Dr. Marco Cavaleri ist der Chef der Impfabteilung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA. Gegenüber der größten italienischen Tageszeitung La Stampa äußerte er sich am Dienstag zu verschiedenen Themen rund um die Coronapandemie.
Zulassung „bis Mitte Dezember“: EMA-Chef beurteilt Studiendaten als solide
Eine der Aussagen betrifft den rekombinanten Protein-Impfstoff des US-Herstellers Novavax. Anfang November hatte Novavax eine Zulassung für seinen Impfstoff Nuvaxovid gegen die vom neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 hervorgerufene Erkrankung Covid-19 in Europa beantragt.
Für die Produktion des vereinfacht als Totimpfstoff deklarierten Vakzins hat sich Novavax mit dem Serum Institute of India, dem weltweit größten Impfstoff-Produzenten, zusammengetan. Solche internationalen Kooperationen sind in der Branche keine Seltenheit.
Hatte die europäische Arzneimittelbehörde EMA bislang nur bestätigt, dass die Zulassung des Novavax-Vakzins geprüft werde und mit einer Entscheidung „in einigen Wochen“ zu rechnen sei, wurde Dr. Cavaleri nun konkreter. Gegenüber La Stampa erklärte er, dass die von Novavax vorgelegten Daten „von einer Wirksamkeit von etwa 90 Prozent sprechen und auf jeden Fall solide sind“. Nachdem „die Sicherheits- und Qualitätsstandards der Produktion endlich an die von der EMA und der amerikanischen FDA geforderten Standards angepasst wurden“, sei es möglich, dass das Novavax-Serum „bis Mitte Dezember zugelassen“ werde. Tatsächlich hatte Novavax in der Zeit vor der Kooperation mit dem Serum Institute of India vor Zulassungshemmnissen gestanden. Die sind nun offenbar beseitigt.
Damit könnten theoretisch auch in der EU noch im Jahr 2021 erste Impfdosen verabreicht werden. Die Produktion ist jedenfalls in vollem Gange. Bereits seit dem 1. November ist Nuvaxovid in Indonesien im Einsatz. Die EU-Kommission hatte sich im August 60 Millionen Dosen des Vakzins gesichert.
Entwicklung von Protein-Impfstoffen dauert länger
Dass es so lange gedauert hat, bis erste Protein-Impfstoffe die Zulassungsreife erreichen, ist für Experten kein Wunder. Denn die Entwicklung proteinbasierter Impfstoffe ist schlicht sehr zeitaufwendig. Immerhin müssen die aufgereinigten Proteine, die dem Körper bei Nuvaxovid als Spike-Protein präsentiert werden, in gentechnisch veränderten Zellen von Motten in großem Maßstab hergestellt werden. Das Verfahren als Ganzes besteht aus einer Vielzahl von Schritten, die jeweils einzeln optimiert werden müssen.
Ist diese Prozessoptimierung indes einmal erledigt und sind die Kapazitäten hochgefahren, können proteinbasierte Impfstoffe schnell in großer Zahl produziert werden. Dabei ist die Herstellung kostengünstiger als jene der mRNA-Impfstoffe. Zudem benötigen die Protein-Impfstoffe kaum Kühlung und sind daher im praktischen Einsatz unkompliziert im Handling.
Ebenso sei die Anpassung an neue Varianten leicht zu erledigen. So arbeitet Novavax nach eigenen Angaben bereits an Anpassungen für den potenziell bedrohlichen Omikron-Strang. Der Hersteller selbst schätzt den eigenen Impfstoff auch wegen der längeren Entwicklungsdauer als besser an die Delta-Variante angepasst ein als mRNA-Vakzine. Eine auf Omikron angepasste Rezeptur könne laut Novavax ab Januar 2022 in die Produktion gehen.
Nebenwirkungsprofil insgesamt günstig
Neben den Kostenvorteilen könnte das insgesamt günstige Sicherheitsprofil für den Einsatz der Protein-Impfstoffe sprechen. So sind in den Studien zu den weltweit rund 50 vor den Zulassungsanträgen stehenden Proteinimpfstoffen bislang keine schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Thrombosen, Entzündungen des Herzens, anaphylaktische Schocks oder Todesfälle aufgetreten.
Für viele Praktiker der Impfstoffentwicklung stellen Protein-Impfstoffe die „nächste Ära der Covid-Bekämpfung“ dar. Auch der deutsche Impfstoff-Experte Ralf Clemens hat eine sehr klare Meinung. Gegenüber dem Wissenschaftsmagazin Nature sagte Clemens mit Blick auf Novavax und Co.: „Ich denke, sie werden sich durchsetzen.“
Dem Aktienkurs von Novavax hatten die jüngsten Perspektiven einen Schub um über 22 Prozent gegeben, während Biontech und Moderna sich mit einem Kursgewinn um drei Prozent begnügen mussten. Allerdings schoss auch der Aktienkurs des deutschen Unternehmens Curevac in die Höhe, als dieses im Frühjahr mit der Zulassung des eigenen Impfstoffes gerechnet hatte. Die blieb jedoch aus, die Aktie fiel in den Keller.