Im Geschäftsbericht für das erste Quartal 2022 wird die Führungsebene des E-Auto-Startups Canoo deutlich: „Zum Zeitpunkt dieser Ankündigung bestehen erhebliche Zweifel an der Fortführung des Unternehmens“. Das betrifft zum einen die akute Finanzlage.
Nach eigenen Angaben standen dem Unternehmen am 31. März 2022 noch rund 105 Millionen US-Dollar an Barmitteln und Barmitteläquivalenten zur Verfügung. Im ersten Quartal hatte der E-Autobauer rund 125 Millionen Dollar an Verlust hinnehmen müssen. Im Vorjahresquartal hatte der Verlust noch rund 15 Millionen Dollar betragen.
Canoo-Chef sieht weitere 600 Millionen Dollar verfügbar
Damit könnte Canoo schon Ende Juni vor dem Aus stehen. In einer Erklärung hatte Canoo-Chef Tony Aquila indes behauptet, dass das Unternehmen über 600 Millionen Dollar „an verfügbarem Kapital” verfügt. Damit könnte die Produktion seiner E-Auto-Palette vorerst weitergeführt werden.
Canoo arbeitet an mehreren Elektrofahrzeugen, darunter den MPDV, einen Mehrzweck-Lieferwagen, und den Canoo Pickup-Truck, der entfernt auf dem ursprünglichen Design des mikrobusähnlichen Fahrzeugs, das 2019 erstmals vorgestellt worden war. Der Canoo sollte nicht verkauft, sondern nur vermietet werden. Von diesem Modell ist heutzutage nicht mehr die Rede.
Bei näherem Hinsehen handelt es sich bei 300 Millionen Dollar der 600 Millionen an „verfügbaren“ Mitteln um eine zugesagte PIPE von einem bestehenden Anteilseigner und einen Aktienkaufvertrag mit dem Finanzierungspartner Yorkville Advisors sowie ein Universal Shelf über weitere 300 Millionen Dollar.
Als schwierig erweist sich die Lage auch an anderen Stellen. So hatte sich Canoo in den vergangenen Monaten von Führungskräften getrennt, die schwer zu ersetzen sind. Schon seit dem vergangenen Jahr untersucht die US-Börsenaufsicht SEC (Securities and Exchange Commission) die Fusion des Unternehmens mit der die Hennessy Capital Acquisition Corp. – einer Spac, über die sie an die Börse gegangen war. Zudem hat Canoo jüngst eine Klage eingereicht, um die von einem bedeutenden Investor mit Verbindungen nach China erzielten Gewinne zurückzuerhalten.
Das ist Canoo
Canoo wurde Ende 2017 vom ehemaligen BMW-Manager Stefan Krause gegründet, der kurz zuvor das angeschlagene E-Auto-Startup Faraday Future verlassen hatte. Krause und einige der anderen Führungskräfte wurden daraufhin von Faraday Future wegen Abwerbung von Mitarbeitern und angeblichen Diebstahls von Geschäftsgeheimnissen verklagt. Der Rechtsstreit wurde Ende 2018 beigelegt.
Der aktuelle Chef Tony Aquila hatte Canoo kurz vor dem Börsengang mit rund 35 Millionen Dollar an eigenen Mitteln ausgestattet und sich in diesem Zuge auf den Chefsessel gehievt. Recht unvermittelt hatte er seinerzeit einen Strategieschwenk eingeleitet.
Aquila sieht das Potenzial der durch Canoo entwickelten Antriebsplattform nämlich vornehmlich im Transport von Waren. Das ist durchaus naheliegend, denn das Canoo-Skateboard erlaubt überaus flexible Aufbauten und das Geschäftsmodell ist auch greifbarer als ein Mietmodell für den Privatgebrauch, von dem niemand weiß, ob es dafür eine Nachfrage geben würde.
Zuletzt hatte sich die US-Raumfahrtbehörde Nasa drei E-Vans von Canoo gesichert, mit denen sie die Raumfahrenden zum Startplatz im Kennedy Space Center in Florida bringen will. Wie Bloomberg berichtet, sollen die E-Vans knapp 150.000 Dollar kosten und so intensive Umbauten benötigen, dass sie erst im Sommer 2023 ausgeliefert werden können. Nach dem Stand der Dinge scheint es fraglich, ob der Anbieter dann noch existiert.