Warum es für KI-Entwicklung wichtig ist, dass die Daten unserer Geräte uns gehören
„Alexa, lösch meine Daten!“ – so einfach ermöglicht es Amazon den Nutzern seiner virtuellen Sprachassistenz, die Nutzungshoheit über ihre persönlichen Daten zu wahren. Bei aller berechtigten Kritik, die an Amazon immer wieder vorgebracht wird: In puncto Datenhoheit unterscheidet sich der E‑Commerce-Gigant von zahlreichen anderen Unternehmen, auf die man so ohne Weiteres gar nicht kommen würde.
Ob Kaffeemaschine oder Traktor: Wem gehören die Daten?
Egal, ob Tesla, Nissan, John Deere, Trumpf oder Philips: Sie alle eint eine zweifelhafte Grundhaltung, wenn es um die Frage geht, wem die Nutzungsdaten gehören. Um das noch einmal deutlich zu sagen: Wir reden hier vom wichtigsten Treibstoff für die weitere Entwicklung von künstlicher Intelligenz. Da wundert es mich schon, dass dieser Aspekt bei den aktuellen Debatten um den AI-Act der Europäischen Kommission nicht viel präsenter ist.
Ein paar Beispiele, die das eigentliche Problem verdeutlichen: 2022 hat sich ein Hacker in die Traktoren von John Deere gehackt, um zu verdeutlichen, dass es den Landwirten faktisch unmöglich ist, die Landmaschinen unabhängig vom Hersteller zu reparieren oder zu tunen. Das Recht auf Reparatur, das nur mithilfe der Daten aus der Softwarenutzung möglich ist, soll in US-Gesetzen zwar gesichert werden, John Deere hält sich hier allerdings noch ein Hintertürchen offen. Und wer jemals einen Philips-Kaffeevollautomaten in einer kompetenten Werkstatt reparieren lassen wollte, hat ganz ähnliche Erfahrungen machen können: Nicht ohne Philips! Egal, welcher Schaden vorliegt – Philips repariert zum Festpreis. Aber eben nur Philips. Da stellt sich dann schon die Frage: Wem gehört eigentlich die Maschine? Dem Hersteller oder dem Nutzer?
Um das Problem weiter einzugrenzen, ein Blick auf die zahlreichen Sensor- und Kameradaten, die von Automobilherstellern gesammelt werden. Hand aufs Herz: Wer hat sich beim Autokauf wirklich für die Datennutzungsbestimmungen interessiert? Wem ist wirklich klar, dass – mit Ausnahme von Renault und Dacia – keiner der noch im Sommer gecheckten Automobilhersteller das Löschen der eigenen Daten ermöglicht?
Und dabei sind die zahlreichen neuen chinesischen Automobilhersteller hier noch komplett außen vor. Wie es um die Datenhoheit und ‑weiterverarbeitung der fahrenden Smartphones aus dem Reich der Mitte bestellt ist, möchte ich mir gar nicht ausmalen. Interessanterweise hat China selbst bereits 2021 ein Gesetz verabschiedet, das es ausländischen Unternehmen untersagt, personenbezogene Daten – dazu gehören eben auch Fahrdaten und Bilder aus den Fahrzeugen – im Ausland zu verarbeiten. Die Automobilbranche ist sich einig, dass mit dieser Abschottung des größten Automobilmarktes der Welt die weitere Entwicklung in Sachen KI und autonomes Fahren durch Protektionismus bewusst einseitig ausgerichtet wird.
Aber bleiben wir ruhig im eigenen Land und wenden uns dem so oft zitierten „Rückgrat“ der deutschen Wirtschaft zu: dem Anlagen- und Maschinenbau made in Germany. Auch hier geht der Trend vom Maschinenkauf zum Abomodell. Pay per Use, ein Modell, mit dem Rolls-Royce beim Triebwerksverkauf aufgrund eigener Produktionsschwachstellen und entsprechender Ausfallzeiten bereits gescheitert ist, Pay per Part (also pro gefertigtem Teil) oder Payzr (with Zero Risk) – so lauten die aus der digitalen Wirtschaft adaptierten neuen Geschäftsmodelle der Anlagen- und Maschinenbauunternehmen. Predictive Maintenance oder die Optimierung von Produktionsprozessen auf der Basis von Einsatz- und Nutzungsdaten etwa bekommt vor diesem Hintergrund eine völlig neue Bedeutung.
Spätestens hier kehren wir zur Ausgangsfrage zurück: Wem gehören die Nutzungsdaten? Aus meiner Sicht werden das Know-how und die eigentliche Werkleistung der eine Maschine einsetzenden Unternehmen unterminiert, wenn alle Daten beim Hersteller bleiben. Die Frage nach dem Recht auf Reparatur, wie sie in den USA aufgeworfen wurde, ist mehr als berechtigt. Und nicht nur das. Diese Unternehmen sorgen schließlich dafür, dass eine Maschine überhaupt und letztlich auch so genutzt wird, dass sie am Ende ein eigenes Produkt schafft. Mit den angesprochenen Modellen partizipieren die Hersteller nicht nur an der von ihr kaum beeinflussten Konjunktur. Sie schließen gleichzeitig die produzierenden Unternehmen datenseitig vom Produktionsprozess einzelner Maschinen aus.
Ein Paralleluniversum der Datenerfassung
Allein die Servicetechniker sind in der Lage, die Nutzungsdaten einzusehen und zu verarbeiten. Das fördert nicht nur die Abhängigkeit der Mittelständler von den Herstellern. Sie werden so auch außerstande gesetzt, mithilfe der Daten ihre eigenen Produktionsprozesse zu optimieren. Das führt zu der absurden Situation, dass Mittelständler in ihrer Not ein Paralleluniversum der Datenerfassung schaffen, um sich mit eigenen Sensordatennetzwerken aus dieser neuen Abhängigkeit zu befreien. Das Ergebnis ist ein Datenerfassungswettrüsten zwischen vermeintlichen Geschäftspartnern. Dieses Bild ist nicht schief. Dieser „Krieg“ um Daten ist faktisch ein Wirtschaftskrieg.
Diese Entwicklung läuft Gaia X, dem Bemühen um eine europäische Dateninfrastruktur, schlicht zuwider. Wenn wir uns so verhalten, fehlt der Rohstoff, um das Thema KI, für das wir Daten als Grundlage benötigen, wirklich nach vorn zu bringen. Hier fehlt eine klare Reglementierung. Bei allem Wohlwollen für die ethischen Fragen, mit denen sich der AI-Act befasst, es fehlt an einer Regelung zur Datenhoheit und ‑nutzung. So bleibt ein wesentlicher Aspekt, der die EU und Deutschland im KI-Sektor wettbewerbsfähig macht, auf der Strecke.