Mehrheit deutscher Firmen hält VR und AR für einen „Hype”
Wie steht es eigentlich weltweit um die Verbreitung von Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR)? Das Beratungsunternehmen Capgemini hat hierzu mehr als 700 in einschlägige Projekte eingebundene Führungskräfte der Automobil-, Fertigungs- und Versorgungsbranche in Deutschland, Frankreich, USA, China, Großbritannien und Skandinavien befragt.
Und das zentrale Ergebnis der Studie „Augmented and Virtual Reality in Operations: A guide for investment” lautet: Die beiden Zukunftstechnologien könnten in jedem zweiten Unternehmen in drei bis fünf Jahren zum Standard gehören. Augmented Reality, heißt es im Report, steigere dabei „vor allem die Produktivität”, während VR die Sicherheit „entscheidend” erhöhe. Einzig, Deutschland liege bei der Umsetzung hinter China, Frankreich und den USA.
Deutschland „deutlich skeptischer”
Ob das am generellen Mindset hierzulande liegt? Die Studienautoren jedenfalls schreiben, dass man in Deutschland im Vergleich zu den anderen Ländern „deutlich skeptischer gegenüber den Technologien” sei. So hätte über die Hälfte der Befragten in Deutschland angegeben, dass es sich bei AR (60 Prozent) und VR (55 Prozent) um einen Hype handele.
Andernorts wird geklotzt: In China hätten jeweils 51 Prozent der Unternehmen begonnen, AR und VR zu implementieren, sagt die Studie, in den USA gelte dies für 59 Prozent beziehungsweise 42 Prozent der Unternehmen. In Deutschland würden aktuell 38 Prozent der Unternehmen AR- und 28 Prozent VR-Lösungen einführen. Die Bundesrepublik liege damit deutlich hinter den beiden führenden Nationen sowie hinter Frankreich (48 Prozent/43 Prozent). In Skandinavien und Großbritannien seien mehr als zwei Drittel der Unternehmen maximal in der Experimentierphase.
„Immersive Technologien haben in kurzer Zeit einen weiten Weg zurückgelegt und werden sich weiter entwickeln. Angesichts der starken Konkurrenz durch aggressive Investoren in den USA und China müssen Unternehmen ihre Investitionen fokussieren, um das langfristige Wachstumspotenzial dieser Technologien zu nutzen”, sagt Udo Lange, Vice President und Experte für Digital Engineering bei Capgemini Consulting.
Erwartungen „erfüllt” oder „übertroffen”
Diese These wird von den Studienergebnissen gestützt: Insgesamt, heißt es im Report, würden Unternehmen „gute Erfahrungen” mit AR und VR machen: So hätten 82 Prozent der Unternehmen, die die beiden Technologien in ihrem Geschäftsbetrieb einführen, angegeben, dass ihre Erwartungen erfüllt oder gar übertroffen worden seien.
Immerhin 50 Prozent der Unternehmen, die bislang keine immersiven Technologien einsetzen, wollen sich in den nächsten drei Jahren „intensiv mit ihnen befassen”, heißt es. Insgesamt gehen offenbar 46 Prozent beziehungsweise 38 Prozent der Befragten davon aus, dass die Technologien innerhalb von drei beziehungsweise fünf Jahren bei ihnen zum Standard werden.
Länderübergreifend wird AR am häufigsten eingesetzt, um digitale Referenzmaterialien hinzuziehen, während in Deutschland die Qualitätssicherung an erster Stelle steht. VR wird bevorzugt zur Schulung von Mitarbeitern eingesetzt.
Augmented Reality „komplexer”
Insgesamt seien zwei von drei Unternehmen der Ansicht, dass AR ihnen größere Vorteile biete als VR, die Implementierung aber auch komplexer sei. Übergreifend, schreiben die Studienautoren, berichten drei Viertel der Unternehmen, die ein großes AR- oder VR-Projekt betreiben, dass sie mithilfe der Technologien einen betrieblichen Vorteil von über zehn Prozent in den betroffenen Anwendungsfällen erzielen. AR verbindet die digitale mit der realen Welt und optimiert Arbeitsabläufe bei manuellen Aufgaben, indem Wearables den freihändigen Zugriff auf Hilfestellungen ermöglichen. Porsche etwa nutzt AR-Brillen, um Schritt-für-Schritt-Anweisungen und schematische Zeichnungen in Blickrichtung einzublenden, so dass unter anderem Experten aus der Entfernung Anweisungen geben können. Die Dauer für die Bearbeitung einer Service-Anfrage werde damit um bis zu 40 Prozent verkürzt, heißt es im Report von Capgemini.
VR hingegen erstellt rein virtuelle Umgebungen und steigert die Sicherheit und Effizienz, beispielsweise durch die Simulation risikoreicher Umgebungen für Schulungen und Trainings. Airbus setzt VR zum Beispiel ein, um digitale Modelle, sogenannte Mockups, ins Produktionsumfeld zu integrieren und Mitarbeitern ein komplettes 3D-Modell des Flugzeugs während der Montage zugänglich zu machen. Die Inspektionsdauer habe sich so von drei Wochen auf drei Tage verringert.
Das sind die häufigsten Anwendungsfälle
In den befragten Branchen Automobil, Fertigung und Versorgung werden die Technologien von knapp jedem dritten Unternehmen, das AR und/oder VR verwendet, zur Reparatur und Wartung genutzt. Insbesondere, heißt es in der Studie, würden digitale Referenzmaterialien hinzugezogen (31 Prozent), nicht vor Ort anwesende Experten konsultiert (30 Prozent), nicht einsehbare Komponenten digital betrachtet (30 Prozent) oder Schritt-für-Schritt-Anleitungen eingeblendet (29 Prozent).
Im Bereich Konstruktion und Montage wird auf digitale Montageanleitungen zurückgegriffen (28 Prozent), die Produktleistung unter Extrembedingungen geprüft (27 Prozent), werden Infrastrukturen aus verschiedenen Perspektiven visualisiert (27 Prozent) und neue Designkomponenten über bestehende Module projiziert (26 Prozent). Bei Ford seien Verletzungen in der Montage um 70 Prozent und ergonomische Probleme um 90 Prozent reduziert worden, indem VR-basierte Körperbewegungssensoren Bewegungsabläufe von Mitarbeitern erfasst und optimiert hätten, schreiben die Studienautoren.
Von den AR/VR-„Vorreitern” lernen
16 Prozent der befragten Unternehmen zählt Capgemini zu „Vorreitern”. Diese hätten „frühzeitig und umfassend” AR- und VR-Initiativen angestoßen und würden sich auf vier Schlüsselstrategien konzentrieren: Zum Ersten gehe es ihnen um ein zentralisiertes Steuerungsmodell und darum, Bewusstsein für AR und VR zu schaffen: So verfügten 78 Prozent der Vorreiter über zentrale Teams oder Innovationszentren, um die Aktivitäten übergreifend zu steuern. Verglichen mit nur 51 Prozent der übrigen Unternehmen.
Zum Zweiten seien Investitionen in Mitarbeiterqualifikationen eine wesentliche Schlüsselstrategie: 93 Prozent der Vorreiter würden merklich in agile, interne Expertenteams investieren, schreiben die Studienautoren. Verglichen mit 76 Prozent der übrigen Unternehmen. Zum Dritten sei der Fokus auf fortlaufende Anwendungsfälle wichtig und zwar solche, die Mitarbeiter langfristig unterstützen: Den richtigen Anwendungsfall zu finden, sei „eine der drei wichtigsten Prioritäten für die Gruppe der Vorreiter”, heißt es in der Studie. Gleichzeitig stelle dies für mehr als 50 Prozent der Unternehmen „eine Herausforderung” dar.
Zum Vierten sei es besonders wichtig, Technologieinfrastrukturen auf die Integration vorbereiten: Datenmangel und fehlende Technologiereife seien die größten Hemmnisse bei der Einführung von AR und VR. Eine reibungslose Integration in bestehende Technologien und die entsprechende Unternehmenskultur seien jedoch essentiell.
Für den Report hat Capgemini 709 Personen befragt, die über „weitreichende Kenntnisse” zu den AR/VR-Initiativen ihrer Organisation verfügen. 603 der befragten Unternehmen führen nach Angaben des Beratungsunternehmens aktuell AR/VR-Projekte durch oder befinden sich in der Experimentierphase. 73 Prozent der Unternehmen haben für das Geschäftsjahr 2017 einen Umsatz von über einer Milliarde US-Dollar angegeben. Die Umfrage hat zwischen Mai und Juni 2018 stattgefunden.
Noch befinden wir uns mit Sicherheit in der Lernphase, es werden vielfältige Prototypen gebaut und Pilotprojekte durchgeführt. Das erleben wir aktuell bei vielen Kunden, die First Mover sind durch und jetzt kommt der restliche Markt, da die Kennzahlen stimmen spricht viel für einen dosierten Einsatz von immersiven Technologien