Revolutionieren künstliche Stimmen den Hörbuch-Markt?

Künstliche Stimmen sollen den Hörbuch-Markt aufmischen (Bild: Shutterstock)
Der Hörbuch-Markt floriert: In den vergangenen Jahren sind die Verkaufszahlen enorm gestiegen, angestoßen zunächst dadurch, dass sich Audiodateien leichter herunterladen und damit digital kaufen ließen. Zuletzt hat auch die Corona-Krise dem Hörbuch-Boom weiteren Auftrieb verliehen. Während der Lockdowns ist das Interesse an Podcasts, Lesungen und Hörbüchern erneut gewachsen.
Für die Verlage, die mit Sorge auf Studien über nachlassende Leselust der Deutschen blickt, bedeutet dies eine lukrative Verdienstmöglichkeit. Zugleich stellt es sie allerdings auch vor eine Herausforderung, dem wachsenden Hörbuch-Markt hinterherzukommen. Denn die Vertonung von Hörbüchern kostet Arbeit, Zeit und vor allem auch Geld: Professionelle Sprecher:innen oder Schauspieler:innen sowie die lange Zeit im Studio wollen schließlich entlohnt werden. Eine künstliche Stimme würde deutlich weniger kosten und schneller fertig sein als menschliche Erzähler.
Synthetische Stimmen künsteln in Zeiten von Alexa und Siri immer weniger
So ziehen Autor:innen und Verlage nun doch vermehrt synthetische Stimmen für die Vertonung von Hörbüchern in Betracht. Vor einigen Jahren wäre dies ob deren offensiver Künstlichkeit noch undenkbar gewesen. Seit Hersteller von virtuellen Sprachassistenten wie Apple, Google oder Amazon jedoch reichlich KI-basierte Forschung an computererzeugten Stimmen betrieben haben, hat es in dieser Hinsicht große Fortschritte gegeben.
Erste Hörbücher, die von einem gewissen Nicholas Smith eingelesen wurden, tauchen laut Wired bereits auf Amazons Hörbuch-Plattform Audible auf. Doch Nicholas Smith existiert nicht: Es handelt sich hierbei um eine KI-Stimme. Wie der professionelle Sprecher Heath Miller gegenüber Wired versicherte, ist dies auch deutlich zu hören: Wenn Smith auch wenig mit den ungelenken Computer-Stimmen von vor einigen Jahren zu tun haben mag, sei jedoch unverkennbar, dass es sich nicht um einen Menschen handelt. Darauf würde nicht nur sein Tonfall hindeuten, sondern auch falsch ausgesprochene Wörter, die das KI-System ihm noch nicht beigebracht hat.
Amazon bricht mit einer alten Regel
Dabei hat Amazon sogar in seinen AGB vermerkt, dass hochgeladene Hörbücher „von einem Menschen erzählt sein müssen”. Ein Sprecher der Plattform sagte Wired, dass angesichts der schieren Menge an Hörspielen und -büchern ein paar bei der Kontrolle durchaus durchs Netz gehen würden.
Die Regel reicht mindestens bis in das Jahr 2014 zurück, als künstliche Stimmen noch unerträglich in ihrer Künstlichkeit waren. Es bleibt also abzuwarten, ob Amazon seine Vorgabe nicht noch an den anrollenden Wandel im Hörbuch-Markt anpasst.
Hörbuch mit künstlicher Stimme: Das hat Vorteile und Nachteile
Diese Entwicklung sieht Miller kritisch. „Ein wenig macht mir das Angst, denn mein Lebensunterhalt und der vieler Menschen, die ich respektiere, steht auf dem Spiel”, sagte er Wired. Er und seine Kolleg:innen stecken viel Arbeit, Nuance und Emotion in jede Lesung, wie er beschreibt. Ob künstliche Stimmen dies jemals vollständig nachahmen werden können, ist fraglich.
Einige Autor:innen haben darauf jedoch einen anderen Blickwinkel. Jon Richter ließ seinen jüngsten Sci-Fi-Roman „Auxiliary: London 2039” bewusst von einer KI-Stimme einsprechen, da deren Künstlichkeit die Thematik seines Buches unterstreichen würde, wie er Wired erklärte.
Für Verlage bedeutet die Entwicklung auch eine Chance. Vor allem kleinere Verlage würden ihre Bücher oft gar nicht erst zu Hörbüchern vertonen lassen, da die Ressourcen und finanziellen Mittel dafür fehlen. Die Möglichkeiten, die künstliche Stimmen bieten, könnten den Hörbuch-Markt damit auch vielfältiger machen.