
Zweifel kennen wir alle: Bin ich gut genug? Habe ich das verdient? Mit diesen Gedanken umgehen lernen, gehört wohl zum Entwicklungsprozess eines jeden Menschen dazu. Problematisch wird es, wenn sie sich tief im Inneren für Betrügerinnen beziehungsweise Betrüger halten und zwanghaft ihre Fähigkeiten unter den Scheffel stellen. Das Phänomen ist als Impostor-Syndrom bekannt und betrifft viele Menschen. Schätzungen zufolge hätten bis zu 70 Prozent bereits solche Gedanken gehabt.
Die Schauspielerin Jodie Foster wollte 1988 deshalb ihren Oscar zurückgeben. Ihre Kollegin Emma Watson erklärte 2013 dem Rookie Magazine: „Es ist, als ob mein Gefühl der Unzulänglichkeit zunimmt, je besser ich es mache. Ich denke, dass jeden Moment jemand herausfinden wird, dass ich eine totale Betrügerin bin und nichts von dem verdiene, was ich erreicht habe.“
Impostor-Gedanken entwickeln sich früh

Menschen mit Impostor-Syndrom scheitern im Job am Perfektionismus, weiß Psychologin und Mindset-Coach Yana Fehse. (Foto: Privat)
Dass diese destruktiven Gedanken meist aus Erfahrungen der Kindheit beziehungsweise der Teenagerzeit stammen, erklärt Psychologin und Mental-Coach Yana Fehse im t3n-Gespräch. „Viele erfahren in jungen Jahren leider schon, dass sie nur dann etwas wert sind, wenn sie perfekte Leistungen erbringen und alles überdurchschnittlich gut machen. So können sich bei diesen Menschen extreme Selbstzweifel in Bezug auf ihr Selbstwertgefühl entwickeln.“
Ob das bei Jodie Foster und Emma Watson der Fall ist, ist nicht bekannt. Sicher ist hingegen, dass dieses Phänomen alle Menschen treffen kann. Ob Frau oder Mann, ist dabei ganz egal. Und auch die Ethnizität, das Alter oder der Beruf schützen nicht. Für Außenstehende ist das oft nicht spürbar, denn nicht immer resultieren die Gedanken in für andere erkennbar konkrete Verhaltensweisen.
Frauen gehen mit Ängsten oft anders um als Männer.
Ein paar Differenzierungen seien dennoch möglich. „Viele wissenschaftlichen Studien bestätigen, dass sowohl Frauen als auch Männer zwar im gleichen Maße betroffen sein können“, so Yana Fehse, „allerdings gehen Frauen mit ihren daraus resultieren Ängsten oft anders um als Männer.“ Frauen, so erklärt sie, würden sich meist mehr anstrengen und einen regelrechten Perfektionismuswahn entwickeln, während Männer schneller demotiviert seien und eher resignieren.
Im weltweit anerkannten Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen (ICD) ist das Impostor-Phänomen nicht als Krankheit gelistet, es ist mehr ein Persönlichkeitsmerkmal, das in einer Bandbreite von „gar nicht vorhanden“ bis zu „sehr stark ausgeprägt“ besteht. Übertriebene Selbstkritik könne jedoch zu schweren Erkrankungen führen.
Wie stark die Selbstzweifel ausgeprägt und im Alltag der Person verankert sind, hängt zum einen von der individuellen Persönlichkeit ab, aber auch von diversen Umgebungsfaktoren. Auch Internetplattformen wie Instagram stehen deshalb in der Kritik. Für große Empörung sorgte kürzlich ein Artikel des Wall Street Journal, in dem es um den Einfluss von Instagram auf junge Nutzerinnen und Nutzer ging.
Der Artikel bezieht sich auf zwei interne Berichte des Unternehmens aus dem Jahr 2019. Darin steht unter anderem, dass jeder fünfte Jugendliche wegen Instagram ein schlechteres Selbstwertgefühl habe. Verantwortlich seien Algorithmen, die den Vergleich mit anderen Menschen sowie den sozialen Druck, ein arriviertes Leben zu führen, auf ein krankhaftes Level verstärken. Viele möchten so erfolgreich sein wie Chiara Ferragni oder Christiano Ronaldo.
Früher oder später kann das auch im Joballtag für handfeste Probleme sorgen. Stress und Unzufriedenheit mit der Arbeit sind häufig die Folge. Denn wer glaubt, zu schlecht für den Job zu sein, hat beispielsweise mehr Angst vor Aufgaben, schiebt sie länger auf oder neigt dazu, eigene Fehler zu vertuschen, sucht aber auch weniger Hilfe oder überarbeitet sich, um die vermeintlich fehlende Kompetenz zu kompensieren.
„Wenn man die Reißleine nicht rechtzeitig zieht und am eigenen Selbstwert arbeitet, kann das Ganze nicht nur auf psychischer, sondern auch physischer Ebene zu schlimmen Folgen führen“, erklärt Yana Fehse. Neben Depressionen, Burnout und Angststörungen können auch Magenkrämpfe, hoher Blutdruck oder Schlafstörungen eintreten. Chronische Erkrankungen seien ebenfalls nicht ausgeschlossen.
Mit Impostor-Gedanken muss niemand leben
„Wichtig ist zu verstehen, dass man etwas dagegen tun kann. Niemand muss mit extremen Selbstzweifeln für immer leben“, gibt die Psychologin zu verstehen. „Es ist möglich, aus dieser Negativspirale rauszukommen.“ Allein diese Einstellung könne den Menschen bereits helfen, etwas Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Eine effektive Maßnahme zur Stärkung des eigenen Selbstwerts sei daneben auch die tägliche Selbstanerkennung.
Betroffene sollte sich am Abend ein paar positive Erlebnisse des Tages vor Augen führen und unbedingt aufschreiben, was einem gut gelungen ist und wofür man sich selbst loben kann. Dabei sei sehr wichtig, die eigenen Kompetenzen in den Fokus zu stellen: „Welche Fähigkeiten habe ich eingesetzt, um diese Aufgabe zu lösen oder jenes Ziel zu erreichen, könnte eine Weichen stellende Frage sein“, erklärt die Expertin.
Auch wenn das Überwindung koste, könne Selbstlob auf diese Weise schon nach wenigen Wochen den Selbstwert nachhaltig stärken. „Der Schlüssel liegt in der Begründung der völlig neuen Gewohnheit, sich selbst zu loben. Da man das auch im stillen Kämmerlein machen kann, sollten Betroffene dieser Maßnahme eine Chance geben“, so Yana Fehse. Zu verlieren haben sie nichts, nur zu gewinnen.
Wenn die Arbeit am eigenen Selbstwert allein jedoch nicht gelingt, sollte unbedingt eine professionelle Unterstützung in Anspruch genommen werden, so die Psychologin. Es sei wichtig, das unrealistische Selbstkonzept in ein realistisches zu überführen, damit gefühlte Impostor ihren verdienten Erfolg endlich genießen können, statt darunter zu leiden, oder aber verstehen, dass sie Dinge genauso gut umsetzen können wie andere auch.