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Corona-Warn-App: Warum weniger Datenschutz nicht effektiver ist

Die Kritik an der Corona-Warn-App wächst. Aber Datenschutz-Debatten über diese App führen in die Irre und lenken von den eigentlichen Problemen der Pandemie-Bekämpfung ab.

Von Enno Park
8 Min. Lesezeit
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(Foto: Alexander Kirch / shutterstock)

Zwei Dinge haben Tradition in Deutschland: Datenschutz sowie die Neigung, sich über Datenschutz zu beklagen. Das ist so sehr Mainstream, dass der Philosoph Julian Nida-Rümelin in einer Talkshow beklagt, der Datenschutz würde eine effektive Bekämpfung der Covid-Pandemie behindern. Nicht als einziger fordert er eine App, welche die Bewegungen und Aufenthaltsorte aller Menschen trackt und den Gesundheitsämtern zur Verfügung stellt. Als Beispiel nennt er Taiwan, Südkorea und Japan. Mit dieser Haltung ist Nida-Rümelin bei Weitem nicht allein. Die Kritik an der deutschen Corona-Warn-App und vermeintlich übertriebenem Datenschutz wird immer lauter. Doch was ist dran an dieser Kritik und wie kann es sein, dass so viele IT-Experten das völlig anders sehen?

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Um das beurteilen zu können, muss man die Funktionsweise der deutschen Corona-Warn-App kennen. Sie speichert keine Aufenthaltsorte sondern funkt, vereinfacht gesagt, ständig einen Code per Bluetooth, den alle Telefone in der Nähe aufzeichnen können. Dabei wird versucht, den Abstand zum sendenden Telefon zu messen, was leider nicht immer zuverlässig gelingt. Erfährt eine Person, dass sie mit Sars-CoV2 infiziert ist, meldet sie das über die App an einen Server, der allen anderen regelmäßig eine Liste der Codes sendet, die zu infizierten Personen gehören. Alles andere läuft dezentral: Alle Apps vergleichen, ob in der öffentlichen Liste Codes auftauchen, denen sie zuvor in der Umgebung begegnet sind. Wenn das der Fall ist, versuchen sie Abstand und Dauer der Begegnung zu berechnen und geben entsprechend eine Warnung aus.

Apple und Google setzen den Standard

Ein großer Teil dieser Funktionalität steckt auch nicht in der App selbst sondern in einer Betriebssystemfunktion, die Apple und Google in neueren iOS- und Android-Versionen bereitstellen. Letztlich haben also Apple und Google den Standard gesetzt, nach dem sich solche Warn-Apps weltweit richten. Möchte ein Land von diesem Standard abweichen, ist das teils sehr aufwändig, teils auch ohne Hacks gar nicht möglich und auf jeden Fall nicht mehr mit den Apps anderer Länder kompatibel. An diesem Punkt beginnt bereits die Legendenbildung: Anders als vielfach behauptet waren es also nicht „die Datenschützer“, die diese dezentrale Lösung politisch durchgesetzt haben, sondern es waren Apple und Google, die das auf technischem Wege getan haben.

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Contact-Tracing vs. Position-Tracking

Diese Art des Contact-Tracing ist datenschutzfreundlich, weil die ständig wechselnden Codes anonymisiert sind. Standorte und Bewegungsdaten werden nicht aufgezeichnet, nur Zeitpunkt und Abstand von Kontakten, über die nur dieser Code bekannt ist. Deshalb ist es auch so absurd, dass manche Menschen die Benutzung der Corona-Warn-App ablehnen, weil sie darin ein staatliches Überwachungsinstrument sehen. Ungefähr alle Funktionen eines normalen Telefons sammeln mehr personenbezogene Daten als diese App.

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Auch interessant: Corona-Warn-App 1.10: Das Kontakt-Tagebuch ist da

Das Gegenmodell zum Contact-Tracking ist das Position-Tracking, also die Überwachung des Aufenthaltsortes aller Menschen per GPS, Triangulieren von Funkzellen und anhand der Standorte von WLAN-Routern. Da solche Apps die Aufenthalts- und Bewegungsprofile aller Nutzer speichern, sind sie aus Sicht des Datenschutzes fragwürdig. Einer freiwilligen Nutzung stünde aber nichts im Wege, ähnlich wie viele Menschen freiwillig Google Maps verwenden. Datenschutz ist aber nicht der Grund, warum dieses Technik in der Pandemie-Bekämpfung keine Anwendung findet. Position-Tracking ist sehr ungenau, jedenfalls wesentlich ungenauer als das Contact-Tracing per Bluetooth. Wer jemals Google Maps benutzt hat, weiß wie ungenau die Anzeige des eigenen Standortes oft ist und wer einen Blick in die eigene „Zeitachse“ wirft, sieht wie grob die Bewegungsdaten ausfallen.

Aber noch ein anderer Grund spricht gegen das Position-Tracking: Der wichtigste Baustein der Pandemiebekämpfung ist die Verfolgung von Kontakten. Selbst wenn man genaue Positionsdaten alle Menschen zu jedem Zeitpunkt hätte, müssten diese Standorte mit den mit den Standorten von allen anderen verglichen werden und das für jeden beliebigen Zeitpunkt, um an Ende zu erfahren, wer mit wem in Kontakt kam. Was nach einer trivialen Rechenaufgabe klingt, verbraucht in der Praxis enorm viel Rechenleistung.

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Die Grenzen des technisch Machbaren

Die Abstandsmessung per Bluetooth mag nicht perfekt sein, sie ist aber genauer und mit sehr viel weniger Aufwand verbunden und hat außerdem noch den Vorteil, dass sie bereits in iOS und Android eingebaut ist, was die Entwicklung von Contact-Tracing-Apps vereinfacht. Nicht Datenschutz sondern die Grenzen des technisch Machbaren sprechen gegen Position-Tracking. Und würde Position-Tracking technisch Sinn ergeben, wäre eine freiwillige Nutzung datenschutzkonform genauso möglich, wie zum Beispiel die freiwillige Nutzung von Google Maps möglich ist.

Doch was ist mit den asiatischen Ländern? Wie war das mit Taiwan, Südkorea und Japan? Sind die denn nicht deshalb so erfolgreich, weil sie per Corona-App die Bewegungsdaten ihrer Bevölkerung überwachen, wie Nida-Rümelin und viele andere behaupten? Genau das ist nicht der Fall. Japan verwendet dasselbe Prinzip des Contact-Tracings per Bluetooth wie wir, und ist zum Standard von Apple und Google kompatibel. Taiwan verwendet keine solche App sondern eine Funkzellenabfrage und die Daten, die beim Mobilfunkprovider anfallen. Im Fall von Infektionen wird also nachgesehen, wer alles in der gleichen Funkzelle eingebucht war. Eine App zum Position-Tracking ist für so etwas nicht nötig. Eine Debatte, ob man so etwas in der EU haben will, wurde bisher kaum geführt, hätte aber auch nichts mit der bestehenden Corona-Warn-App zu tun.

Mythen über asiatische Apps

Und Südkorea? Südkorea arbeitet auch mit Positionsdaten, die von den Providern stammen. Die dortige App dient nur dazu, ihre Nutzer zu warnen, wenn sie sich einen Ort nähern, an dem es früher mal zu Infektionen gekommen ist. Dabei werden Alter, Geschlecht und Fallnummer der dort infizierten Personen anzeigt. Was immer man von dieser Vorgehensweise hält: Sie liefert keine Kontaktdaten, wie Gesundheitsämter sie zur Nachverfolgung brauchen. Unterm Strich bleiben sehr wenig Länder wie beispielsweise Island, die wirklich per Tracking-App Bewegungsdaten verfolgen. Auch China hat ein anderes Konzept und benutzt eine App, die beim Betreten und Verlassen diverser Orte vorgezeigt werden muss. Welche Daten genau die App sammelt, ist nicht bekannt, allerdings sollen die Nutzer die überall herumhängenden QR-Codes scannen, um der App mitzuteilen, dass sie an bestimmten Orten vorbeikommen. Im Grunde ist das eine digitale Version der Anwesenheitslisten, die in Deutschland in der Gastronomie auslagen.

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Ziemlich rigoros ist Singapur, wo die Nutzung einer App vorgeschrieben ist, mit der man sich wie an einer Stechuhr ein- und auschecken muss, wenn man bestimmte Orte betritt oder verlässt. Das Beispiel zeigt, dass selbst die sonst wenig zimperliche Regierung von Singapur auch zu der Auffassung gelangt ist, dass das Tracking einfacher GPS-Daten keinen Sinn hat. Daneben benutzt Singapur auch Contact-Tracing per Bluetooth und die dortige App war das Vorbild für das System, das Apple und Google heute benutzen.

Wer also behauptet, dass in asiatischen Ländern Tracking-Apps verwendet werden und diese gar maßgeblich zum dortigen Erfolg der Pandemie-Bekämpfung beitragen hätten, hat sich nicht wirklich mit den Fakten beschäftigt und lässt außer acht, dass diese Länder in vielerlei Hinsicht anders mit der Pandemie umgegangen sind als Europa. Vielleicht stiftet aber auch der Umstand Verwirrung, dass Länder wie China, Südkorea oder Russland sehr wohl GPS-Tracking verwenden, um den Aufenthalt von Menschen zu überwachen. Das wird aber nicht verwendet, um Kontakte zu verfolgen, sondern dient als elektronische Fußfessel: Dort wird überwacht, ob Menschen in Quarantäne auch wirklich zu Hause bleiben. Verlässt man den Ort der Quarantäne, schlägt die App Alarm und wenig später steht die Polizei vor der Tür. Auch das ist etwas, was man für Deutschland diskutieren könnte, was aber einfach nichts mit der Corona-Warn-App zu tun hat.

Bleibt die Frage, ob Datenschutz nicht hintenanstehen muss, wenn es um Menschenleben und wirtschaftliche Existenzen geht. Natürlich muss er das. Hier kollidieren mehrere Grundrechte und die sind miteinander abzuwägen. Je nach Weltanschauung kann man bei dieser Abwägung zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Warum Datenschutz in diese Abwägung gehört, zeigt ein einfaches Beispiel aus der Gastronomie: Dort lagen den Sommer über Listen aus, in die sich die Gäste von Kneipen und Restaurants eintragen mussten. Es kam zu zahlreichen Vorfällen, in denen Leute von den Nebentischen oder gar Kellner sich die Nummern von Frauen merkten und diese später belästigten. In einigen Bundesländern konfiszierte die Kriminalpolizei solche Listen und benutzte sie zur Ermittlung in ganz anderen Fällen.

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Da ist es kein Wunder, dass viele Menschen Phantasie-Daten angeben, weil sie nicht genügend Vertrauen haben, dass diese Daten nicht missbraucht werden. Phantasie-Daten, die diese Listen bestenfalls wertlos machen, schlimmstenfalls für Mehrarbeit in den ohnehin überlasteten Gesundheitsämtern sorgten.

Probleme abseits der App

Man kann und soll darüber debattieren, ob sich die Corona-Warn-App verbessern ließe. Mindestens beim UX-Design ist noch Luft nach oben. Die Kontakte mit niedrigem Risiko, die auf grünem Hintergrund angezeigt werden, verwirren viele Nutzer und die Angaben, wann die jeweilige Kontakte stattgefunden haben, sind zu dürftig. Oftmals werden Testergebnisse nicht oder verspätet in der App angezeigt. Das liegt daran, dass manche Labore keine brauchbare Anbindung an das System haben. Manchmal liegt es aber auch daran, dass Ärzte und Praxispersonal in Formularen ein Häkchen vergessen, das angekreuzt sein muss, damit die Labore das Ergebnis auch digital versenden. Und es sind sogar Fälle bekannt geworden, in denen Ärzte und Praxispersonal das absichtlich unterlassen, weil sie aus unerfindlichen Gründen etwas gegen die App haben. Wenn das Ergebnis nicht in der App erscheint, hat dies also nichts mit der App zu tun, dennoch entsteht bei den Nutzern das Gefühl einer nicht zuverlässig funktionierenden App.

Überall Optimierungsbedarf

Vielleicht hat auch der verwendete Algorithmus Optimierungsbedarf. Das können selbst Experten ohne weitergehende Experimente kaum seriös beantworten. Man darf auch nicht vergessen, dass ein sehr großer Teil der Bevölkerung weiterhin kein Smartphone besitzt, weshalb manche zu der Ansicht kommen, dass die Verwendung der App sinnlos ist. Die Bundesregierung schreibt Mitte Dezember 2020, dass 130.000 Nutzer ihre Infektion per App mitgeteilt haben. Das mag bei rund 1,5 Millionen gemeldeten Infektionen wenig klingen, bedeutet aber trotzdem, dass in 130.000 Fällen infizierte Personen einige ihrer Mitmenschen warnen konnten. Selbst wenn dadurch vergleichsweise wenig Infektionen verhindert wurden, wurden eben trotzdem Infektionen verhindert.

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Wir können debattieren, ob wir im Falle von Superspreader-Events Funkzellenabfragen durchführen sollten, was bei niedrigen Inzidenzen Sinn ergeben könnte. Bei polizeilichen Fahndungen wird diese aus Datenschutzsicht sehr problematische Technik ohnehin routinemäßig eingesetzt. Vielleicht brauchen wir Systeme, mit denen wir uns erst anmelden, bevor wir bestimmte Orte betreten können, ähnlich der Anwesenheitslisten in der Gastronomie. Vielleicht ergäbe es Sinn, diese Funktion in die App zu integrieren. Vielversprechend wäre auch eine KI, die anhand der Stimme vor einer möglichen Infektion warnt. Vielleicht fehlt der App auch ein manuell zu pflegendes Kontakt-Tagebuch.

Aber genauso müssen sich die Verantwortlichen die Frage gefallen lassen, warum Gesundheitsämter noch Faxe verschicken und manuell mit Excel-Tabellen arbeiten. Der Streit darüber, in welchem Umfang Präsenz am Arbeitsplatz und in der Schule notwendig ist, ist keinesfalls vorbei. Ganz sicher benötigen wir eine Datenschutzdebatte, wenn es darum geht, dass Schulbehörden aus Datenschutzgründen den Fernunterricht per Videokonferenz untersagen. Aber zu behaupten, der Datenschutz verhindere, dass die Corona-Warn-App funktioniert, ist mit der Faktenlage nicht vereinbar. Wer so etwas sagt, ist entweder ahnungslos oder missbraucht die Pandemie-Bekämpfung für andere politische Ziele.

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9 Kommentare
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Dein t3n-Team

Pete

„Es kam zu zahlreichen Vorfällen, in denen Leute von den Nebentischen oder gar Kellner sich die Nummern von Frauen merkten und diese später belästigten.“
Das ist ja schockierend. Habt ihr dafür Quellen?

Antworten
Isabella

Ein Fall bei dem irgendeine anonyme Frau in irgendeinem Chat behauptet hat irgendwer hätte irgendwo irgendwas gemacht. Ja, das ist

1. Kein Qualitätsjournalismus
2. Kein Beleg für die aufgestellte Behauptung
3. im Grunde das Niveau von Trump, AfD und Konsorten, Fake News eben.

ich hoffe wenn irgendwer irgendwo anonym schreibt irgendein Migrant, Jude, BIPOC etc. hätte irgendwo, irgendwie irgendwas schlimmes getan, übernehmt ihr das nicht auch so sang und klanglos wie diesen männerfeindlichen Dreck, den ihr hier reproduziert. Das wäre wirklich schlimm.

Robert

Vielen Dank für diese überfällige Aufklärung, liebe Redaktion!
Das ist wirklich auffällig, wie oft und wie laut inzwischen unterschiedlichste Personen in den Medien nach einem Ausbau schreien und oft sogar den Datenschutz als hinderlich verteufeln.
Wenn es andere Stimmen wären, die für Freiheit einstünden, hätte längst ein Politiker behauptet, dass diese Stimmen von Google erkauft worden seien.
Nochmals vielen Dank auch für die Richtigstellung bzgl. der oft verwiesenen asiatischen Apps!

Antworten
Fabian

Ich finde es grundsätzlich erst einmal gut, dass diese Debatte mittlerweile überhaupt geführt wird, aber nach dem Lesen dieses Artikels stellen sich mir einige Fragen.

Die aktuellen Probleme mit der App treten doch eigentlich an drei Fronten auf, wodurch die Corona Warn-App ineffizient wird:
1. Die Anzahl Nutzer (nur 24 Mio Downloads bei 82 Mio Bürgern)
2. Die Eintragung der Infektion in der App erfolgt gar nicht oder nur verzögert (aktuell werden nur 54% der Infektionen von Nutzern eingetragen laut Handelsblatt; sie sprechen sogar von weniger als 10% aller Infektionen)
3. Gewarnte Personen erhalten keinerlei Informationen, wann und wo sie einem Risiko ausgesetzt waren.

Meine Vorschläge zur Verbesserung:
1. Ein „Opt-Out“ statt „Opt-In“ einführen; das heißt, dass die Kontaktverfolgung erst einmal automatisch mit einem Update oÄ aufgespielt wird und Nutzer aktiv werden müssen, um diese Kontaktverfolgung zu deaktivieren. Eine ähnliche Diskussion gibt es ja bei der Organspende: 80% der Briten befürworten die Organspende, aber nur 38% haben per Opt-In zugestimmt: https://www.healthcareitnews.de/opt-out-bei-organspende
2. Automatische Meldung der Infektion an die App/Kontaktverfolgung über das Gesundheitsamt statt manueller Eintragung durch den Nutzer. Hier erhöht man nicht nur die Zahl der Meldungen, sondern verbessert vor allem den Faktor Zeit, der eine entscheidende Rolle spielt, um weitere Infektionen zu verhindern.
3. Ich bin kein IT-Experte, wage aber zu bezweifeln, dass man eine verschlüsselte Technologie mittels Codes bereit stellen kann, aber technologisch nicht in der Lage sein soll, die Infektionsorte und -zeiten nachzuverfolgen, wenn ein vollständiges Bild der Infektionsketten über direkte Meldungen der Infektionen erfolgt. Wieso kann nicht mit jedem Austausch von Codes bei Contact Tracing auch die Zeit und Position mit gespeichert werden? Sie sagen das müsste dauerhaft passieren, aber eigentlich wäre es doch nur bei jedem möglichen Kontakt der Fall. Diese Nachverfolgung wäre auch gesamtpolitisch sehr wichtig, da wir bei >70% aller Infektionen ja anscheinend immer noch nicht wissen, wo diese passiert sind.

Ich freue mich auf Ihre Argumente, warum das alles nicht möglich ist und der Datenschutz hierbei keine Rolle spielt.

Antworten
Enno Park

1. Kann man natürlich drüber diskutieren, gestaltet sich aber schwierig, da man ja Leute schlecht zwingen kann, eine App zu installieren, bzw. die Hersteller im Zweifel kaum zwingen kann, die Opt-Out-Lösung in ihr OS einzubauen. Politischer Druck in dieser Richtung ergibt IMHO auch keinen Sinn, weil als nächster Schritt viele Menschen kein Smartphone besitzen und Menschen dieses immer noch ausshalten/zu Hause lassen/Bluetooth abschalten können. Konsequent würde diese Richtung bedeuten, selber kleine Hardware-Tokens zu produzieren, an 80+ Mio Menschen zu verteilen und unter Bußgeld die Menschen zu verpflichten, es bei sich zu tragen. Technisch ist das nicht mal abwegig, wir machen ja etwas ähnliches in Sachen Perso, aber es ist dann nicht mehr die Frage, ob der Datenschutz verhindert, dass die App funktioniert, weil das etwas ganz anderes als die App wäre.

2. Da stimme ich zu. Ich konnte das selbst leider noch nicht in Aktion sehen und weiß es daher nur vom Hörensagen, aber offenbar macht das UI-Design der App es sogar unnötig schwierig, ein Testergebnis mitzuteilen. Ich sehe hier auch kein Datenschutzproblem, zumal mit jedem Test die Gesundheitsämter ja soweiso über die personenbezogenen Daten der Person verfügen. Ich verbuche Punkt 2 daher eher unter schlechtem Design als unter Datenschutz, bzw. wenn hier das Argument der Entwickler Datenschutz ist, ist das entweder ein Vorwand oder die haben da meiner Meinung nach was nicht so ganz verstanden. ;) Ich gehe deshalb davon aus, dass eine Änderung von Datenschutzbestimmungen sich hier gar nicht auswirkt, weil es mit den bestehenden schon möglich wäre.

3. Hier müssen wir verschiedene Fälle unterscheiden. Der Fall, den ich am häufigsten höre und der auch von Nida-Rümelin geäußert wird, geht in dahingehend, dass die App anstelle der ganzen Bluetooth-Abstands-Messerei die Positionsdaten verwenden solle. Da greift, was ich schon im Text schrieb: Sie sind zu ungenau. Wären sie genau genug, wäre es immer noch extrem aufwändig, die Positionen aller Menschen mit denen aller anderen ständig zu vergleichen. Sicherlich lassen sich die Orte, an der sich eine infizierte Person aufgehalten hat, nachträglich feststellen. Das tut die App nicht, weil das nicht im Framework vorgesehen ist. Theoretisch wäre es denkbar, eine solche Funktion unabhängig vom Framework einzubauen, dann hätten wir aber weiterhin das Problem, dass Menschen ihre Telefone ausschalten/nicht dabei haben/in den Flugmodus schalten und viele Menschen gar keines haben. Will man also mit Positionsdaten arbeiten, ist der elegantere Weg , nicht so eine App zu benutzen, sondern sich die Standort-Daten von den Mobilfunkbetreibern geben zu lassen. Das wäre dann eine Funkzellenabfrage. Diese ist zur Kriminalitätsbekämpfung bereits möglich und so regelmäßig im Einsatz, dass z.B. statistisch jeder Berliner mit Mobiltelefon mehrmals pro Jahr von so einer Abfrage erfasst wird. Ich halte es für sinnvoll, das auch für die Seuchenbekämpfung zu diskutieren, wobei meines Wissens viele Experten sagen, dass sie letztlich nicht viel mit den Daten anfangen können und sie deshalb lieber auf klassische, analoge Methoden setzen. Ein Indiz dafür, dass das stimmt, ist das fast keines der sonst immer genannten asiatischen Länder auf Positionsdaten setzt und die, welche das tun, eher mit Methoden arbeiten, die auf ein (halb)automatisches Check-In/Check-Out beim Betreten und Verlassen von Orten setzen. Da eine Funkzellenabfrage zur Kriminalitätsbekämpfung möglich ist, sollte es kein großer Aufwand sein, das Datenschutzrecht bzw. das Infektionsschutzgesetz entsprechend anzupassen. Meines Wissens steht hier wirklich das aktuelle Datenschutzrecht im Wege, allerdings verhindert es auch hier nicht, „dass die App gut funktioniert“ sondern einen ganz anderen Ansatz als die App.

Fazit zu diesen drei Punkten: Es heißt halt immer wieder, der Datenschutz verhindere, dass die App gut funktioniert. Der Datenschutz behindert einiges, zum Beispiel Fernunterricht mit entsprechender Software in Schulen oder auch Tracing-Ansätze wie theoretisch, sofern sie gewünscht wäre, die Funkzellenabfrage. Der Datenschutz hindert aber diese konkrete Corona-Warn-App bzw. das Framework von Apple und Google nicht am Funktionieren. Und das ist ein wichtiger Punkt, weil Stimmungsmache gegen die App verbunden wird mit Stimmungsmache gegen Datenschutz. Man kann jetzt mit einer gewissen Berechtigung der Meinung sein, dass sich die ganze App nicht lohnt, aber das liegt dann nicht am Datenschutz sondern am Design der App bzw. grundsätzlichen Hindernissen für digitale Lösungen.

Ich empfehle dazu auch diese Episode von Logbuch Netzpolitik: https://logbuch-netzpolitik.de/lnp374-ein-alter-weisser-mann-ist-passiert

Antworten
Fabian

Vielen Dank für Ihre Antworten, Herr Park.

Mir ist bewusst, dass man mit meinen Vorschlägen keine 100%-ige Transparenz über die Infektionen hinbekommt, dennoch sind wir uns denke ich einig, dass die aktuelle Corona Warn-App weit von einer effizienten und optimalen Lösung entfernt ist.

Daher suche ich Lösungen für eine solche Verbesserung und wenn ich sage, dass 24 Mio. Downloads zu wenige sind, kann das Gegenargument meiner Meinung nach nicht sein, dass bei einem Opt-Out ja einige Menschen ihr Handy zuhause lassen/keins besitzen/Bluethooth deaktivieren. Ich wage zu behaupten, dass ein Großteil dieser Menschen nicht bereit gewesen wäre über Monate unterwegs auf ihr Handy und die Bluetooth-Kopfhörer zu verzichten, nur um dem Gesundheitsamt keine anonymisierten Daten zur Verfügung zu stellen. Es gibt immer Menschen, die bei solchen Maßnahmen dagegen steuern, aber bei diesem Thema ist entscheidend, wie die große Masse handelt und die große Masse haben wir mit der App de facto nicht erreicht.

Ich stehe diesem Thema vielleicht insgesamt etwas anders gegenüber als Sie, aber ich würde sogar dafür plädieren keine Opt-Out-Option anzubieten. Wir schränken alle Menschen aktuell immens in ihrer Freiheit ein, indem wir ihnen verbieten sich draußen frei zu bewegen und frei mit anderen Menschen zu interagieren.
Auf der anderen Seite machen wir Maßnahmen zur Nachverfolgung der Infektionen freiwillig. Diese Maßnahmen zur Nachverfolgung wiederum schränken erst mal niemanden ein, denn mit der App auf meinem Handy kann ich mein Leben ganz normal weiterführen wie bisher. Daher ist es für mich schwer nachvollziehbar hier Freiwilligkeit herrschen zu lassen, aber die Bewegungsfreiheit der Menschen per Gebot einzuschränken.

Wenn Sie sagen, der Datenschutz verhindert nicht, dass die App an sich funktioniert, stimme ich Ihnen meinetwegen zu.

Ich sage aber, der Datenschutz verhindert insgesamt sehr wohl eine bessere Nachverfolgung der Infektionen und somit auch eine effizientere Bekämpfung der Pandemie.
Aber das scheinen Sie ja zumindest zu Teilen sehr ähnlich zu sehen.

john

Ich würde eher das Feature mit dem Angeben von Uhrzeit und Datum, wann es zu einer Begegnung kam favourisieren.

Vorteil ist, es werden keine POS Daten gebraucht , da jeder selber weiss, was er da getan hat und in Zukunft sich drauf einstellen kann. Insofern wäre diese Option meiner Meinung nach auch Datenschutzgesichtspunkten absolut legitim.

Btw. Ist diese Info eigentlich von der Google/Apple API freigegeben ?

grüsse

Antworten
SigismundRuestig

Datenschutz oder Leben!
Populistische Gedanken auf dem Philosophenweg am Beispiel der Corona-Warn-App:

https://www.freitag.de/autoren/sigismundruestig/populistische-gedanken-auf-dem-philosophenweg

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