. Die große Auswahl verhindert, dass sich möglichst viele Menschen über die Serie oder den Film austauschen können.
Zusätzlich lähmt das große Angebot. Es ist alles einfach zu viel Content. Statt die eine gute Serie zu sehen, verbringen viele ihre Zeit in den Menüs, um den geeigneten Film zu finden. Mittlerweile gibt es sogar Apps, die Nutzer:innen bei der Suche nach Unterhaltung helfen wollen. Das zeigt, wie sehr sich das kollektive Bingen mit der Zeit immer weiter aufgestückelt hat.
Sollte doch eine Serie zum Talk-of-the-Town werden, kommt das zweite große Problem vom Streaming-Markt zum Vorschein: die Preise. Account-Sharing ist schwieriger denn je und die monatlichen Kosten steigen. Wer Netflix wie vor neun Jahren genießen möchte, muss ganze 14 Euro zahlen. Mit nerviger Werbung kostet es nur 5 Euro. Disney Plus gibt es ab 5,99 Euro, Apples Streamingdienst kostet 10 Euro im Monat. Zusammengerechnet kann man für alle Streamingdienste über 100 Euro ausgeben – und das pro Monat.
Doch hier kommt das gemeine Argument. Uns hätte allen von Anfang an klar sein müssen, dass sich das Modell Streaming nicht hält. Zwar wirft Netflix seit einigen Jahren Gewinne ab. Das Unternehmen hat allerdings trotzdem knapp 14 Milliarden Dollar Schulden. Auch Disney Plus ist erst seit Kurzem im – nun ja – Plus angekommen und schreibt erst seit diesem Jahr schwarze Zahlen. Genauso ist Paramount Plus erst frisch aus den Negativzahlen. Das heißt: Die Preise steigen auch in Zukunft wohl weiter und es wird noch mehr Werbung geben.
Streaming im Jahr 2015 war eine Illusion
Dass die Convenience am Anfang am besten ist, zeigen auch viele andere Branchen. Genau so hatte Youtube damals weniger Werbung und kein Premium-Modell. Bei Lieferdiensten sind über die Jahre hinweg ebenfalls die Preise gestiegen. Denn um als Produkt interessant zu sein, muss es als Erstes einen Mehrwert bieten – mit dem Vorwissen, dass dieser immer mehr und mehr sinken wird.
Die „guten alten“ Tage des Videostreamings sind also nichts mehr als eine Illusion einer besseren Lösung gewesen. Ein Versprechen, das schon von Anfang an nicht gehalten werden konnte. Die einzige Alternative, die wir heute haben, ist auf die nächste große Idee zu warten, die uns wieder mit dem großen Versprechen nach Convenience ein paar gute Jahre bescheren kann.
Ich kannte netflix noch aus Zeiten als DVD-Verleiher per Post. Da habe ich mir gerne seltene Anime-Serien geliehen. Zwischenzeitlich gab es in der Anfangsstreamingzeit wirklich gute Serien von netflix. Doch ich finde es gibt aktuell massiv zuviel „Zeug“ – und leider kaum noch Qualität da. Daher habe ich gar keinen Streaming-Dienst mehr und begnüge mich mit kostenlosen Mediatheken, Youtube und das wenige was mich interessiert kann ich mir auch gezielt „leihen“. Das ist günstiger und ich hab Zeit für andere Dinge, als mich durch den ganzen Schrott zu wühlen um evtl. mal wieder eine Perle zu finden, die dann nach 8 Folgen mit Cliffhanger abgesetzt wird.
Was noch niemand auf dem Schirm hat, ist das vollständige KI-bedingte Aussterben der Popkultur. In 2035 komme ich von der Arbeit nach Hause und sage meinem Fernseher: „Mach mir Vorschläge für einen Film!“ Den passe ich auf Wunsch an und lasse ihn mir generieren. Wenn mir mittendrin langweilig wird, sage ich einfach: „Komm zum Punkt.“ oder „Mach jetzt was noch was mit Zombiedrachen“ und prompt wird der Wunsch dynamisch in die Handlung integriert.
Am nächsten Tag im Büro erzählt ein Kollege von einem sehr guten Prompt, den er gestern getestet habe und den er eindringlich empfehle. Ich nicke anerkennend, während ich ihn insgeheim dafür verachte, da meine Prompts natürlich die viel besseren sind. Weil ich natürlich das generiere, was ICH möchte. Jeder macht das so. Niemanden interessiert, was andere schauen. Andere schauen doofe, uninspirerte Sachen. Ich nicht, ich bin besonders.
Die großen Studios haben nicht lange standhalten können gegen den Sog der custom generated contents. Wer nicht selbst schon vor Jahren in Sachen KI mitmitschte, ist längst vergessen. Die damaligen Assets und Franchises, inzwischen wertlos. Nach nicht all zu langer Zeit wird einem schon bei dem bloßen Gedanken an einen klassischen, steifen Film aus den 2020ern langweilig. Undynamisch, uninteraktiv, der Zuschauer als stiller Rezipient. Unvorstellbar. Die armen Vorfahren. Gingen in Kinos, um fremde(!) Filme zu sehen. Und doch scheinen die Augen der Alten kurz noch einmal zu leuchten, wenn sie vom Krieg erzählen.
Die Vermischung von Produktion und Vertrieb bzw. Exklusivverträge sind IMO das Haupt-Problem. Hätten die aktuellen Anbieter einen brauchbaren und ähnlichen Katalog, wären die aktuellen Abo-Preise ja durchaus vertretbar. Aber 10-15€/Monat um ein paar gute Filme/Serien und Tonnen von Füllmaterial zu schauen? Oder eher es zu versuchen, denn wenn man nicht „binged“ läuft man schnell in das Problem, dass Serien mittendrin aus dem Angebot verschwinden. Wirkliche Alternativen hat man aber auch nicht, denn viele Produktionen gibt es leider auch nirgendwo als Kaufversion. Eine bessere Lösung muss dabei auch keine Illusion sein, denn bei Musik funktioniert es meist ja durchaus, dass man nicht für jede Band einen eigenen Vertrag abschließen muss, sondern die meisten Inhalte bei „den üblichen“ Anbietern gleichermaßen findet.