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Porträt

Holokratie: Wie Echometer den Chefposten ausradiert

Flache Hierarchien sind in dynamischen ­Unternehmen längst Realität, doch das Holokratie-Modell geht noch viel weiter: keine Chefs mehr und eine hohe Selbstverantwortung der einzelnen Angestellten. Das Startup Echometer aus Münster setzt darauf.

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Echometer-Gründer (v.l.) Jean Michel Diaz, Robin Roschlau und Christian Heidemeyer. (Foto: Echometer)

Lasst uns die Chefs abschaffen: Was wie eine Parole bei einer Kundgebung am 1. Mai klingt, wird in einigen Unternehmen zunehmend zur Realität. Kreisförmige Organigramme ersetzen dort pyramidenförmige Strukturen. Statt Personen mit unterschiedlichen Autoritäten stehen bei der sogenannten Holokratie unterschiedliche Rollen im Vordergrund. Das Ziel der alternativen Organisationsform: mehr Inklusion und Mitsprache, mehr ­Kreativität und Innovation sowie mehr Zugehörigkeitsgefühl und Engagement. Ausschlaggebend ist ein hohes Maß an Selbstverantwortung der Angestellten. Junge Unternehmen wie Echo­meter setzen darauf: „Holokratie ermöglicht es uns, die Organisation partizipativ und kontinuierlich mit allen Kolleginnen und Kollegen weiterzuentwickeln“, so Gründer Jean Michel Diaz.

Holokratie: Alle haben ein Mitbestimmungsrecht

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Echometer ist ein Software-as-a-Service-Startup, das 2019 als Ausgründung der Psychologischen Fakultät der Uni Münster hervorging. Diaz hat das Unternehmen zusammen mit Christian Heidemeyer und Robin Roschlau gegründet. Sie bieten ein Tool zur Teamentwicklung an, das unter anderem Mitarbeiter-Feedback abbildet. Die drei Gründer haben bereits während des Studiums an verschiedenen Apps programmiert. „Diese Erfahrung hat uns gezeigt, wie viel Energie entsteht, wenn man eigenverantwortlich an eigenen Projekten arbeiten kann“, so Diaz weiter. „Dieses Gefühl wollten wir auch bei Echometer beibehalten.“ Die Jungunternehmer haben nach einer alternativen Organisationsform gesucht, die das ermöglicht. Schnell sei ihnen klar gewesen, dass ein Top-down-Hierarchiesystem sie an ihre Grenzen führen würde. Nicht wenige Chefs sollten den vielen Teammitgliedern sagen, was zu tun ist, sie sollten von Anfang an selbst entscheiden.

„Wir möchten kein Top-down-Hierarchiesystem bei uns.“

Dabei geht es nicht darum, dass alle individuell nach Gusto entscheiden, sondern gemeinsam im Kollektiv nach bestimmten Regeln. Wichtig ist dabei der Konsent: Jedes Teammitglied hat das Recht, akute und begründete Einwände einzubringen und so die Entscheidung zu beeinflussen. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle im Konsens sein müssen: Konsens bedeutet, dass alle dafür sein müssen, Konsent hingegen, dass keiner dagegen ist. Das ­Modell wurde 2015 von US-Unternehmer Brian Robertson entwickelt und erstmals in seiner Firma Ternary Software ­Corporation umgesetzt. Bis heute gibt es auch in Europa viele Nachahmende: Dazu zählen Webagenturen wie Liip aus der Schweiz, aber auch deutsche Konzerntöchter wie Mercedes.io, die global verteilt die E-Commerce- und Online-Marketing-Plattformen von Mercedes-Benz verantwortet.

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Das erhöhte Maß an Teilhabe hat jedoch auch Nachteile. Laut Diaz sei gerade am Anfang der Aufwand der Einführung nicht zu unterschätzen: „Bei allen großartigen Vorteilen, darf man nicht verschweigen, wie komplex Holokratie ist, und wie viel Energie man in das Onboarding neuer Kolleginnen und Kollegen stecken muss, damit sich alle sicher fühlen, ihre Perspektiven einzubringen.“ Gerade zu Beginn brauche es viel Ausdauer, um das ganze Team abzuholen. „Uns hat geholfen, sehr früh damit anzufangen, als die Belegschaft verhältnismäßig klein war.“ Echometer zählt inzwischen 15 Mitarbeitende. Neu dazugekommene Fachkräfte profitierten direkt von der bereits im Team vorhandenen Erfahrung. Dennoch gäbe es auch im Arbeitsalltag immer wieder Erklärungsbedarf zu Holokratie. Daher hat das Echometer-Team eine „Holokratie Support“-Rolle ernannt, die andere unterstützt, ihre Ideen und Bedenken einzubringen.

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Grundsätzlich wird jede Rolle durch ihren Zweck (Purpose), ihren Aufgabenbereich (Domain) und ihren Verantwortungs­bereich (Accountability) definiert. Jedes Teammitglied wählt und priorisiert die To-dos im Rahmen der nächsten Schritte entlang seiner Definition selbst. Der Zweck, die Aufgaben und die Verantwortungen sind dabei fließend und beschränken sich nicht immer nur auf ein einziges Projekt oder eine einzige Abteilung. So könnten Mitarbeitende, die als programmierende ­Fachkräfte an Bord gekommen sind, beispielsweise auch im Rahmen der ­Human Ressources mitentscheiden, welche neuen Teammitglieder eingestellt werden oder wie hoch das Gehalt der unmittel­baren Kolleginnen und Kollegen ausfällt. Für das cheflose Arbeiten braucht es vor allem Menschen mit sehr viel Eigeninitiative, die bereit sind, die Verantwortung nicht nur für sich, sondern auch für ­andere Teammitglieder und somit nicht zuletzt das Unternehmen als Ganzes zu tragen.

Holokratie benötigt konstante Weiterentwicklung

Holokratie ist insofern ein starker Eingriff in das Mindset der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Unternehmenskultur der gesamten Firma. Die allerwenigsten Menschen stellen sich von heute auf morgen darauf ein. Tony Hsieh galt als starker Befürworter der Organisationsform. Der inzwischen verstorbene Gründer des E-Commerce-Unternehmens Zappos hatte Holokratie bereits kurz nach der Anfangsphase des damaligen Start­ups eingeführt und schätzte die Dauer, in der die holokratischen Werte vollständig in die Organisation integriert waren, auf drei bis fünf Jahre. Auch Forscher wie Michael Meyer, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien, beobachten, dass das Konzept zwar besonders gut während Phasen der Unternehmensgründung, der Produktinnovation oder in einem Change-Prozess funktioniere, jedoch kein Modell sei, das in allen Situationen immer das Optimum bringe. Auch Zappos hat sich in einigen Geschäftsbereichen wieder ein Stück von der Organisationsform entfernt. Inzwischen umfasst das Unternehmen rund 1.500 Mitarbeitende.

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Bei Echometer ist Holokratie mittlerweile jedoch gelebte Praxis. „Wir stellen das Modell wenig infrage“, erklärt Mitgründer Jean Michel Diaz. „Es ist eher so, dass wir das Modell stets weiterentwickeln und jedes Team seine Freiheiten nutzt, um die Mittel an die eigenen Bedürfnisse anzupassen.“ Auf keinen Fall sollten Unternehmen das Modell nur halbherzig eins zu eins von anderen Unternehmen adaptieren, sondern entlang der Rahmen­bedingungen des Konsents einen eigenen, auf die jeweilige Organisation zugeschnittenen Weg erarbeiten. „Generell sehe ich für alle kollegialen Organisationsformen eine spannende Zukunft“, so Diaz weiter. „Alle Unternehmen, deren Wertschöpfung mit Wissensarbeit zu tun hat, setzen sich mit Themen wie New Work und agilen Arbeitsweisen auseinander, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“ Holokratie sieht er als einen von vielen Bausteinen in dieser globalen und branchenübergreifenden Transformation der Arbeitsweisen.

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