Der Snap-10 aus dem Jahre 1965 war der erste und bisher einzige Kernspaltungsreaktor im Weltraum. Jetzt will Atomos Space, ein US-Space-Startup daran anknüpfen und ein Raumfahrzeug mit dem Namen Neutrino Space Nuclear Pathfinder auf den Mrakt bringen.
Kernfusionsreaktoren im All kein technisches Problem
Die Technik sei nämlich mitnichten das Problem, so das Startup. Vielmehr würde lediglich der regulatorische Rahmen Innovationen auf diesem Gebiet verhindern. Da passt es gut, dass sich die US-Regierung neuen Rahmenbedingungen durchringen konnte, die viele bislang unklare Vorschriften für die Kernenergie im Weltraum klarer fassen.
Für Atomos Space liegt der Vorteil der Kernenergie auf der Hand. Damit könnte die Menschheit ihre Präsenz außerhalb der Erde erheblich ausweiten, denn die Reichweiten solcher Raumschiffe wären kaum limitierend zu definieren.
Dabei ist es nicht so, dass die US-Weltraumbehörde Nasa nicht bereits jetzt auf radioaktive Stoffe setzen würden. Orbiter, Weltraumsonden und Marsrover werden mit Radioisotopenbatterien auf Basis von Plutonium betrieben, aber ein Fusionsreaktor wäre nochmal eine andere Hausnummer.
Um zu zeigen, dass Kernfusionsreaktoren als Antriebe grundsätzlich funktionieren, will Atomos Space möglichst bald den Test eines Kernspaltungsreaktors mit 100 Watt thermischer (aka gering) Leistung in einer Umlaufbahn durchführen.
Davon, dass dieser Test von Erfolg gekrönt sein wird, ist Vanessa Clark, Chefin von Atomos Space, überzeugt. Auch sie legt Wert auf die Feststellung, dass es sich beim Einsatz von Kernreaktoren als Allantriebe eher um ein bürokratisches, denn um ein technisches handelt.
Atomos besondere Kompetenz: Bürokratie
Deshalb habe sie ihr 2017 gegründetes Unternehmen Atomos Space mit Sitz in Denver im US-Bundesstaat Colorado gezielt mit einem Verwaltungsfokus gegründet. Damit unterscheidet sich Clarks Firma von Wettbewerbern wie Spacenukes oder X-energy, die sich mehr auf die technischen Specs konzentrieren.
investiert derzeit in einen Reaktor als Teil der größeren Vision des Unternehmens, „Weltraumschleppdienste“ zu entwickeln, die Satelliten nach dem Start in die Zielorbits leiten. Obwohl es nicht das einzige Unternehmen ist, das Kernreaktoren für den Weltraum entwickelt – zu den anderen gehören Unternehmen wie sowie Regierungsbehörden wie die NASA und DARPA -, hebt sich das Unternehmen laut durch die Konzentration auf den bürokratischen Aufwand ab.
„Wir sind definitiv das erste Unternehmen, das sagt, dass der größte Schritt nicht die Technologie ist, sondern der Nachweis, dass es aus Sicht der Regulierungsbehörden möglich ist. In dieser Hinsicht sind wir definitiv ein Vorreiter“.
Der leitende Entwicklungsingenieur Lucas Beveridge fügt hinzu: „Sobald man diese psychologische Barriere überwunden hat, gibt es alle möglichen Einsatzmöglichkeiten für die Weltraum-Kernenergie.“ Immerhin hätten „viele Leute“ bereits seit den 1950er Jahren an diesem Thema gearbeitet. Daher gebe es „so viele erstaunliche Konzepte, die funktionieren könnten, aber man hat nie die Chance bekommen, sie auszuprobieren“.
Atomos-Chefin: Schnell und weit im All – nur mit Kernenergie
Für Atomos-Chefin Clark ist die Kernenergie schlicht „die Technologie, um sich im Weltraum weit oder schnell zu bewegen“. Nur so sei letztlich eine dauerhafte Präsenz außerhalb unseres Heimatplaneten möglich.
Dass die Kernenergie viele Vorteile gegenüber dem im Weltraum am häufigsten vorkommenden Brennstoff, der Solarenergie, bietet, ist unumstritten. Kernenergie benötigt kein Sonnenlicht, um zu funktionieren. Daher könnten nuklearbetriebene Raumfahrzeuge nachts ununterbrochene Energie auf Planeten liefern oder für die Erforschung der dunkelsten Bereiche des Sonnensystems eingesetzt werden.
Weil Nuklearantriebe kompakter sind als Solaranlagen, bliebe in den Raumfahrzeugen mehr Platz für andere Materialien oder Passagiere oder eben einen entsprechend größer dimensionierten Antrieb.
Fehlende Atmosphäre relativiert manches Kernenergieproblem
Natürlich gelten für die Kernenergie im Weltraum weitgehend die gleichen Kontrapunkte wie für die Kernenergie auf der Erde. Dabei ist das Risiko der radioaktiven Verseuchung wohl der gefährlichste Nachteil der Technologie, der sich indes außerhalb von Atmosphären weniger schwerwiegend auswirken könnte.
Wichtig wäre es dabei vor allem, beim Start auf der Erde eine Situation zu schaffen, die es den in den Weltraum zu beförderndem Kernreaktoren nicht ermöglichen würde, zu einer nuklearen Katastrophe zu werden. Darüber hat man bei Atomos Space bereits nachgedacht.
Atomos-Ingenieur: Kritisch ist nur der Start von der Erde
Genau aus diesem Grund nämlich arbeitet Beveridge an einem Reaktordesign, bei dem die beiden für den Betrieb des Systems erforderlichen Brennstoffladungen getrennt werden, um sie erst im Weltraum wieder zusammenzuführen. Die Idee ist, dass jene Teile, die niedrig angereichertes Uran enthalten, entweder auf gegenüberliegenden Seiten einer Raketenverkleidung, der Bugkappe, die ein Raumfahrzeug während des Starts abschirmt, ins All fliegen oder sogar auf zwei separaten Raketen starten. Im letztgenannten Fall würden die Treibstoffladungen bis zu ihrem Einsatz im Weltraum nicht miteinander interagieren, selbst wenn die Trägerrakete explodieren oder eine andere Fehlfunktion auftreten würde.
„Das würde jedes mögliche Risiko ausschließen“, erläutert Beveridge im Gespräch mit Vice. „Im Grunde ist es physikalisch unmöglich, dass es versehentlich kritisch wird“.
Natürlich sei Wichtigste die Sicherheit, beteuert der Ingenieur, dennoch sei es sachgerecht, den behördlichen Genehmigungsprozess zu vereinfachen. Noch ist Atomos Space nicht so weit. Das Unternehmen geht davon aus, unter Auslotung aller regulatorischen Untiefen noch vier bis fünf Jahre zu brauchern, bevor die erste experimentell Neutrino-Mission starten kann.
Clark: Mars- und Mond-Stationen nicht ohne Kernenergie denkbar
Anhand einiger aktueller Projektideen macht Atomos-Chefin Clark klar, wieso an ihrer Technologie kein Weg vorbeiführt:
„Wenn man sich anschaut, was SpaceX vorhat – nämlich zum Mars zu fliegen – dann ist ein Kernreaktor die einzige Möglichkeit, um auf der Marsoberfläche Treibstoff herzustellen. Wenn man sich anschaut, was die NASA auf der Mondoberfläche vorhat, so ist zu bedenken, dass die Dauer der Nacht auf dem Mond 14 Erdtage beträgt. Solarzellen und Batterien reichen da nicht aus.“