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MIT Technology Review News

Für bessere Gebäude: Wie Architekten und Neurowissenschaftler in einem Riesenlabor zusammenarbeiten

Eine lebensgroße Simulation der realen Welt hilft Forscher:innen in England dabei, die Arbeit von Menschen zu verbessern. Es geht um nicht weniger als die Zukunft der Architektur.

Von MIT Technology Review Online
6 Min.
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Ausschnitt des Person-Environment-Activity Research Lab, kurz PEARL. (Foto: Sandra Ciampone)

Hast du dich jemals in einem Gebäude verlaufen, in dem du dann hoffnungslos den Überblick verloren hast? Bei einer durchdachten Gestaltung von Immobilien sollten die Menschen, die diese Gebäude nutzen werden, eigentlich im Mittelpunkt stehen. Doch das ist gar keine leichte Aufgabe.

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Es geht dabei auch nicht nur um die Orientierung. Denk nur an ein Büro, in dem du gefühlt stets schläfrig oder unproduktiv warst, oder an ein Gesundheitszentrum, das eine wenig positive Atmosphäre hat. Ein Design, das für einige Menschen funktioniert, muss zudem nicht unbedingt für andere funktionieren. Menschen haben unterschiedliche Ansichten und Körper, unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse. Wie können wir sicherstellen, dass möglichst viele berücksichtigt werden?

Simulierte Gebäudewelt mit Licht, Temperatur und Geräuschen

Um diese Frage zu beantworten, haben sich Neurowissenschaftler:innen und Architekt:innen in einem riesigen Labor im Osten Londons zusammengefunden, in dem sie simulierte Gebäudewelten erschaffen können. In diesem Labor lassen sich Licht, Temperatur und Geräuschkulisse steuern. Die Forscher:innen können, wenn sie möchten, die Illusion einer Nacht mit Nebel oder das morgendliche Vogelgezwitscher erzeugen.

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Außerdem können sie untersuchen, wie Proband:innen auf diese Umgebungen reagieren, auch bei Simulationen von Lebensmittelgeschäften, Krankenhäusern, Schulen oder sogar Fußgängerüberwegen. Bei einem Besuch von MIT Technology Review konnten wir durch eine simulierte Kunstgalerie wandern, während die Reporterin eine mit Sensoren ausstaffierte Baseballkappe trug, die die Bewegungen nachverfolgte.

100 Meter langes Forschungslabor

Der Ort ist das Person-Environment-Activity Research Lab, kurz PEARL. Hugo Spiers, Neurowissenschaftler am University College London (UCL), hatte zuvor anhand von Videospielen untersucht, wie Menschen navigieren. Inzwischen hat er ein neues Projekt: Er nutzt das PEARL, um zu erforschen, wie sich Menschen in einer lebensechten Umgebung verhalten – beispielsweise in Stresssituationen wie Evakuierungen. Denn bei denen geht es um Leben und Tod.

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Für ihre Forschung richteten Spiers und seine Kollegen im PEARL besagte nachgebildete Kunstgalerie ein. Das Forschungszentrum ist mit einer Länge von etwa 100 Metern, einer Breite von 40 Metern und einer Deckenhöhe von teilweise 10 Metern für ein Labor ziemlich groß. „Es gibt kein anderes Forschungszentrum auf der Welt, das diese Gestalt hat“, sagt Spiers.

Von oben sah die Galerieeinrichtung, die im letzten Sommer aufgebaut wurde, ein wenig wie ein Labyrinth aus, mit einem aus hängenden schwarzen Laken gebildeten Wegverlauf. Die Exponate selbst waren Videos von dramatischen Kunstwerken, die von UCL-Student:innen geschaffen worden waren. Im Juli führten Spiers und seine Kollegen eine kleine Pilotstudie durch, um die Einrichtung zu testen. Als freiwillige/r Teilnehmer:in erhielt man die schwarze Kappe mit einer quadratischen Platte obendrauf, auf der ein großer QR-Code angebracht war. Dieser Code wurde von Kameras über und um die Galerie herum verfolgt. Die Kappe war außerdem mit einem Sensor ausgestattet, der Funksignale an Geräte rund um das Labyrinth sendete, die den Standort der/s Trägers:in auf 15 Zentimeter genau bestimmen konnten.

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Erstes Experiment: Herumschlendern

Zunächst wurden alle Freiwilligen, die meisten von ihnen Student:innen, gebeten, die Galerie wie jede andere zu erkunden. Man schlenderte herum, schaute die Videos an und lauschte den anderen Freiwilligen, die über ihre Forschung und die anstehenden Abgabetermine für ihre Dissertationen plauderten. Es fühlte sich alles ziemlich angenehm und ruhig an.

Dieses Gefühl verschwand im zweiten Teil des Experiments. Dabei erhielten die Probanden jeweils eine Liste mit Zahlen, die sich auf nummerierte Bildschirme bezogen. Diese musste man der Reihenfolge nach möglichst schnell besuchen. „Viel Glück allerseits“, sagte Spiers. Die Menschen eilten daraufhin herum, versuchten, aneinander vorbeizukommen – und das in einem Affentempo. Manchmal kam es zu Zusammenstößen.

„Das ist alles ein bisschen hektisch, oder?“, kommentierte ein Freiwilliger. Viele Probanden konnten ihre Aufgabe gar nicht erst erledigen, bevor das Experiment vorbei war. Schließlich waren alle am Ausgang angekommen und – außer Atem.

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Tracking der Gehirnströme der Personen

In der vergangenen Woche fand die Studie in der „Vollversion“ statt. Dieses Mal waren etwa 100 Freiwillige anwesend. Während fast alle eine modifizierte Baseballkappe trugen, hatten einige Auserwählte eine kompliziertere Ausrüstung, darunter EEG-Kappen zur Messung der Gehirnströme oder Kappen, die Nahinfrarotspektroskopie zur Messung des Blutflusses im Gehirn verwendeten. Einige Leute trugen sogar Eye-Tracking-Geräte, die überwachten, in welche Richtung sie schauten.

„Wir werden heute etwas ganz Besonderes tun“, sagte Spiers zu den Freiwilligen, Mitarbeiter:innen und Beobachter:innen, als das Experiment begann. Derartige detaillierte Messungen an so vielen Personen in einer solchen Umgebung seien „eine Weltneuheit“, sagte er.

Das vorweg: Die Beobachter:innen hatten mehr Spaß als die Teilnehmer:innen. Den Stress, sich an Anweisungen zu erinnern und durch ein Labyrinth zu rasen, gab es für sie nicht. Man konnte auf einem Bildschirm die gesammelten Daten von Sensoren und Kameras verfolgen. Die Freiwilligen, die als verschnörkelte farbige Linien dargestellt wurden, bewegten sich in der Galerie wie in einem „Snake“-Spiel.

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Challenge: Personen und den Ausgang finden

Die Vollversion der Studie ähnelte der Pilotstudie, obwohl die Freiwilligen dieses Mal zusätzliche Aufgaben erhielten. An einem Punkt erhielten sie einen Umschlag mit dem Namen einer Stadt und sollten andere in der Gruppe finden, die denselben Namen erhalten hatten. Es war faszinierend, zu sehen, wie sich Gruppen bildeten. Einige hatten die Namen von Zielstädten wie Bangkok, während anderen eher unscheinbare englische Städte wie Slough zugewiesen wurden, die als Schauplatz der britischen Fernsehserie The Office bekannt ist. An einem anderen Punkt wurden die Freiwilligen gebeten, die Galerie über den nächstgelegenen Ausgang schnell zu verlassen.

Die in dieser Studie gesammelten Daten stellen für Forscher wie Spiers und seine Kollegen eine Art Schatz dar. Das Team erhofft sich, mehr darüber zu erfahren, wie sich Menschen in einem Raum bewegen und ob sie sich anders bewegen, wenn sie allein oder in einer Gruppe sind.

Wie interagieren Freund:innen und Fremde miteinander und hängt dies davon ab, ob sie auf eine bestimmte Art miteinander in Verbindung stehen? Wie reagieren Menschen auf Evakuierungen – nehmen sie den nächstgelegenen Ausgang, wie angewiesen, oder rennen sie wie auf Autopilot zu dem Bereich, durch den sie den Raum ursprünglich betreten haben?

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Wie empfinden Menschen Orte?

All diese Informationen sind für Neurowissenschaftler wie Spiers wertvoll, aber auch für Architekten wie seine Kollegin Fiona Zisch, die an der Bartlett School of Architecture des UCL tätig ist. „Es ist uns wirklich wichtig, wie die Menschen die Orte empfinden, die wir für sie entwerfen“, sagt Zisch. Die Ergebnisse können nicht nur für den Bau neuer Gebäude, sondern auch für die Umgestaltung bestehender Gebäude herangezogen werden.

PEARL wurde 2021 gebaut und wurde bereits eingesetzt, um Ingenieur:innen, Wissenschaftler:innen und Architekt:innen dabei zu helfen, zu erforschen, wie neurodiverse Menschen Lebensmittelgeschäfte nutzen und wie die ideale Beleuchtung für Fußgängerüberwege aussehen sollte. Zisch selbst setzt sich leidenschaftlich dafür ein, gerechte Räume – insbesondere für Gesundheit und Bildung – zu schaffen, die von allen bestmöglich genutzt werden können.

„Nicht jeder ist ein 1,90 Meter großer Mann“

In der Vergangenheit wurden die in der Architektur verwendeten Modelle mit Blick auf typisch gebaute, kräftige Männer entwickelt. „Aber nicht jeder ist ein 1,90 Meter großer Mann mit einer Aktentasche“, sagt Zisch. Alter, Geschlecht, Körpergröße und eine Reihe physischer und psychologischer Faktoren können die Art und Weise beeinflussen, wie eine Person ein Gebäude nutzt. „Wir wollen nicht nur den Raum verbessern, sondern auch das Raumerlebnis“, sagt Zisch. Bei guter Architektur geht es nicht nur darum, atemberaubende Merkmale zu schaffen, sondern auch um subtile Anpassungen, die den meisten Menschen vielleicht gar nicht auffallen, sagt sie.

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Die Studie in der Kunstgalerie ist nur der erste Schritt für Forscher wie Zisch und Spiers, die planen, weitere Aspekte der Neurowissenschaften und der Architektur in weiteren simulierten Umgebungen bei PEARL zu untersuchen. Das Team wird noch eine Weile auf Ergebnisse warten müssen. Aber es ist ein faszinierender Anfang. Beobachten Sie diesen Raum.

Dieser Artikel stammt von Jessica Hamzelou. Sie ist Senior Reporter bei der US-amerikanischen Ausgabe von MIT Technology Review und schreibt über Biomedizin und Biotechnologie.
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