Conversational Commerce ist einer der Trends, die in diesem Jahr im Onlinehandel an Fahrt aufgenommen haben und auf Podien entsprechender E-Commerce-Konferenzen ja bereits seit längerer Zeit diskutiert werden. Insbesondere die Coronakrise und die damit verbundenen Nachfragen nach Lieferbarkeit und Lieferterminen haben dazu geführt, dass zunehmend Verbraucher bei Unternehmen Kanäle wie Whatsapp nutzen wollen, glauben Andreas Tussing und Artjem Weissbeck, die in Berlin das E-Commerce-Startup Charles gegründet haben.
Bei Charles handelt es sich um eine neue Conversational-Commerce-as-a-Service-Software für Händler und Konsumgütermarken, die dieser Tage an den Start geht. Onlinehändler sollen dabei in die Lage versetzt werden, ihre Produkte über Whatsapp und andere Chat-Apps anzubieten und so die Lücke zwischen dem klassischen Beratungsgespräch am Point-of-Sale und der eigentlichen Transaktion zu schließen.
Endkunden sollen über den Vertiebskanal Whatsapp nicht nur Fragen stellen und Produkte entdecken, bestellen und nachbestellen können (Chatouts), sondern auch Lieferungen nachverfolgen, retournieren oder persönliche Benachrichtigungen erhalten. Das alles findet in einem fortlaufenden und personalisierten Chat ohne Login statt. Charles’ Software besteht im Kern aus einer intuitiven Benutzer-Oberfläche, die unterschiedliche Chat-Apps, das bestehende Shop-System des Unternehmens und Chatbots miteinander integriert.
Mehr Kundenbindung und höhere Warenkörbe erzielen
Ziel der Lösung ist es natürlich, Kundenzugang, Wiederkaufsraten und letztlich Umsatz zu steigern. Es geht dabei einerseits um das Erhöhen von Warenkorbwerten bei Kaufvorgängen, die regelmäßig stattfinden, zum anderen aber auch darum, gerade bei größeren Anschaffungen – als Referenz führt das Unternehmen hier einen Möbelhändler an – die Beratung zu ersetzen. Denn das Beratungsgespräch, das online fehlt, ließe sich auf diese Weise gut abdecken. In der Tat dürfte ein solcher Whatsapp-Concierge besser funktionieren als die klassischen Chatbot-Lösungen, die zumindest für den deutschen Markt noch in den seltensten Fällen überzeugen.
Die Boston Consulting Group kam zu dem Schluss, dass Chat-Kunden im Laufe der Zeit 60 Prozent mehr bei einem Unternehmen ausgeben als der Durchschnittskunde. Und insbesondere der asiatische (und hier speziell der chinesische) Markt zeigen, dass Apps wie Wechat als Begleiter für den Onlinehandel gut funktionieren – und das eben nicht nur für die FMCG, sondern tatsächlich auch für Anschaffungen, die hierzulande noch ausschließlich im Präsenzhandel erworben werden.
Charles: Wie aus dem eigenen Produkt eine Lösung für Dritte wurde
Artjem Weissbeck, Mitgründer von Charles und von Kapten & Son, erzählt, man sei 2019 beim eigenen Bekleidungsversand mit dem ersten Whatsapp-Store Europas für Premium-Bekleidung an den Start gegangen. „Die Erfahrung über Whatsapp einzukaufen, als würde man mit einem Freund chatten, stieß auf enorme Begeisterung und über 25 Prozent der ersten tausend Kunden bestellten innerhalb von vier Wochen nach.“ Erst als Marken nachfragten, mit welcher Software sie das realisieren, wurde den Gründern klar, dass hier eine Nachfrage am B2B-Markt besteht. „Unsere erste Kernfunktion ermöglicht einen nahtlosen Checkout innerhalb des Chats. Wir nennen es Chatout!“
Das Unternehmen, erklärt Andreas Tussing, Mitgründer von Charles und Ex-McKinsey E-Commerce Lead, wolle „ein Wachstumspartner für Onlinehändler werden, indem unsere Conversational-Commerce-Lösung auf bestehenden Handelssystemen und -abläufen aufbaut“. Einige der ersten Klienten mit hohen Warenkörben verkauften bereits jetzt mehr über Whatsapp als über ihren Onlineshop. Andere sehen in Whatsapp eine echte Alternative zum Newsletter, mit personalisierten Erinnerungen die 20 Mal besser performen als E-Mail.
Charles hat prominente Investoren
Dabei sei man auch gar nicht auf Whatsapp festgelegt, erklären die Gründer im Gespräch. Man strebe für jeden Ländermarkt an, dass die jeweils dort wichtigste Chat-Plattform abgedeckt sei. In Deutschland sei dies nunmal Whatsapp. Darüber hinaus könne man mittelfristig eine Implementierung in alle gängigen Shopsysteme und E-Commerce-Lösungen anbieten. In einer Präsentation zeigte das Unternehmen die Lösung unter Shopify.
Finanziert ist das Startup zunächst mit bescheidenen eine Million Euro. Das ist erstaunlich für ein Thema wie Conversational Commerce, an dem der Handel ja nicht erst seit gestern Interesse zeigt. An Bord sind aber immerhin renommierte E-Commerce-Business-Angels wie Tarek Müller (CEO von About You) und Alexander Graf (CEO Spryker Systems, Kassenzone).