Wer Digitalisierung sagt, muss Teamwork denken

Wer Digitalisierung sagt, muss Teamwork denken. (Shutterstock)
Jaja, alles schon gehört: Slack, Trello, Asana, Google Drive, Tresorit, Spideroak, Whatsapp, Signal und wie sie alle heißen. Jede Woche eine neue Sau im Dorf, und wir rennen. Wir arbeiten digital, vernetzt, von überall aus. Hört sich fancy an, ist aber oft nur grüner Tee, der zu lange gezogen hat und deshalb jetzt blitz-neu-schwarz aussieht. In den digitalen Tools bilden sich aber oft nur altgewohnte Arbeitsstrategien ab. Um das tatsächliche Potenzial zu heben, braucht es nicht weniger als eine Revolution unseres Verständnisses von Teamarbeit. Andernfalls vermehren sich nur die Kanäle und damit die Redundanz von Informationen.
Das Ziel: Mehr für alle
Damit Teams aus Festangestellten, Freien, Kreativen, Techniker*innen sowie im besten Falle Kund*innen auf einen Nenner kommen, brauchen sie ein gemeinsames Informationssystem. Das funktioniert nicht, wenn Teammitglieder in dem Gedanken verhaftet bleiben, Ordnungs- und Speichersysteme für sich persönlich anlegen zu müssen. Finden die anderen Informationen nicht oder sind von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen, entstehen auch keine Synergien. Wir haben uns alle an unsere Outlook-Ordner und das lokale Laufwerk gewöhnt. Der Ursprung dieser Arbeitsweise speist sich aus dem über viele Generationen verinnerlichten Regal hinter dem Schreibtisch: Ich weiß ja, auf welchen Stapel ich das Papier (ungefähr) gelegt habe.
Trial-and-Error birgt keine Effizienz
Arbeitsweisen und Teams sind aber dynamischer als Regale. Kolleg*innen wechseln, neue Expert*innen stoßen dazu, Spezialist*innen kommen teils nur projektweise ins Team. Jeder sucht sich Arbeitsabläufe, Teambesonderheiten und Wissen wieder selbst via Versuch und Irrtum zusammen. Und nur ein Jahr später arbeiten die „Neuen“, als wären sie schon immer dagewesen! Und keiner kann und braucht mehr nachzuvollziehen, welche Mehrwerte währenddessen auf der Strecke geblieben ist.
Von Möbeln und Herrschaftswissen
Das beschriebene Regal ist aber mehr als ein verinnerlichtes, bequemes Möbel, es dient auch der eigenen Absicherung. Wer sich beweisen muss, sammelt Herrschaftswissen, macht sich so unentbehrlich wie nur irgendwie möglich. Nun können wir uns alle fragen, ob wir so arbeiten wollen. Oder ob wir das Klima des leisen Misstrauens und der inneren Bequemlichkeit doch eher hinter uns lassen wollen.
Die digitalen Tools bieten uns die Chance auf einen Wandel, doch wir ergreifen sie nicht, denn Digitalisierung beginnt im Kopf und im Selbstvertrauen. Slack, Trello und virtuelle Speicher lassen die altbekannten Schwächen Unsicherheit, Selbsterhalt und Bequemlichkeit nur besonders sichtbar werden.
Slack: Albtraum für Verunsicherte und Herrschaftswissensverfechter
Das Kommunikationsprogramm Slack sortiert den Informationsaustausch in einem Team im Idealfall in selbsterklärend benannte Kanäle und Gruppen. Unter jedem Post können Kommentare, Antworten und Weiterführendes gebündelt und für alle sichtbar gepostet werden. Die Vorteile: Jede*r wird in alles, für das er oder sie sich interessieren möchte, mit einbezogen. Kein*e Absender*in einer E-Mail muss entscheiden, wen er in Kopie nimmt, jede*r entscheidet für sich selbst, welche Informationsbereiche angeeignet werden. Bei Wiederkehr aus dem Urlaub warten dann nicht 500 ungelesenen E-Mails unpriorisiert übereinander im E-Mail-Fach des Todes, sondern sind durch die Kanalstruktur bereits vorsortiert und bereit für den schnellen Überblick vor dem ersten Call.
Alles ist für alle transparent. Das ist ein Problem für die, die verunsichert oder schüchtern sind, und insbesondere für die, die gern Informationen zurückhalten. Kommen die Informationen nur im eigenen E-Mail-Fach an, entscheiden wir allein, wen wir daran teilhaben lassen und wen nicht.
Ein Problem gibt es zudem immer, wenn Slack als Dokumentationssystem benutzt werden soll. Das ist genauso aussichtsreich, wie in der Bibliothek eine bestimmte Papiersorte ausfindig machen zu wollen. Slack (oder ähnlich angelegte Programme) dienen dem schnellen täglichen Austausch und der kleinteiligen Abstimmung, die in einem vergangenen Jahrhundert noch von Schreibtisch zu Schreibtisch gerufen wurde.
Trello: Albtraum für Fachfremde und Unsortierte
Das Projektmanagement-System Trello steht hier stellvertretend für die Asanas und Basecamps dieser Welt. Das Prinzip ist immer das Gleiche: Es gibt (Arbeits-)Bereiche und in den Bereichen gibt es Projekte und darin wieder Aufgaben. Diese Aufgaben können Termine haben und Personen zugewiesen werden. In aller Kürze sind zentrale Fortschritte und nächste Schritte dokumentiert (also genau das, was Slack nicht kann). Es gibt nicht 20 identisch angelegte E-Mail-Ordner bei 20 Kollegen, in die 20 mal einsortiert wird, was Heinz-Ulrich am Dienstag um 15:34 Uhr geschickt hat. Dateien und Hinweise liegen fein säuberlich sortiert, zugeordnet und für jede*n nachvollziehbar – bei Trello – auf der Rückseite einer klapp- und scrollbaren Karte.
Klingt perfekt? Ist es auch – außer für Menschen, die lieber nicht zugeordnet wissen, wer die Arbeit macht, dokumentiert und strukturiert. Die eigentlich nicht wollen, dass Heinz-Ulrich einfach über eine Karte die verlinkte eigene Vorlage für Liste XY finden kann, denn die hat man sich ja hart selbst ausgedacht. Oder noch schlimmer: Es würde für alle sichtbar, wie viele Aufgaben noch offen oder gar überfällig sind. Oder noch schlimm-schlimmer: Man muss ja ein System erstellen. Und einhalten.
Virtueller Speicher: Albtraum für Technikfremde, Unstrukturierte und Fachfremde
Und jetzt geht es wirklich ans Eingemachte: Über virtuelle Speicher können Dokumente gemeinsam bearbeitet, kommentiert, abgelegt, gelesen und kopiert werden. Das heißt, Ideen und erbrachte Arbeit können mehrfach genutzt werden. Horter*innen von Herrschaftswissen und Technikfremden macht das zu schaffen. Die Chefetage könnte bei der Gelegenheit merken, dass grundlegendes Verständnis für das Prinzip digitaler Log-in fehlt – etwa das Wissen darum, dass man während der ganzen Arbeitszeit mit der privaten Amazon-Adresse eingeloggt war und deshalb merkwürdigerweise nicht auf die Arbeitsdateien zugreifen konnte. Das Team könnte sehen, dass alle Dateien mit automatisch generierten Dateinamen unsortiert auf einer Ebene liegen und das verwendete System dahinter Suchfunktion und Erinnerungsvermögen heißt.
Bei allem Rant: Glück auf, los geht’s!
Ja, ich weiß, das war böse. Und ich gebe gern zu, ich habe mich ein, zweimal beim Schreiben selbst ertappt gefühlt. Aber dennoch: Die digitalen Tools geben uns die Chance, dem Begriff Teamwork echtes Leben einzuhauchen, Unsicherheiten zu überwinden und schneller und besser Innovationen zu schaffen. Nichtsdestotrotz gilt – ganz, wie bei der alten, hassgeliebten Datenbank – immer das Credo: Wer nicht schult, riskiert Verluste. Einsteiger*innen, Altgediente und Technikmuffel werden aber im Idealfall immer besser mitgenommen statt allein gelassen, technisch wie inhaltlich. Sie werden im Team hoffentlich abgeholt und bekommen über die Systeme die Gelegenheit, sich, auf Wunsch auch ganz im stillen Kämmerlein, zur Spitze des Teams aufzuschwingen.
Und vor solch dann sehr versierten, neuen und alten Kolleg*innen und Mitstreiter*innen kann doch niemand Angst haben – oder?