Leinen los in der Luftfahrt: Warum neue Luftschiffe und Zeppeline wieder abheben könnten
Es ist wie ein Flashback – zum Beginn des 20. Jahrhunderts: Luftschiffe feiern Ende der 1910er und Anfang der 1920er Jahre bahnbrechende Erfolge und absolvieren erste Nonstop-Flüge über den Atlantik: 1919 gelang dem britischen Luftschiff R 34 die Ost-West-Überquerung von Edinburgh nach Long Island bei New York in 108 Stunden Fahrt, 1924 dann startete ein Zeppelin in Friedrichshafen gen Amerika und landete nach 77 Stunden Fahrt in New York. Und jetzt, rund 100 Jahre nach diesen Pionierflügen, will es die spanische Fluglinie Air Nostrum erneut wagen und noch in diesem Jahrzehnt einen regelmäßigen Passagierverkehr zwischen dem spanischen Festland und den Balearen aufnehmen – mit Luftschiffen. Auch an Verbindungen von Sizilien nach Malta ist gedacht.
Dieses Angebot dürfte nicht nur Nostalgiker ansprechen. Auch Menschen, die aus Klimagründen nicht mehr fliegen wollen, verspricht es eine gewissenschonende Alternative zu herkömmlichen Großraumjets. Und in der Logistik könnten Zeppeline ebenfalls einige Lücken füllen, etwa beim Transport sperriger Schwerlasten oder zur Versorgung unzugänglicher Gegenden. Startups in den USA, Israel, Großbritannien und China arbeiten bereits an der Renaissance der schwebenden Giganten.
Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 2/2024 von MIT Technology Review erschienen. Hier könnt ihr das Heft als Print- oder pdf-Ausgabe bestellen.
Rückschläge der Luftschiffe
Dabei ist das Prinzip „leichter als Luft“ in der Geschichte schon mehrfach abgestürzt. Die Vision eines kommerziellen Passagierverkehrs endete am 6. Mai 1937 bekanntlich mit einer gewaltigen Wasserstoffexplosion in Lakehurst. Ein weniger spektakuläres, aber mindestens ebenso einschneidendes Ereignis fand am 7. Juni 2002 statt. An diesem Tag erklärte die Cargolifter AG ihre Insolvenz. Der riesige Hangar südlich von Berlin ist heute ein Spaßbad, die Idee der Frachtluftschiffe seitdem verrufen.
Was genau berechtigt also zur Annahme, dass die neue Generation von Luftschiffen nun wirklich abheben wird? Vor allem zwei Faktoren: Zum einen wächst der Druck auf die Luftfahrt, klimafreundlicher zu werden. Zum anderen machen Technologien, die vor wenigen Jahrzehnten noch nicht anwendungsreif waren, die Luftschiffe nun praktikabler – beispielsweise Elektroantriebe.
Schon mit konventionellen Verbrennungsmotoren verursachen Luftschiffe wesentlich weniger Emissionen als Flugzeuge. Schließlich müssen die Maschinen nur dem Vortrieb dienen, nicht dem Auftrieb. Das zeigt sich beispielsweise beim Zeppelin NT. Er wird seit dem Jahr 2000 gebaut und ist ein Zwischending zwischen einem Luftschiff mit starrem Gerüst und einem „Blimp“, der nur vom Druck seines Traggases in Form gehalten wird. Nach Angaben von Eckhard Breuer vom Hersteller ZLT Zeppelin Luftschifftechnik verbraucht er pro Passagier nur 23 Prozent so viel Treibstoff wie ein vergleichbares Flugzeug.
Für einen regelmäßigen Linienverkehr wäre der Zeppelin NT mit seinen 17 Passagieren allerdings zu klein. Er wird hierzulande vor allem für touristische Rundflüge über den Bodensee und gelegentlich für wissenschaftliche Messungen genutzt. In den USA setzt die Firma Goodyear ihn viel für Werbezwecke und Luftaufnahmen von Sportereignissen ein.
Aus Fernost kam kurz vor Weihnachten die Nachricht, dass in China ein neues Luftschiff ähnlicher Größe zugelassen wurde. Die AS700 soll wohl zunächst nur Rundflügen und Ähnlichem dienen. Allerdings spricht der Hersteller, Chinas staatlicher Flugzeugbauer AVIC, bereits von Massenfertigung und einer Ausrüstung mit Küchen und Toiletten. Längere Flüge und größere Nachfolgeschiffe sind also offenbar eine Option.
Air Nostrum denkt bereits in ganz anderen Dimensionen. Die Spanier wollen den Airlander 10 der britischen Firma Hybrid Air Vehicles (HAV) kaufen. Schon 2022 haben sie Vorverträge für zehn Stück abgeschlossen und im vergangenen August wurde die Bestellung noch einmal verdoppelt. Das Luftschiff soll 100 Passagieren inklusive Gepäck Platz bieten. Bei einer Reisegeschwindigkeit von 130 Kilometer pro Stunde soll es vier Stunden bis nach Mallorca brauchen. Konzeptgrafiken zeigen luxuriöse Aussichtsplattformen und eine langgezogene Kabine mit viel Fensterfläche.
Und das ist erst der Anfang. Christoph Pflaum, Professor für Informatik an der Uni Erlangen-Nürnberg, hat mit realen Wetterdaten durchgerechnet, wie sich elektrische Luftschiffe, ausgerüstet mit Solarzellen und 3000 Kilowattstunden an Batterie-Kapazität, auf Langstrecken schlagen würden. In einer Flughöhe von 2000 Metern könnte ein Zeppelin von der Größe der Hindenburg demnach in rund 60 Stunden von New York nach London fahren. Der Rückweg würde rund 77 Stunden dauern, sagte Pflaum, der im September einen Luftschiff-Kongress in Nürnberg organisiert hat, im TR-Podcast. Im Vergleich zu Flugzeugen sind das immer noch kleine Ewigkeiten. Aber dafür hätten die Luftschiffe auch spektakuläre Aussichten als Reiseerlebnis zu bieten, argumentiert Pflaum.
Was nach dem Airlander kommen soll
Der Nachfolger des Airlander 10 soll noch größer werden und großzügige Kabinen an Bord haben. Damit ähnelt die Reise eher einer Kreuzfahrt als einem Charter- oder Linienflug. Das würde die längere Flugzeit für viele Menschen akzeptabel machen, glaubt Christoph Pflaum. „Schließlich ist das Reisen in einem Luftschiff wesentlich komfortabler als in einem herkömmlichen Flugzeug. Da ist Platz für einen Speisesaal, einen Aufenthaltsraum und schicke Zweibettzimmer.“
Im Vergleich zur 245 Meter langen Hindenburg werden die 92 beziehungsweise 119 Meter langen Airlander immer noch vergleichsweise klein ausfallen. Der entscheidende Unterschied zu traditionellen Zeppelinen ist aber nicht allein die Größe, sondern auch eine Abkehr vom Prinzip „leichter als Luft“. Die heliumgefüllten Zellen des Airlander tragen nur zu 75 Prozent des Auftriebs bei. Den Rest erzeugt der Rumpf wie ein Flugzeugflügel durch Fahrtwind. Er wird ohne inneres Gerüst, nur durch Gasdruck in Form gehalten und ähnelt zwei zusammengeklebten Zigarren. (Manche sagen auch: einem Gesäß.)
Durch den aerodynamischen Auftrieb kann der Rumpf kleiner ausfallen. Das macht ihn laut Vorstudien wendiger und weniger windanfällig. Außerdem kann er dadurch auf bis zu 6.000 Meter steigen und auf diese Weise Schlechtwettergebiete überfliegen. Der Nachteil: Anders als klassische Luftschiffe ist der Airlander nicht in der Lage, senkrecht zu starten, sondern benötigt eine kurze Start- und Landebahn, die allerdings auch aus einer ebenen Wiese oder einer ruhigen Wasserfläche bestehen kann. Zudem kann er Lasten nicht in der Luft schwebend aufnehmen oder absetzen.
Der Antrieb wird zunächst mit zwei Verbrennungs- und zwei Elektromotoren erfolgen. Schon damit soll der Airlander laut Hersteller 90 Prozent weniger CO₂ ausstoßen als vergleichbare Flugzeuge. Für 2030 ist die Umstellung auf einen vollelektrischen Antrieb geplant. Die notwendigen 6.000 bis 9.000 Kilowattstunden elektrischer Energie werden wahrscheinlich aus einer Kombination von Batterien und Wasserstoff-Brennstoffzellen kommen. Bei Solarzellen gebe es noch zu viele ungelöste Probleme, sagt HAV-Ingenieur Nathanael West. Die E-Motoren stammen vom Hersteller Collins Aerospace und sollen neun Kilowatt pro Kilogramm leisten – das 30-Fache der alten Zeppelin-Dieselmotoren.
Windräder per Luftfracht
2027 will HAV den ersten Prototyp des Airlander 10 fertigstellen, der dann die Balearen anfahren soll. Spätestens 2028 soll die Produktion anlaufen. Ab 2033 soll der größere, vollelektrische Airlander 50 folgen. Mit einer Nutzlast von 50 Tonnen wäre dieser nicht nur zur Personenbeförderung, sondern auch für den Frachtverkehr attraktiv. Während sich der Passagierverkehr seinen eigenen Markt erst noch irgendwo zwischen Linienflügen und Kreuzfahrten suchen muss, leidet die Logistik schon lange unter Problemen, für die Luftschiffe genau die richtige Lösung wären. Zum Beispiel der Transport von Windkraftanlagen über Land.
Anderswo fehlt es gänzlich an Straßen, beispielsweise im hohen Norden Kanadas. Das bedeutet hohe Frachtkosten. Zudem wird der winterliche Transport wegen des auftauenden Permafrostbodens immer schwieriger. Ein Luftschiff könne die dortigen Frachtkosten je nach Nutzlast und zurückzulegender Entfernung von jetzt 2,75 Euro pro Kilogramm auf 0,3 bis 1 Euro senken, schätzt Ross Prentice vom kanadischen Forschungsinstitut Boyant Airships International (BASI), das sich mit Materialien und Auftriebsgasen für Luftschiffe beschäftigt. Berechnet wurden die potenziellen Kosten für Entfernungen von 250 und 500 Kilometern und Traglasten von 30, 60 und 100 Tonnen. Die Probleme in Kanada sind inzwischen so groß, dass die Provinz Quebec vor vier Jahren umgerechnet 20,5 Millionen Euro in den französischen Hersteller Flying Whales investiert hat, um das Leben in den nördlichen Siedlungen zu verbessern.
Fokus auf den Frachttransport
Flying Whales plant mit dem LCA60T ein speziell auf den Frachttransport zugeschnittenes Luftschiff, das schwebend be- und entladen werden kann. Die Herstellung ist an vier Standorten in Frankreich, in Kanada, in Australien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten geplant. Die Produktion eines ersten Schiffs werde „demnächst“ beginnen, und ab 2026 hofft man, bereits in die Zertifizierungsphase eintreten zu können, sagt Flying-Whales-Chef-Entwickler Sylvain Allano.
Der Rumpf besteht aus einem starren, mit einer dichten Hülle überspannten Gerüst. Im Inneren sorgen 14 heliumbefüllte Abteilungen für Auftrieb. Den Laderaum möchte man in den Schiffskörper integrieren, nur eine winzige Gondel am Bug wird herausschauen. Seitlich und oben sind schwenkbare Propeller vorgesehen, welche die Steuerung unterstützen sollen.
Antrieb: Triebwerke, Elektromotoren, Wasserstoff-Brennstoffzelle
Der Antrieb der Flying Whales soll, wie bei HAV, zunächst mit konventionellen Triebwerken erfolgen, aber schon bald auf Elektromotoren umgestellt werden, versorgt von Wasserstoff-Brennstoffzellen. Neun Tonnen sollen allein die Drucktanks wiegen. Auch der Zeppelin NT soll künftig auf Elektromotoren umgestellt werden, weil die bisherigen Antriebe hohe Wartungskosten verursachten. Den Strom liefern dann mit Flugbenzin gespeiste Generatoren.
An Solarzellen wagt sich bisher allerdings kaum jemand heran – bis auf die französische Firma Euro Airship. 2026 will sie ihr 150 Meter langes Solar Airship One auf eine Nonstop-Erdumrundung schicken. 4800 Quadratmeter Solarzellen sowie eine wasserstoffbetriebene Brennstoffzelle für den Nachtflug sind als Energielieferanten für die vier Propeller geplant.
Der US-Konkurrent LTA (Lighter Than Air) hat bereits ein gut 120 Meter langes Luftschiff namens Pathfinder 1 gebaut, mit einem Gerüst aus Carbonfaser-Kunststoff. Es konnte im Hangar schon ein paar Meter schweben. Allerdings arbeitet es zunächst noch mit Verbrennungsmotoren. Künftig soll eine mehr als 180 Meter lange Version folgen, möglicherweise auch mit Elektroantrieb. Als Einsatzgebiet nennt LTA „humanitäre Einsätze“ in Katastrophengebieten. Und der kalifornische H2 Clipper will ab 2029 so etwas wie ein Express-Luftschiff mit bis zu 280 Kilometer pro Stunde Reisegeschwindigkeit anbieten. Das Besondere: Wasserstoff soll nicht nur als Antrieb dienen, sondern auch als Traggas und Fracht.