GAIO: So bringst du deine Marken in ChatGPT und Co
Generative-AI-Optimierung (GAIO) ist eine hypothetische Marketing-Disziplin, analog zur Suchmaschinenoptimierung (SEO). Man kann auch von Chatbot-Optimierung sprechen, der von Philipp Klöckner vorgeschlagenen Begriff GAIO bietet sich jedoch auch an.
Bei GAIO geht es um die Frage, wie Unternehmen sicherstellen können, dass ihre Marke und ihre Produkte in den verbreiteten Large Language Models (LLM) möglichst prominent auftauchen. Denn Modelle wie ChatGPT, Bing Chat, Google Bard oder Googles Search Generative Experience könnten in Zukunft viele Kaufentscheidungen beeinflussen – und tun es wahrscheinlich bereits heute in zunehmendem Maß.
Wer zum Beispiel Bing Chat nach dem besten Toaster für eine WG-Küche fragt, dem preist die KI ein Gerät von Philips an. Und wer sich anschließend als Geschäftsführer eines wachsenden Kleinunternehmens ausgibt und um Hilfe bei der Auswahl einer geeigneten ERP-Software bittet, bekommt SAP Business One empfohlen. Wie kommen diese Antworten zustande?
Brand-Mentions statt Backlinks
Die Empfehlungen von Bing Chat berücksichtigen immer den mitgelieferten Kontext. Einem Gamer etwa wird ein anderer Laptop empfohlen als einem Grafikdesigner. Die KI verweist auf Sekundärquellen wie Fachmedien, Blogs oder Vergleichsseiten, aus denen sich solche Empfehlungen speisen. Herstellerseiten hingegen zieht sie fast nie als Quelle heran.
Die etablierten Grundregeln der Suchmaschinenoptimierung werden damit ausgehebelt: In der klassischen Websuche sind Backlinks weiterhin das wichtigste Relevanzkriterium. Wer mehr hochwertige Links einsammeln kann, ist im Kampf um die ersten Plätze in den Suchergebnissen klar im Vorteil.
Bei der Chat-basierten Suche scheint es sich anders zu verhalten: Hier geht es nicht mehr um Backlinks, sondern um Brand-Mentions. Es ist nicht mehr entscheidend, wo ich verlinkt, sondern wo ich erwähnt werde und was dort über mich erzählt wird – gute Nachrichten für PR-Berater. Die eigene Website verliert gleichzeitig an Bedeutung, wenn Suchmaschinennutzer seltener dorthin weitergeleitet werden.
Von der Theorie zur Praxis
Zu Beginn dieses Textes wurde GAIO als „hypothetische“ Marketing-Disziplin bezeichnet, vielleicht könnte man auch von einer „entstehenden“ Disziplin sprechen. Zwei Hürden gilt es zu nehmen: Erstens muss eine kritische Masse an Nutzern von der Chat-basierten Suche überzeugt werden. Zweitens ist die Frage zu klären, wie der Methodenkoffer von GAIO aussehen könnte.
Um ausreichend Nutzer zu gewinnen und zu halten, müssen die KI zunächst schlicht besser werden – gerade auch was Produktempfehlungen und produktbezogene Fragen angeht. Während Bing Chat bereits heute recht gut darin ist, kontextbezogene und sogar nachvollziehbar begründete Empfehlungen auszustellen, liefert Google Bard aktuell lediglich kurze Produktlisten ohne Begründung und Quellenangabe, die dem Nutzer wenig Mehrwert bieten.
ChatGPT hingegen bietet eine enorme Menge an Beratung und Kontext, streikt aber immer dann, wenn es um die Empfehlung konkreter Produkte geht. Das liegt daran, dass die Trainingsdaten dieses LLM aktuell nur bis September 2021 reichen und die KI anders als Bard und Bing Chat noch nicht auf Live-Daten aus dem Internet zugreifen kann. Sofern sich die Weiterentwicklung der Technologie mit einer ähnlichen Geschwindigkeit fortsetzt wie in den vergangenen Monaten, sollten solche Probleme aber bald ausgeräumt sein.
Der GAIO-Methodenkoffer
Wie wird GAIO in Zukunft funktionieren? Das unmittelbarste Problem für Unternehmen ist sicherlich die fehlende Transparenz: Aktuell wissen sie nicht, wie präsent ihre Produkte und Marken in den Antworten der LLM tatsächlich sind. Welche Fragen werden wie häufig gestellt? Schneiden Wettbewerber in den Antworten möglicherweise wesentlich besser ab? Sind falsche oder veraltete Informationen im Umlauf? In welchen Kontexten werden welche Produkte empfohlen – und aus welchen Quellen speisen sich diese Empfehlungen? Um solche Fragen zu beantworten, bedarf es neuer Tools, die ganz ähnlich funktionieren werden wie die verbreiteten Analyse-Tools im SEO-Bereich, also etwa Semrush oder Sistrix.
Ist diese Transparenz einmal geschaffen, müssen angehende GAIO-Spezialisten anschließend verstehen lernen, welche Faktoren die Präsenz eines Unternehmens in den Antworten der LLM beeinflussen. Es geht also um jene Stellschrauben, die in der Suchmaschinenoptimierung als Ranking-Faktoren bezeichnet werden.
Anhaltspunkte für das Zustandekommen von Antworten liefert bislang vor allem Bing Chat, das Informationsquellen unter seinen Antworten verlinkt. Bei ChatGPT ist immerhin bekannt, welche Trainingsdaten dem Modell zugrunde liegen und wie diese gewichtet sind – ein guter Ausgangspunkt für die weitere Erforschung.
Erst wenn wir die Stellschrauben kennen, können wir anfangen, an ihnen zu drehen. Dann geht die Optimierung wirklich los. Eine relativ simple Taktik könnte darin bestehen, systematisch auszuwerten, welche Websites die LLM in bestimmten Produktkategorien regelmäßig als Quelle heranziehen. Anschließend ließe sich versuchen, die eigenen Produkte und Botschaften gezielt auf diesen Seiten zu platzieren.
Um nachvollziehen zu können, ob solche Maßnahmen tatsächlich einen Unterschied machen, ist zuletzt noch eine Erfolgsmessung nötig. Bislang fehlen dafür sämtliche Voraussetzungen, denn die Anbieter der LLM stellen noch keinerlei Zahlen zur Verfügung. Bereits in den nächsten Wochen soll sich das aber ändern: Microsoft will den ersten Schritt gehen, indem es Bing Chat Reports in seine Webmaster-Tools integriert.
Außerdem soll Bing Chat in den Referrer-Daten eigens ausgewiesen werden, damit Seitenbetreiber verstehen können, wie viele Besucher der Chatbot auf ihre Seiten lenkt. Ab diesem Zeitpunkt wird es möglich sein, erste Schlüsse zu ziehen und auch die Relevanz von Generative AI in der Customer-Journey besser zu verstehen.
Fazit
Ist GAIO mehr als ein Gedankenexperiment? Ja – sofern Generative AI sich als Recherche-Tool dauerhaft etablieren kann. Unternehmen werden sich spätestens dann fragen, wie sie die Wahrscheinlichkeit erhöhen können, in den Antworten der LLM aufzutauchen. Doch wie bei den meisten schnell wachsenden digitalen Kanälen winkt ein signifikanter First-Mover-Vorteil. Eine frühzeitige Beschäftigung mit dem Thema könnte daher lohnen.
„In der klassischen Websuche sind Backlinks weiterhin das wichtigste Relevanzkriterium.“
Wer heute noch so eine Aussage tätigt, disqualifiziert sich als vermeintlichen „experten“ auf ganzer Linie. Damit wird der Artikel leider in Frage gestellt.