Flexible Arbeitszeit: Neue Forschung zeigt, wieso sie uns krank macht und Schlaf raubt
Flexible Arbeitszeiten sind die Chipstüten der Arbeitszeit. Sie sehen gut aus, klingen toll, versprechen viel, aber wenn man sie aufreißt, folgt eine böse Überraschung. Die Chips werden immer weniger. Und die Arbeit wird immer mehr. Wunsch und Versprechen lauteten: Arbeitnehmende bekommen Flexibilität. Das Ergebnis war: Von Arbeitnehmenden wird Flexibilität verlangt. Und das nennen die Entscheider dann „Verantwortung übernehmen“.
Diese Flexibilität ist gut, wenn sie für alle Beteiligten zu besseren Ergebnissen führt. Ein Team, das sich gegenseitig aushilft, kann eine enorme Schlagkraft entwickeln. Eltern, die sich darauf verlassen können, im Notfall ihre Arbeitszeiten anpassen zu können, ohne dass die Karriere leidet, fühlen sich einem Unternehmen verbundener.
Aber Flexibilität bedeutet eben immer auch, dass Arbeits- und Freizeit schlecht planbar sind. Und diese Unsicherheit macht Menschen krank, darauf deutet eine aktuelle Studie hin. Betroffen sind jene, die selten gehört werden. Ihre Anliegen sind bekannt, gelten aber als vernachlässigbar.
Flexible Arbeitszeit: Der Schock aus der Forschung
Für die Untersuchung hat die Sozialwissenschaftlerin Wen-Jui Han, Professorin an der New York University, die Daten von mehr als 7.300 US-Amerikanern analysiert. Sie stellte fest: Wer in seinen frühen Dreißigern in einem flexiblen Zeit- und Arbeitsmodell beschäftigt ist, hat im Alter von 50 Jahren die schlechteste Gesundheit. Genauer gesagt:
- schläft am wenigsten
- schläft am schlechtesten
- berichtet von körperlichen Problemen
- berichtet von psychischen Problemen
- berichtet von depressiven Symptomen
Bildung schützt den Daten nach – zu einem gewissen Grad – gleichermaßen vor flexiblen Arbeitsrhythmen mit wenig Autonomie wie auch vor deren negativen Auswirkungen.
Wir könnten auch sagen: Ob New Work krank macht, ist eine Machtfrage. Wer Einfluss hat, kann sie für sich gestalten. Wer keinen hat, der wird gestaltet.
Flexible Arbeitszeit hat sich also nur teilweise bewährt. Das gilt vor allem für jene Menschen, von denen sie verlangt wird und die nur einen geringen Grad an Freiheit haben. Sie haben nicht nur in ihren Einzelfällen weniger Einfluss. Sie haben auch weniger Mitspracherecht bei politischen und gesellschaftlichen Prozessen und ihre Perspektive wird seltener gehört. Sie sind Millionen und werden doch übersehen.
Flexible Arbeit: Argumente dafür
Anders sähe die Diagnose wohl aus, wenn Menschen mehr Einfluss auf ihre Arbeitszeit hätten. Der Trend der flexiblen Arbeitszeit ist schließlich gut gemeint: Arbeit kann dem Biorhythmus angepasst werden, Weiterbildungen werden organisierbar, Eltern können ihre Kinder nachmittags sehen und arbeiten später, wenn diese schlafen.
Das haben sich vermutlich Menschen ausgedacht, die nicht wissen, wie spät Kinder tatsächlich einschlafen. Ich kenne nicht wenige Kinder, die zum Kita-Start zuverlässig vor 18 Uhr die Augen schlossen. Spoiler: Das geht nur ein paar Monate gut. Heute setzen sich die Eltern um 22 Uhr hin, um ihre Vollzeit vollzukriegen.
Und wer aufmerkt, dass die Entgrenzung der unternehmerischen Ansprüche an die Angestellten zu weit geht, darf sich in sozialen Netzwerken Non-Mention-Style erklären lassen, dass „Menschen“ zu wenig Verantwortung übernehmen oder nichts mehr leisten wollen.
Das wahre Problem der Arbeitszeit
Flexible Arbeitszeiten sind nur ein Fetzen Gaffer-Tape auf der Tatsache, dass die Idee der Vollzeit von rund 40 Stunden das eigentliche Problem ist. Wo die Eltern einer Familie früher 40 bis 50 Stunden gearbeitet haben, müssen sie heute mindestens 65 Stunden in der Woche leisten, damit das Leben bezahlbar bleibt und der soziale Status anerkannt wird. Das funktioniert nur, wenn sie Ressourcen von ihrer Gesundheit abziehen.
Flexible Arbeit überdeckt dieses Problem. Wer Macht über Arbeitsgestaltung hat, muss sich nur begrenzt damit beschäftigen – das Soll bleibt aufrechterhalten und wird erfüllt. Und weil Flexibilität so gut geeignet ist, auch Krankenstände zu vertuschen, wird sie immer weiter ausgeweitet. Damit verschärft die Lösung das Problem: Moderne Arbeit macht viele Bevölkerungsgruppen krank. Eltern sind nur ein Beispiel dafür.
Fairerweise sollten wir sagen: Arbeit hat früher schon krank gemacht. Weil früher schon das messbare Ergebnis über dem Menschen stand. Nun könnten wir aber im Jahr 2024 den Anspruch stellen, dass sich etwas ändert. Wir haben diese sehr breite Forschungsbasis, die sagt: Bietet verlässliche Arbeitsbedingungen, arbeitet weniger, arbeitet vernünftig. Aber jeder Effizienzgewinn wird genutzt, um mehr zu verlangen. Und das macht Menschen krank.
Falls jemand das Argument braucht: Kranke Menschen arbeiten schlechter. Mein Vorschlag wäre allerdings, die Gesundheit der Mitarbeitenden als Eigenwert anzusehen. Berechnen lässt sich das dann nicht mehr. Das muss man wollen. Und dieser Wille ist die Verantwortung, die unsere Gesellschaft wirklich braucht.