Manchmal ist die Wahrheit ganz angenehm. Doch – sorry – in ziemlich vielen Fällen schmerzt sie. Das sind jene Zeiten, in denen Menschen sich selbst davon überzeugen, die Lage sei „kompliziert“. Job kündigen oder bleiben? Kompliziert. Nach mehr Gehalt fragen? Kompliziert. Das Arbeitszimmer aufräumen, der Kollegin die Meinung sagen, die Freundschaft kitten? Kompliziert, kompliziert, kompliziert. Und das ist alles Blödsinn, Blödsinn, Blödsinn.
Was wir für kompliziert erklären, ist oft schlicht unangenehm und die vorgeschobene Ratlosigkeit eine Vermeidungsstrategie.
Das Leben ist nicht so kompliziert, wie wir uns einreden. Das sehen wir schon daran, dass Menschen in Aufzeichnungen aller (verfügbarer) Zeiten beklagen, das Leben sei so viel komplizierter als zuvor. So schnelllebig.
Innovation, Änderungen im beruflich-sozialen Gefüge, das Internet (immer), die Familie (sowieso): Wir finden schnell Schuldige, wenn wir nach der Quelle der Probleme suchen. Doch die Quelle ist da, wo wir eigentlich ganz gut eingreifen könnten, wenn wir nur wollten: im eigenen Gehirn.
Wie ein Reh im Scheinwerferlicht
Die Vorstellung, etwas sei kompliziert, ist Selbstschutz. Sie schützt davor, aktiv werden zu müssen. Eine Sache anzugehen, kann ein Risiko bedeuten. Was, wenn du dich falsch entscheidest? Was, wenn du scheiterst? Was, wenn es unangenehm wird?
In der Regel sind Menschen solchen Situationen gewachsen – nur wissen sie das eben vorher nicht. Und wie die Rehe im Scheinwerferlicht tun sie in bestimmten Situationen lieber gar nichts, als in die falsche Richtung zu springen.
Die Behauptung, etwas sei kompliziert, ist dann schnell aufgestellt. Das ist wie meine Gardinenstange, die sich vor fast einem Jahr in die Vertikale begeben hat. Drei Schrauben: Problem gelöst, Aufgabe erledigt, Komplexitätsgrad null. Und doch: Wenn ich auch nur daran denke, sie zu befestigen, baue ich in meiner Fantasie das ganze Haus neu und ich kann eigentlich gar keine Häuser bauen und dann weiß ich auch nicht weiter. Es ist kompliziert!
Einfach mal geradeaus denken
Gegen die vermeintliche Komplexität von Situationen hilft es, beim Planen bis zum Ende und beim Entscheiden zurück zum Anfang zu denken. Das ist nicht in zwei Minuten erledigt. Aber es hilft. Schauen wir uns beides genauer an:
1. Zum Ende denken
Wohin willst du? Und wohin kommst du, wenn du jetzt nicht abbiegst? Wenn du ein bisschen schlau bist, wovon ich ausgehe, dann werden diese Fragen zu ziemlich vielen Wenns und Abers führen. Aber was ist das wahrscheinlichste Szenario? Seltene Dinge sind selten, sagen sie in der Medizin. Diesen Grundsatz kannst du auch beim Planen einsetzen. Denke geradeaus:
- Wohin willst du?
- Wohin kommst du, wenn du weitermachst wie bisher?
- Was sind die wahrscheinlichsten Ergebnisse?
Da hast du deine Klarheit. Sie war die ganze Zeit da, du hast sie nur hinter Gedanken versteckt.
2. Zum Anfang denken
Du kannst auch das Gegenteil probieren. Beim Versuch, etwas zu entscheiden, wächst manchmal ein ganzer Baum voller Möglichkeiten. Aber was wolltest du eigentlich ursprünglich? Warum hast du dich für diesen Beruf entschieden? Warum wolltest du in dieses Team und nicht in ein anderes?
Eine kleine Warnung: Natürlich haben sich deine Präferenzen und Bedürfnisse inzwischen verändert. Sich also nur danach zu richten, was du früher einmal wolltest, wäre ziemlich dämlich. Aber einen Blick darauf werfen solltest du trotzdem:
- Welche Idee stand am Anfang deines Wegs?
- Wie bist du in eine Situation gekommen, die dir jetzt mehr gefällt und die eine Entscheidung verlangt?
- Welcher eine Schritt hat jetzt die größte Aussicht auf Erfolg?
Fragen wie diese helfen dir, dich für eine Richtung zu entscheiden. Du lässt bei diesem Denkstil die komplizierten Wenns und Abers nicht mehr zu. Stattdessen fokussierst du dich auf einen Weg und prüfst ihn auf sein Potenzial. Und dann ist es egal, für wie kompliziert du dein Problem erklärt hast. Du hast eine Antwort. Und die ist nicht kompliziert.