
Immer mehr Deutsche pendeln. Und auch die Wege werden länger. Das belegen jüngst erhobene Zahlen: Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gab kürzlich bekannt, dass die mittlere Pendlerdistanz sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter allein von 2000 bis 2014 von 8,7 auf 10,4 Kilometer pro Fahrt angestiegen sei. Ein Zuwachs von 21 Prozent. Dass nicht nur der Arbeitsweg länger wird, sondern auch die Anzahl der Pendler hierzulande steigt, teilte zudem das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) vergangenes Jahr mit. Satte 18,4 Millionen Deutsche pendelten 2017. Die Gründe dafür sind unterschiedlich und bisweilen alarmierend.
Pendelzeit ist für viele Menschen zur Arbeitszeit geworden

Pendler laufen durch den Fernbahnhof am Flughafen Frankfurt. (Foto: dpa)
Was Berufspendler auf ihrem Arbeitsweg tun, hat kürzlich ein britisches Forscherteam der University of the West of England interessiert. Deren Ergebnis lässt aufhorchen und kann stellvertretend auch für Deutschland herangezogen werden: Wer glaubt, dass die Vielreisenden vor allem dösen, aus dem Fenster schauen oder sich mit dem Sitznachbarn unterhalten, irrt in den meisten Fällen. Von den 5.000 Befragten, die die Wissenschaftler insgesamt 40 Wochen lang in den Jahren 2016 und 2017 auf zwei Hauptrouten nach London befragt haben, gaben die meisten an, während ihrer Fahrt zur Arbeitsstelle gearbeitet zu haben.
„Wenn die Reisezeit als Arbeitszeit gelten würde, hätte dies viele soziale und wirtschaftliche Auswirkungen.“
Laut Aussagen der Studienteilnehmer haben sie sich vor und nach ihrer regulären Arbeitszeit damit beschäftigt, E-Mails zu schreiben, Telefonate zu führen oder sonstige Aufgaben zu erledigen. Viele der Probanden haben diese Zeit also ganz bewusst dafür genutzt, ihre Arbeit im Büro schon während der Bahnfahrt vorzubereiten beziehungsweise den Tag während der Heimreise abzuschließen. Als im Forschungszeitraum die Verfügbarkeit von freiem WLAN in den Zügen zunahm, nutzten Berufspendler vermehrt das Angebot, um wichtige Aufgaben zu organisieren. Pendelzeit ist für viele Menschen so zur Arbeitszeit geworden.
Zu der Schlussfolgerung kam auch das Forscherteam. So erklärt Juliet Jain, eine der drei Initiatoren: „Wenn die Reisezeit als Arbeitszeit gelten würde, hätte dies viele soziale und wirtschaftliche Auswirkungen.“ Sie glaubt, dass der Pendlerdruck zu Stoßzeiten verringert werde und mehr Komfort und Flexibilität bei den Arbeitszeiten entstehen würde. Dass damit jedoch auch völlig neue Pflichten für Berufspendler entstehen dürften, merkt die Wissenschaftlerin ebenfalls an: „Es wird gleichzeitig auch mehr Überwachung geben und die Rechenschaftspflicht zur eigenen Produktivität zunehmen.“
Hierzulande gilt übrigens, sobald der Arbeitgeber anweist, dass während der Fahrtzeit bereits gearbeitet werden soll, handelt es sich auch um Arbeitszeit. Wer das ohne Anweisung tut, sollte mit dem Vorgesetzten darüber reden, ob und wie diese verbrachte Leistung ausgeglichen werden kann.
Übrigens, wer zwischen Arbeits- und Wohnort täglich viele Kilometer zurücklegen muss, tut das nicht gern. Viel zu oft haben Berufspendler allerdings keine andere Wahl. Dabei gibt es Auswege. Lies auch: Berufspendler – die aktuellen Zahlen sind alarmierend