Feindbild Putin: Darum reagiert die Tech-Branche diesmal so geschlossen
Immer mehr Tech-Unternehmen ergreifen Maßnahmen gegen Russland und beziehen damit im Konflikt um den durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu verantwortenden völkerrechtswidrigen Angriff auf den Nachbarstaat Ukraine eindeutig Stellung. Am einfachsten hatten es die Social-Media-Plattformen, denen die Aufgabe zukommt, Putins politische Propagandamaschine abzuschneiden.
Tech-Konzerne handeln überraschend schnell, überraschend klar
Dienste wie Facebook, Instagram, Twitter, Youtube und andere haben teils aus eigenem Antrieb, aber häufiger auf Drängen europäischer Regierungen und den Zivilgesellschaften dieser Länder Beiträge und Konten russischer Staatsmedien gesperrt. Facebook-Mutter Meta blockiert Werbung von Medien, die von Russland unterstützt werden. Twitter zeigt überhaupt keine Anzeigen mehr in Russland. Snap blockiert alle Anzeigen von russischen Unternehmen.
Streamingdienste haben die russischen Propagandakanäle RT und Sputnik von ihren Plattformen geschmissen. Apple schließt bis auf Weiteres seine Stores und liefert auch ansonsten keine Geräte nach Russland. Elon Musk sorgte dafür, dass Starlink in der Ukraine verfügbar wurde. Sogar der chinesisch-stämmige Dienst Tiktok geht gegen russische Staatsmedien mit Einschränkungen vor.
Grund #1: Krisen der letzten Jahre haben Instrumentarium hervorgebracht
Innerhalb weniger Tage haben sich alle relevanten Tech-Unternehmen auf eine gemeinsame und verhältnismäßig entschlossene Haltung gegen Russlands Angriff auf die Ukraine verständigt. Nick Clegg, Metas Chef für globale Angelegenheiten, hatte getwittert, dass der Krieg in der Ukraine „verheerend“ sei und sein Unternehmen mit ukrainischen Regierungsvertretern in Kontakt stehe, um zu erörtern, wie es helfen kann.
Diese Entschlossenheit dürfte all jene überrascht haben, die seit Jahren warnen, soziale Medien und globale Tech-Unternehmen würden bei humanitären Krisen zu wenig tun. Wieso also ist dieser Fall so anders, als etwa die Bekämpfung des Menschenhandels oder des Kindesmissbrauchs – beides Probleme, die über soziale Medien erst die Dimensionen erreichen konnten, die sie heute haben?
Die Antwort ist zweigeteilt. Zum einen haben die Krisen der letzten zwei Jahre insbesondere die Social-Media-Plattformen gezwungen, Tools zu entwickeln, die ein Eingreifen in den Informationsfluss ermöglicht haben. Denn neben der Coronapandemie und der medialen Schlacht um ihre Bekämpfung gab es auch eine US-Präsidentschaftswahl und – nicht zu vergessen – den Sturm auf das Kapitol, der über Social Media organisiert und befeuert war. Maßnahmen wie die Kennzeichnung von Beiträgen waren aufgrund dieser Krisen entwickelt worden und brauchen nun nur noch angewendet zu werden. Die schwierigen Diskussionen darum, was gesperrt werden darf und was nicht, waren da bereits geführt und im Sinne einer realen oder gefühlten Mehrheit entschieden worden.
Grund #2: Russland ist eindeutig zum Feindbild erkoren
Wesentlicher dürfte aber ein zweiter, recht profaner Grund sein. Die Ablehnung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ist nämlich international so stark, dass Unternehmen in der öffentlichen Wahrnehmung keinen Fehler machen können, wenn sie sich gegen Russland stellen. Im Gegenteil könnte es ihnen eher zum Nachteil gereichen, wenn sie es nicht tun. Beispiele prominenter Einzelpersonen, die aufgrund einer als nicht hinreichend erachteten Distanzierung zum russischen Staatshandeln Aufträge verloren oder gekündigt wurden, gibt es einige.
Wie weit das gehen wird, muss sich noch zeigen. Jedenfalls ist die Unterstützung aller Maßnahmen, die eine Eindämmung staatlicher Nachrichten aus dem Hause Putin mit sich bringen, eine Haltung, die man ohne Weiteres an den Tag legen kann. Sowohl in den USA wie in Europa wird die russische Invasion von Politik und Zivilgesellschaft nahezu einstimmig verurteilt.
Bedeutet das eine politische Wende im Unternehmenshandeln? Eher nicht. Denn die meisten Themen sind nicht so eindeutig nach Mehrheiten zu behandeln wie der russische Angriffskrieg. Die Klarheit der Handlungsoptionen ist in der aktuellen Krise nur dem Umstand geschuldet, dass sich ein Staatenlenker ganz klar und eindeutig in eine Unrechtsposition gesetzt hat.
Andere politische Diskurse sind schwieriger zu führen. Wollen wir sogar hoffen, dass die aktuelle Entschlossenheit nicht zu einer Verflachung politischer Meinungsbildung im Allgemeinen führen wird.