Innenstädte fördern durch E-Commerce-Steuer – diese Rechnung kann nicht aufgehen
Raoul Rossmann, der geschäftsführende Gesellschafter der Drogeriekette Rossmann, hat in einem Interview gefordert, Händler mit einem hohen Onlineanteil zusätzlich zu besteuern oder eine Paketsteuer einzuführen. „Wir brauchen Hürden für den Onlinehandel, insbesondere für die ganz großen Player wie Amazon, wenn wir das Gut der Innenstädte schützen wollen“, erklärt Rossmann gegenüber dem Handelsblatt.
Ziel müsse es sein, Milliarden in die Zukunft der Innenstädte zu investieren – und das dürfe eben nicht auf Kosten der Steuerzahler erfolgen, anspielend auf das Beispiel Galeria, bald ohne den Zusatz Karstadt oder Kaufhof. Mal abgesehen davon, dass diejenigen, die Waren kaufen, in aller Regel auch Steuerzahler sind, ist der Vorschlag des Drogerieerben, der seit 2015 neben Vater Dirk Rossmann die Geschicke der zweitgrößten deutschen Drogeriekette führt, in vielerlei Hinsicht falsch und unrealistisch.
„Wenn ich für ein online bestelltes Paket fünf Euro mehr bezahlen muss, als wenn ich die Produkte stationär erwerbe, dann überlege ich genau, ob es mir das wert ist“, erklärt Rossmann. Nein, das gerade nicht – der Kunde wird in Zukunft eher überlegen, ob er in die sich wandelnde Innenstadt fährt, dort für mehrere Euro parken will oder ob er aus Effizienzgründen all das online bestellt, was er nicht vorher gesehen haben muss. Und anders als Rossmann dem Interview nach immer noch glaubt, ist der Präsenzhandel bei Lebensmitteln und Drogeriewaren durchaus ein Bereich, in dem die Kunden auch online einkaufen wollen.
Onlinehandel gegen Präsenzhandel auszuspielen, ist nicht zielführend
Gerade Amazon würde all das aller Voraussicht nach nicht treffen – dank eigener Logistik und reichlich Möglichkeiten, das Geschäft auch aus dem Ausland zu dirigieren. Und der Drogeriekette, die das Onlinegeschäft verschlafen hat wie kaum eine andere Kette in Deutschland, würde das auch wenig bringen. Denn das Beispiel DM, ebenfalls über lange Jahre eher verhalten in Sachen E-Commerce, hat gezeigt, dass man zum einen mit der Kombination aus einem unterstützenden Filialnetz, Omnichannel-Ansätzen und beherztem Investieren auch einen Rückstand gut aufholen kann, nicht aber, dass das Schaffen negativer Anreize eine Entwicklung dauerhaft aufhalten kann.
Hinzu kommt, dass es nicht Aufgabe der Gesellschaft sein kann, einer Einzelhandelskette, die noch vor einigen Jahren jährlich zweistellige Wachstumsraten vermelden konnte und auch nicht Lockdown-bedingt schließen musste, ein solches Subventionsgeschenk zu machen. Immerhin hat Rossmann offenbar verstanden, dass die Corona-Pandemie nur das beschleunigt, was eh schon absehbar war. Dass er sich von der Einführung einer zusätzlichen E-Commerce-Steuer – er denkt an eine höhere Mehrwertsteuer für Unternehmen, die einen hohen Umsatzanteil online erzielen – für sich Vorteile erhofft, wird weder einzelnen Ketten helfen, noch den Strukturwandel aufhalten.
Abgesehen davon ist das zu kurz gedacht: Denn Rossmann macht weder konkrete Vorschläge, wie eine solche Steuer aussehen kann, noch ist es beispielsweise für eine moderne, online orientierte Drogerie einsehbar, warum diese gegenüber einem Großunternehmen wie der zweitgrößten Drogeriekette Deutschlands, die in vielen Filialen geradezu schleckeresk-traditionell wirkt, benachteiligt werden sollte.
Paketsteuer wäre ein wenig nachhaltiger Ansatz
Die ebenfalls geäußerte Idee einer Paketsteuer wirkt dagegen gänzlich aus der Zeit gefallen – nachdem eine McKinsey-Studie gezeigt hat, dass ein vernünftiger Pakethandel, bei dem nicht jede Ware einzeln durchs Land transportiert wird, unterm Strich sinnvoller für die CO2-Bilanz ist als der Präsenzhandel in den Innenstädten. Und anders als Rossmann in dem Interview erklärt, ist es durchaus sinnvoll, wenn auch ein Handelsunternehmen Klimaneutralität anstrebt.
Es wird in Zukunft nicht zielführend sein, Präsenzhandel und Onlinehandel gegeneinander ausspielen zu wollen, sondern es wäre sinnvoller, wenn sich Rossmann, die ja durchaus bundesweit sowohl in Innenstadtlagen als auch in Einkaufzentren auf der grünen Wiese präsent sind, in zielführende Diskussionen einbringen würden, wie man Innenstädte sinnvoll reformieren kann. Denn die Pandemie hat gezeigt, dass wir in Zukunft die Innenstädte auch und gerade für die Dinge des täglichen Lebens deutlich seltener aufsuchen und viele stattdessen einen Mix aus Online und Ladengeschäft bevorzugen werden.
Der Satz „die Entwicklung lässt sich nicht aufhalten“ ist eine Kapitulation. Ich wäre sehr wohl dafür, dass die Kommunen einen solidarischen Steueranteil bekommen, sonst verrottet alles und die groß Städte werde nur unbezahlbarer. Und negative Anreize sind sehr wohl hilfreich. Es ist ein steuerndes Element des politischen Werkzeugkasten. Siehe CO2-Steuer, EEG-Umlage, Zölle, …
Diese „steuerneden Elemente des politischen Werkzeugkastens“ zeigen auch ihre Effizienz: Dank CO2-Steuer ist die Klimakatastrophe abgewendet, die EEG-Umlage hat gesichert, dass wir binnen weniger Wochen aus der fossilen Energieerzeugung aussteigen und Zölle? Na ja, Mauern und Stacheldraht sind effektiver, Zölle sind zumindest mal ein Anfang, um seine marode Industrie vor der Konkurrenz aus den Entwicklungsländern zu schützen…
Ich muss sagen, diesem „hohen Gut“ der Innenstädte, in denen man sich außer zum Konsumieren nicht mehr willkommen fühlt, trauere ich in dieser Form nicht nach. Das ist nur der Versuch, sein veraltetes und verschlafenes Geschäftsmodell von Staat retten zu lassen. Für die Gesellschaft wäre die grundlegendere Frage wie unsere Innenstädte eigentlich aussehen könnten zielführender.
Es haben augenscheinlich immer noch nicht so viele Menschen in Deutschland verstanden, das das Internet da ist UND auch nie wieder weg geht!!! Aktuell ist es wichtig, dass wir unser Leben NEU gestalten! Mit den neuen Herausforderungen und den neuen Möglichkeiten.
Das gilt auch für die Innenstädte. Sie werden sich umgestalten. Weg vom reinen Konsumzentrum. Hin zu Showrooms und Erlebniswelten. Zu Meeting Points und Interaktionsplätzen. Dann ist dort auch wieder Leben. Mehr als jetzt.
„Paketsteuer wäre ein wenig nachhaltiger Ansatz …“
Auch wenig nachhaltige Ansätze sind es wert, in unserer Rest-Republik in die Tat umgesetzt zu werden, wenn sie
a) Geld in die Saatskassen spülen, das man dann mit der Gießkanne über den Multi-Konzernen wieder ausschütten kann
b) unsere geistig degenerierte Polit-Junta in Bund/Land/Kommune von der unangenehmen Tätigkeit des Nachdenkens befreit.
Also, Cum-Ex-Olaf, schnell umsetzen, solang du noch an der Macht bist.