Muss Twitter am Donnerstag den Betrieb einstellen? Ein Anwalt will das erreichen

Der Würzburger IT- und Medienrechtsanwalt Chan-jo Jun ist im Internet kein Unbekannter. Er vertrat erst kürzlich erfolgreich die Grünen-Politikerin Renate Künast im Rechtsstreit gegen Facebook, indem es um Beleidigungen gegen die Politikerin ging. Und er tut dies in ähnlicher Mission jetzt auch gegen Twitter – wegen Hassrede, Beschimpfungen und Fake News, die das Netzwerk seiner Auffassung nach nicht in adäquater Weise unterbinde. Doch der Prozess gegen Twitter könnte eine deutlich größere Tragweite haben und für mehr Aufsehen sorgen, wenn das Landgericht Frankfurt sich der Rechtsauffassung des IT-Anwalts folgt.
Der Vorwurf lautet, das Netzwerk habe wiederholt illegale Inhalte nicht nur freigeschaltet, sondern auch im Netz belassen und sich geweigert, diese trotz Notwendigkeit zu löschen. Auch wenn das alles nichts Neues ist und sich auch schon auf Sachverhalte vor der Übernahme durch den Milliardär Elon Musk bezieht, hat der Medienanwalt jetzt einen Eilantrag auf einstweilige Verfügung gestellt, der schon am kommenden Donnerstag vor dem Landgericht Frankfurt zur Verhandlung kommen soll.
Die Argumentation dabei: Twitter müsse dafür Sorge tragen, dass die Inhalte nicht nur gelöscht werden, sondern auch weiterhin nicht mehr dort auftauchen. Und das könnte für Twitter schwierig werden, da dies einen Eingriff in die Programmierung und den Twitter-Algorithmus erfordern würde. „Das Ergebnis könnte dazu führen, dass durch eine gerichtliche Anordnung Twitter seinen Betrieb einstellen müsste“, erklärt der Medienanwalt in einem Video.
Dies sei, auch wenn er es selbst für unwahrscheinlich hält, nach seinen Worten nicht ausgeschlossen. Zu tun haben könnte das mit den aktuellen Entwicklungen bei Twitter – den Entlassungen, der chronischen personellen Unterbesetzung in vielen Bereichen. Verklagt wird hier der internationale Betreiber Twitter International, der auch für den deutschen Betrieb zuständig ist, doch das Unternehmen an sich dürfte in der aktuellen Lage kaum in der Lage sein, all das sicherzustellen.
Vergleichbare Fälle meist im Urheberrecht
Das sei allerdings auch in anderen Fällen kein Grund gewesen, dass hier ein Gericht Nachsicht walten lässt. In der Vergangenheit gab es etwa Fälle im Urheberrecht, wo die Gerichte die Stilllegung von Servern veranlasst haben, weil eine Verletzung der Rechte der Filmfirmen nicht ausgeschlossen werden konnte. Twitter könnte also, wenn man nicht plausibel erklären kann, wie man Abhilfe schaffen will, ganz am Betrieb gehindert werden oder zumindest so lange, bis dies sichergestellt ist.
In einem vergleichbaren Kontext – es ging dabei um Beleidigungen gegen die Grünen-Politikerin Renate Künast – hatte Facebook es beispielsweise nicht geschafft, zu belegen, dass eine solche Unterbindung nicht zumutbar sei. Chan-jo Jun hatte damals die Spitzenpolitikerin vertreten. „Wenn man ein Portal nicht betreiben kann, da man die Mitarbeiter dafür nicht hat, dann muss man es halt abschalten“, erklärt der Jurist im Video daher selbstbewusst. Das sei zwar merkwürdig, aber das Verhalten Elon Musks sei ebenfalls als merkwürdig einzustufen, „da man ja rechtliche Verpflichtungen und Compliance-Verpflichtungen hat“, wie der Jurist etwas salopp ausführt.
Nicht nur Take-down, sondern auch Stay-down
Doch so weit ist es noch nicht. Der umtriebige Anwalt muss nämlich zunächst dem Richter plausibel erklären, dass Twitter nicht nur die besagten Inhalte löschen muss, sondern auch dafür Sorge zu tragen hat, dass diese – erkennbar etwa auch an Bildern, URL und spezifischen Texten – aus dem Netzwerk bleiben. Also nicht nur „Take-down“, sondern auch „Stay-down“.
Nur wenn er damit erfolgreich ist, geht es darum, dass gegen Twitter Ordnungsgelder verhängt werden könnten, wenn eine Zuwiderhandlung erfolgt. Wie hoch ein solches Ordnungsgeld sein müsste, damit es Twitter überhaupt interessiert, ist dabei ebenfalls noch eine Frage. Übrigens würde sich eine Ordnungshaft auch nicht auf Elon Musk beziehen, da dieser möglicherweise nicht Entscheider besagter Twitter International ist.
Man merkt Jun an, dass er seinen Spaß an der Sache hat, wenn er sich an die gegnerischen Anwälte wendet, die doch, bitteschön, schon mal in Erfahrung bringen sollen, wer eigentlich hinter der Twitter International steckt: „Ich weiß, das ist nicht ganz einfach (…), aber irgendjemand muss euch ja beauftragt haben und eure Rechnung bezahlen.“
Kann Anwalt Jun das Gericht überzeugen?
Ob es dem Juristen gelingt, Twitter hier aus der Reserve zu locken, oder ob deren juristische Vertreter, ähnlich wie dies die Facebook-Anwälte in ähnlicher Situation getan haben, nicht substanziell dazu vortragen, bleibt abzuwarten. Spannend und interessant wird der Prozess allerdings auf jeden Fall – zumal Chan-jo Jun in den letzten Tagen nach eigener Aussage ebenfalls Meldungen an Twitter gemacht hat.
Er bekam dabei die Entscheidungen zu den jeweiligen Tweets bereits binnen weniger Minuten, was ein Indiz dafür sein könnte, dass die Vorwürfe nicht in ausreichender Tiefe geprüft werden. Das könnte auch durchaus der Fall sein – angesichts der aktuellen Personaldecke des Unternehmens. „Diese Entscheidungen kommen auch nachts so schnell, da sie durch einen Algorithmus erfolgen müssen“, erklärt Jun. Anders als früher bekomme man auch keine Antwort mehr, wenn man dagegen insistiert. „Vielleicht kommen sie nicht mehr in ihre Büros, wir wissen es nicht. Das ist das, was wir dem Gericht sagen können: Bei Twitter tut sich nichts, die sind nicht mehr da und betreiben trotzdem ein Portal. Und da stellt sich die Frage: Kann man ein Portal betreiben, wenn man nicht mehr handlungsfähig ist?“