Coronakrise: Digitalisierung wird zur Überlebensfrage
Mein Macbook Pro ist mein persönlicher Taktgeber in dieser Krise: 16 Tage lang wurde kein Backup mehr durchgeführt, erinnerte es mich gerade. 16 Tage war ich nicht mehr im Büro – aus bekannten Gründen. Die 16 Tage fühlen sich schon wie eine Ewigkeit an, weil so viel passiert ist.
Wir alle wissen jetzt, wie es sich anfühlt, wenn Geschichte gemacht wird. Es ist jetzt schon klar, dass gerade ein Jahrhundertereignis passiert. Die Coronakrise – dieser Name scheint sich derzeit in Deutschland dafür durchzusetzen – wird das geschichtliche Ereignis sein, von dem wir, die heute leben, noch unseren Enkeln erzählen werden. Und die Geschichten von ausverkauftem Toilettenpapier und einem globalen Mega-Thema, hinter dem alles andere verblasst, werden ihnen so fern vorkommen wie manchen von uns die Geschichten der Großeltern vom Krieg. Die Coronakrise ist das erste echte globale Jahrhundertereignis des 21. Jahrhunderts – und das größte seit dem Zweiten Weltkrieg.
Welche Geschichte wir genau erzählen werden, haben wir gerade in der Hand. Und zwar auf eine Art und Weise, in der ein Satz, der in so vielen anderen Zusammenhängen zu einer reinen Phrase verkommen ist, tatsächlich vollumfänglich stimmt: „Es kommt auf jeden Einzelnen an.“ Jeder Einzelne von uns kann theoretisch, wenn er oder sie unvorsichtig ist, eine Kettenreaktion auslösen, die zum Kollaps des Gesundheitssystems führt. Italien mahnt uns.
Wir agieren als Menschheit besser als in Katastrophenfilmen
Aber auch in so vieler anderer Weise kommt es auf unser aller Verhalten an: Hamstern oder teilen wir? Nutzen Unternehmen und Händler die Krise, um die Preise der Produkte zu erhöhen, die besonders stark nachgefragt sind? Verfallen wir in nationale Egoismen oder internationale Solidarität und Zusammenarbeit? Schaffen wir es als Gesellschaft, über die Krise unsere Werte zu behalten?
Das Bild, das wir selbst von uns Menschen zeichnen, ist kein schmeichelhaftes. Würden wir uns gerade in einem Katastrophenfilm befinden – ein Gefühl, das sicher den einen oder anderen zuweilen beschleicht –, wären bereits überall auf der Welt Aufstände, Plünderungen und Gewalt ausgebrochen. Aber statt Supermärkte zu plündern, tragen wir uns auf Nachbarschafts-Portalen für gegenseitige Hilfe ein, organisieren Hackathons gegen das Virus und erschaffen mit der Rechenleistung unserer Grafikkarten den schnellsten Computer der Welt, der an einem Mittel gegen das Virus arbeitet. Zahlreiche Initiativen sind entstanden, um lokale Geschäfte durch die Krise zu retten. Unternehmen kaufen und spenden medizinische Ausrüstung oder stellen ihre Produktion auf Atemmasken oder Beatmungsgeräte um.
Es werden noch sehr viele Menschen an der vom Coronavirus Sars-CoV-2 ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19 sterben. Die Pandemie steht global gesehen noch an ihrem Anfang und wir haben noch einen langen Weg vor uns. Manch eine Rechnung geht von 18 Monaten aus, über die es irgendeine Form von Einschränkungen physischer Kontakte geben muss, bis genug Menschen infiziert waren und damit gegen das Virus immun sind.
Viele sagen daher nachvollziehbarerweise, dass es noch zu früh ist, sich über die Post-Corona-Welt Gedanken zu machen. Und dennoch drängt sich die Frage auf. Meine persönliche Hoffnung ist es, dass es eine Welt mit mehr gesellschaftlicher Solidarität und Zusammenhalt wird. Und dass wir als Menschheit sehr viel lernen werden. Nicht nur über Impfstoffentwicklung und Lieferketten, die in einer globalisierten Welt anfälliger für externe Schocks wurden. Sondern auch über uns selbst und unsere Prioritäten im Leben. Die Erfahrungen könnten unsere Wertschätzung für unsere Freiheit und relative wirtschaftliche Prosperität erneuern.
Die Welt nach der Coronakrise – so viel traue ich mich jetzt, zu sagen – wird trotzdem keine so fundamental andere sein, wie es manche heute fürchten oder hoffen. Keine Welt ohne Kapitalismus, Globalisierung, keine Welt der vollständigen Überwachung.
Die Coronakrise führt zur „Zwangsdigitalisierung“ im Eiltempo
Eine Folge aber ist schon eingetreten: Die Coronakrise ist die bisher größte Beschleunigung für eine schnelle „Zwangsdigitalisierung“ in zahlreichen Betrieben, Behörden und Organisationen. Egal, ob an Schulen, in Verwaltungen oder Unternehmen: Eine funktionierende digitale Infrastruktur, die es erlaubt, in Zeiten der Pandemie weiter zu funktionieren, ohne dass Menschen physisch zusammenkommen, wird für die Organisationen zu einer Überlebensfrage.
Vor allem aber passen sich Kultur und Mindset an die veränderten Bedingungen an. In Unternehmen dürften gerade auf breiter Front Ängste vor Homeoffice im Eiltempo abgebaut werden. Millionen Menschen erfahren gerade, dass Unternehmen auch dann weiterlaufen, wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten. ZDNet schrieb schon vor Wochen von einer „Beschleunigung der Zukunft der Arbeit“ durch die Virus-Pandemie.
Ohne das Internet und die damit verbundene Möglichkeit digitaler Kommunikation wären heute Milliarden von Menschen nicht in der Lage, zu arbeiten. Der wirtschaftliche Schaden weitgehender Kontakt- oder Ausgangssperren, wie sie derzeit in fast allen Ländern der Welt in Kraft sind, wäre noch deutlich schwerwiegender. Vielleicht wären wir auch noch länger davor zurückgeschreckt und das Desaster hätte deutlich größere Ausnahmen angenommen.
Was wir heute an digitaler Infrastruktur für Krisenzeiten in Unternehmen, Behörden und Organisationen im Eiltempo aufbauen, wird auch nach der Krise bleiben. Noch wichtiger aber: Ich habe daher die Hoffnung, dass die Coronakrise unseren gesellschaftlichen Blick auf die Digitalisierung für immer verändert. Ich bin überzeugt, dass ein breites Bewusstsein gerade auch in Deutschland dafür entsteht, dass digitale Technik in Zeiten existenzbedrohender Krisen ein Stabilisierungsfaktor ist und keine Bedrohung.
Lange von vielen als (nicht) notwendiges Übel angesehen, wandelt sich die Gedankenhaltung gerade massiv. Schade, dass es erst solch eine Situation als Anlass benötigt.
Wunderschön und optimistisch beschrieben, und sehr treffend!