Arbeitsplatz-Diversity: Wie Unternehmen ein offenes und inklusives Umfeld schaffen
Am Arbeitsplatz ganz man selbst sein können: Für viele queere Menschen ist das noch immer keine Selbstverständlichkeit. Wer offen über die eigene sexuelle Orientierung spricht, macht teils negative Erfahrungen. Und wer noch kein Coming-out am Arbeitsplatz hatte, überlegt es sich genau deswegen vielleicht zweimal.
Warum sich ein Coming-out trotz aller Ängste lohnen kann und wie Unternehmen einen Safer Space schaffen, erklärt Karriereexpertin Lara Kieninger im t3n-Interview. Als Senior Talent Acquisition Managerin bei Stepstone unterstützt sie verschiedene Fachbereiche bei der Suche nach passenden KandidatIinnen, schreibt für das Stepstone-Magazin About_work und optimiert Bewerbungsprozesse.
Diskriminierung am Arbeitsplatz: Warum das Coming-out noch immer Thema ist
t3n: Lass uns mit folgendem Szenario starten: Montags wird am Arbeitsplatz darüber gesprochen, was man am Wochenende so erlebt hat. Warum werden genau solche Gespräche für manche Menschen aus der LGBTQ*-Community noch immer zur Gratwanderung?
Lara Kieninger: Für heterosexuelle Menschen ist es ganz normal, von ihren Wochenendaktivitäten oder Urlaubsplänen mit ihren Partner:innen zu erzählen. Sie machen sich darüber gar keine Gedanken, weil sie der vermeintlichen Norm entsprechen.
Für Menschen aus der LGBTQ+-Community, die sich an ihrem Arbeitsplatz (noch) nicht geoutet haben, sieht das anders aus. Sie müssen abwägen, was sie erzählen – und vor allem von wem. Denn leider ist es immer noch so, dass schwule, lesbische und bisexuelle Personen am Arbeitsplatz Diskriminierung erleben. Noch stärker betroffen sind trans Personen.
Das führt dazu, dass sich ein Drittel aller queeren Menschen auf der Arbeit nicht outet, wie eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Jahr 2020 zeigte. Das kann es natürlich schwierig machen, vom Wochenende mit der Partner:in zu erzählen.
t3n: Du hast jetzt schon Diskriminierungserfahrungen angesprochen. Welche Ängste gibt es rund ums Coming-out denn noch?
Zunächst fragt man sich natürlich, wie die Kolleg:innen reagieren werden. Leider haben diverse Studien gezeigt, dass Diskriminierung am Arbeitsplatz nach wie vor ein Problem ist.
Tuscheln und Gerüchte am Arbeitsplatz, ein unangenehmes Interesse am Privatleben, sexuelle Anspielungen und das Imitieren von Gesten, Stimme oder der Bewegung sind gemäß der Studie Out im Office?! vom Kölner Institut für Diversity und Antidiskriminierungsforschung häufig erlebte Formen der Diskriminierung.
Homosexuelle Männer verdienen 2,14 Euro weniger pro Stunde als heterosexuelle Männer.
Außerdem fragen sich die Betroffenen natürlich, wie ihre Vorgesetzten reagieren werden und wie sich ein Coming-out auf ihre weitere Karriere auswirken könnte. Es ist tatsächlich so, dass es Beförderungen, Gehalt und beruflichen Erfolg beeinflussen kann. So verdienen beispielsweise homosexuelle Männer 2,14 Euro weniger pro Stunde als heterosexuelle Männer, wie die bereits erwähnte DIW-Studie ergeben hat.
Insofern sind die Sorgen rund um ein Coming-out am Arbeitsplatz auf den ersten Blick nachvollziehbar. Man muss aber auch sagen, dass ein Coming-out in den meisten Fällen positiv aufgenommen wird. So gaben in einer Umfrage des Psychologischen Instituts Köln 92 Prozent der Befragten an, dass ihre Kolleg:innen überwiegend positiv reagierten und bei 85 Prozent taten das auch der Chef oder die Chefin.
Wie entsteht ein sicheres Umfeld fürs Coming-out?
t3n: Wie können Arbeitgeber und Kolleg:innen ein wirklich sicheres Umfeld schaffen, um solche Ängste möglichst gut abzubauen?
Es reicht in meinen Augen nicht, nur zu „tolerieren“. Vielmehr geht es darum, proaktiv ein offenes und inklusives Umfeld zu kreieren, in dem sich alle wohlfühlen. Hierbei hilft es, wenn es eine eindeutige Unternehmenskultur zu Diversity und Inclusion gibt und diese auch klar kommuniziert wird. Das fängt schon bei der Stellenanzeige an: Wird darin gegendert? Werden Werte wie Gleichberechtigung und Chancengleichheit bewusst angesprochen?
Es reicht in meinen Augen nicht, nur zu „tolerieren“.
Eine Möglichkeit für Unternehmen, ein größeres Bewusstsein für die Diskriminierungsproblematik zu schaffen, sind Schulungen zu Unconscious Bias, also unbewusster Voreingenommenheit. Wir wachsen alle mit Klischees und Stereotypen auf. Es ist wichtig, das zu verstehen und daran zu arbeiten. Das gilt besonders für Führungskräfte aufgrund ihrer Vorbildfunktion in Unternehmen.
Am Ende des Tages kommt es auf die Kolleg:innen und die gelebte Kultur an. Dies zeigt sich oft in den kleinen Dingen: ein Witz in der Kaffeeküche, der „nur ein Spaß“ war, aber letztlich diskriminierend ist. Eine Bemerkung über die Farbe Rosa in Männerklamotten, die unbedacht, aber verletzend ist. Wenn Mitarbeitende diesbezüglich achtsam sind – oder durch das Unternehmen darin geschult werden –, besteht ein offeneres Umfeld für ein Coming-out.
Was spricht für ein Coming-out auf der Arbeit?
t3n: Dass wir hier darüber sprechen und auch die von dir genannten Zahlen zur Diskriminierung zeigen: Es gibt noch immer Gründe, sich am Arbeitsplatz nicht zu outen. Welche Argumente würden denn dafür sprechen?
Ob man sich im beruflichen Umfeld outen möchte oder nicht, ist zunächst eine persönliche Entscheidung. Gewiss gibt es sowohl Vor- als auch Nachteile, allerdings sehe ich das Coming-out als ein Thema, bei dem man auf sein Bauchgefühl hören sollte.
Wenn du als queere Person vollkommen du selbst sein kannst, kann das enorm zu deinem psychischen Wohlbefinden beitragen.
Für ein Coming-out spricht, dass das Versteckspiel dann ein Ende hat, das ja mit viel Stress einhergeht, wie deine Eingangsfrage schon gezeigt hat. Wenn du als queere Person vollkommen du selbst sein kannst, kann das enorm zu deinem psychischen Wohlbefinden beitragen. Dein Selbstwertgefühl profitiert davon, wenn du als der Mensch wahrgenommen, akzeptiert und geschätzt wirst, der du wirklich bist.
Außerdem hilft das individuelle Coming-out auch dabei, das Thema allgemein zu normalisieren. Vor allem bei Menschen, die bisher keine Berührungspunkte mit Queerness hatten, kann es Vorurteile und Missverständnisse abbauen.
t3n: Und wie kann so ein Coming-out aussehen, wenn man sich dafür entschieden hat?
Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Zum Beispiel könnte man ohne weitere Erklärung vom Partner statt von der Partnerin sprechen (und vice versa). Eine Alternative wäre, sich lediglich engen, vertrauten Kolleg:innen anzuvertrauen.
In einigen Unternehmen gibt es auch Vertrauenspersonen oder bestimmte Ansprechpartner:innen in der HR. Auf diese kann man zugehen, wenn man sich bezüglich des eigenen Coming-outs unsicher ist und jemanden braucht, der einen auf dem Weg dahin unterstützt. Bei Stepstone kann man sich beispielsweise immer an unsere With_Pride Community wenden – aber auch an jede andere Person, der man vertraut.
Es gibt hier nicht die eine richtige Vorgehensweise. Vielmehr muss jede:r den für sich richtigen Ansatz finden, mit dem er oder sie sich wohlfühlt.
Wie gehe ich mit Negativ-Reaktionen um?
t3n: Was kann ich tun, wenn ich nach meinem Coming-out negative Erfahrungen am Arbeitsplatz mache?
Meiner Meinung nach ist es schon eine deutliche Red Flag, wenn man Angst vor einem Coming-out im Arbeitsumfeld hat. Sind die Erfahrungen danach auch noch negativ, ist das definitiv ein Anstoß, über einen Jobwechsel nachzudenken. Wichtig ist: Es ist nicht die Aufgabe von LGBTQ+-Personen, das Unternehmen und die Ansichten der Mitarbeitenden zu verändern! Es ist vollkommen akzeptabel, sich selbst aus der Situation zu nehmen und sich ein neues Arbeitsumfeld zu suchen, in dem alle so willkommen sind, wie sie sind.
Es ist nicht die Aufgabe von LGBTQ+-Personen, das Unternehmen und die Ansichten der Mitarbeitenden zu verändern!
Natürlich kann man sich auch auf rechtlicher Ebene wehren. Denn nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sind jegliche Formen der Diskriminierung am Arbeitsplatz verboten.
Mein Tipp wäre, sich bereits vor dem Start bei einem Unternehmen über die Unternehmenskultur und die Unternehmenswerte zu informieren. Im Recruitingprozess kann man durchaus nachfragen, ob es eine Diversity- und Inclusion-Strategie gibt und wie diese aussieht.
In kleineren und mittelständischen Unternehmen, die meist keine solchen ausformulierten Policys haben, kann man sich bei der Führungskraft direkt erkundigen, ob Diversity und Inclusion in dem Unternehmen gelebt werden und welche Maßnahmen und Erfahrungswerte es gibt.