„Gamification is Bullshit“: Nicht mehr als neoliberale Verwertungslogik?
„Alles, was wir für ernste Tätigkeiten halten, auch Krieg und Recht, hat spielerische Elemente“, erklärt Sebastian Ostritsch im Videocall. Der Philosoph forscht zur Ethik des Computerspiels und setzt sich auch mit der Frage auseinander, inwiefern ein Spiel nur ein Spiel ist. Der Enddreißiger sagt von sich selbst, dass er mit Games aufgewachsen sei – von Jump’n’Runs bis zu Shootern querbeet vieles gespielt habe. Zurzeit schaut er mehr seinem Sohn bei „Zelda“ zu. „Nichts verrät so viel über die Menschheit wie die Spiele, die sie spielt“, zitiert Ostritsch ein Bonmot aus „Star Trek“, allerdings nur, um das Zitat gleich zu zerlegen.
Ein Experimentierfeld
Auch wenn Computerspiele durchaus „etwas mit einem machen und gewaltige Bilder erzeugen“, hält er nichts davon, von virtuellen Spielhandlungen eins zu eins auf das reale Leben zu schließen, wie es in der Diskussion um sogenannte Killerspiele oft geschieht. Aber: Computerspiele eignen sich als Experimentierfeld: „Ob man sich darauf einlässt, Dämonenjäger auf dem Mars zu sein oder doch eher Landwirt, zu beidem ist kognitive Flexibilität nötig“.
Dies ist ein Teil der Titelgeschichte aus dem t3n Magazin Ausgabe 69. In „Gamechanger: Spielend die Zukunft verändern“ nähern wir uns der Videospielbranche und den vielen Bereichen, in denen Games Arbeit, Technik oder Gesellschaft verändern. Die gesamte Aufgabe könnte ihr hier kaufen.
Auch ein „sehr klug gemachter“ Shooter wie „Spec Ops: The Line“ könne zu einer „ethisch bereichernden Erfahrung“ werden. Die Spielenden finden sich hier als US-Soldat zunächst in der Haltung des Good Guys in einem Kriegsszenario wieder, aber im Laufe des Spiels werden sie damit konfrontiert, dass sie unwissentlich Kriegsverbrechen an Zivilisten begangen haben. Am anderen Ende des Spektrums könne auch ein virtueller sexueller Übergriff auf den eigenen Avatar, wie bei Spiel-Hacks bereits geschehen, als reale Grenzüberschreitung empfunden werden.
Computerspiele eignen sich ihm zufolge dennoch nicht als Lebenssimulation. Denn sie beruhen auf Komplexitätsreduzierung und können nur dadurch überhaupt Spaß machen. „Spielen ist keine Tätigkeit, um etwas zu erreichen“, betont der Wissenschaftler. „Ich spiele“ sei ein Selbstzweck, keine Zweck-Mittel-Relation wie arbeiten, um die Miete zahlen zu können.
„Gamification is Bullshit“
Die Gamification der Arbeit sieht Ostritsch entsprechend kritisch und hält es mit US-Videogameforscher und -designer Ian Bogost: „Gamification is Bullshit“. Gamification in der Wirtschaft sei nämlich keine Umwandlung von Arbeit in Spiel, sondern vielmehr werden Spielelemente wie Leader-Score-Boards, Badges und Co., sprich Belohnungsmechanismen, zur Erzeugung zusätzlichen Wettbewerbsdrucks eingesetzt. Für ihn folgt das „einer neoliberalen Verwertungslogik“. Kapitalistische Unternehmen beruhten auf einer Um-zu-Struktur, die dem Spielen als Selbstzweck widerspreche.
Wenn Arbeit Spielcharakter haben soll, dann müsse sie auch die Eigenschaft des Spielens erfüllen und in sich selbst sinnvoll sein, Geldverdienen zur Nebensache werden. Statt Suchtmechanismen auf die Arbeitswelt zu übertragen, können nicht-spielerische Tätigkeiten Spielcharakter auch dadurch erreichen, dass man Arbeit im weiteren Sinne als Rollenspiel versteht. „Das Spielerische kann für den Einzelnen zum Selbstschutz werden, wenn man begreift, dass nur eine gewisse Rolle, aber nie das ganze Selbst gemeint ist“, sagt Ostritsch. Mit diesem Weltbild könnte es auch leichter fallen, andere einfach als Mitspieler zu akzeptieren. „Das wäre eine ganz andere Art der Gamification.“