Langwierige Trennung: Tiktok doch enger mit chinesischer Version verzahnt als gedacht

Wie Reuters aus gut unterrichteter Quelle erfahren haben will, steht die Übernahme von Tiktok durch Microsoft vor einer ganzen Reihe technischer Probleme. Eine der größten Herausforderungen entsteht wohl daraus, dass Tiktok zwar im Frontend vollkommen unabhängig von der in China beliebten und im Anwendungszweck gleichen App Douyin ist, sich mit ihr aber die Server-Funktionalität teilt.
Tiktok doch eng verzahnt mit Douyin
So wäre die Übernahme der optischen Hülle von Tiktok kein Problem, aber alles, was wichtig ist, müsste aus dem Serververbund mit Douyin und anderen von Bytedance betriebenen Angeboten mühevoll rausgeschnitten werden. Experten sprechen davon, dass dieser Vorgang, wenn er denn überhaupt mit Erfolg absolviert werden könne, mindestens ein Jahr in Anspruch nehmen würde.
Es sei davon auszugehen, dass wesentliche Funktionen wie die Datenspeicherung, die Moderations- und vor allem die Empfehlungsalgorithmen sowie das komplette Management der Nutzerprofile im Verbund mit der Douyin-App abgewickelt werden, so Reuters. Eine unterbrechungsfreie Übernahme des Betriebs von Tiktok auf Microsoft-Infrastruktur wäre damit praktisch ausgeschlossen.
Weiterarbeiten auf Bytedance-Servern nötig
Vielmehr müsste sich der neue Eigner darauf einlassen, zunächst mit der vorhandenen Bytedance-Struktur weiterzuarbeiten, um dann nach und nach auf eigene Systeme zu wechseln. Das indes dürfte die US-amerikanische Regierung auf keinen Fall dulden, schon gar nicht für Zeiträume von mehreren Monaten oder einem Jahr. Schon in der Vergangenheit hatte die zuständige US-Genehmigungsbehörde CFIUS (Committee on Foreign Investment in the United States) regelmäßig entsprechende Separationsvorgaben bei Übernahmen gemacht.
Problematisch dürfte ebenso die Anwendung der Algorithmen sein, die das Herzstück von Tiktok, die sogenannte For-You-Page mit ihren Empfehlungen, antreiben. Die basieren auf den Interaktionen, die die Nutzer auf der Plattform vollziehen und müssen daher stark mit den Nutzerdaten verzahnt bleiben. Hier müssen gigantische Datenmengen übertragen werden, die kaum über digitale Wege zu übertragen sein werden.
Rechtsanwälte sehen alleine Monate für die Bestandsaufnahme vor
Mit Übernahmen vertraute Rechtsanwälte weisen zudem daraufhin, dass allein die Feststellung, welche Assets exklusiv von Tiktok genutzt werden und welche sich das Produkt mit anderen Angeboten aus dem gleichen Hause teilt, Monate dauern kann. So oder so, der Zeitplan des US-Präsidenten Donald Trump, der Tiktok am liebsten ab dem 15. September 2020 unter Microsoft-Flagge segeln sehen würde, erweist sich als völlig unrealistisch. Nicht zuletzt in Anbetracht der bislang bestrittenen engen Verzahnung könnte sich eine Abschaltung des Dienstes für US-Nutzer als veritable Alternative erweisen.
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